„SZ“ veröffentlicht Gegendarstellung des Nollendorfblogs. Ist „die Sache“ damit erledigt?

 Zum ersten Mal in den zwölf Jahren, in denen ich diesen Blog betreibe, habe ich mich juristisch wehren müssen. Gestern hat das Landgericht München die Süddeutsche Zeitung per einstweiliger Verfügung dazu verpflichtet, meine Gegendarstellung zu einem Artikel des Autors Andrian Kreye zu veröffentlichen.

Dieser hatte in seinem Artikel über die Act Out Debatte beim „Jour Fixe“ der SPD geschrieben:

Ein Debattensieg reicht nicht, der Gegner muss vielmehr zerstört werden. In diesem Fall: Kegel soll nicht auftreten. Und – wie es der Nollendorfblog von Johannes Kram fordert – Kegel soll ab sofort keine Machtpositionen als Jurorin von Literaturpreisen (und in der Konsequenz des Gedankengangs als Feuilletonleiterin) mehr innehaben.

So wird aus einer Debatte Hetze.

Tatsächlich hatte ich in meiner Gegenrede zu Frau Kegels homophoben und queerfeindlichen FAZ-Artikel geschrieben:

„Es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass sie verantwortlich für eines der wichtigsten Feuilletons deutscher Sprache sind. Und da man sie in Jurys vieler Buchpreise beruft, schaudert mich der Gedanke, dass queere Stoffe und queere Geschichtenerzähler*innen von Menschen wie Ihnen bewerten werden könnten.“

Bei Queer.de ist die Begründung meines Anwalts aus dem Antrag zur einstweiligen Verfügung zitiert, die deutlich macht, dass ich  „an keiner Stelle“ im Blog auch nur sinngemäß fordere, „dass Frau Kegel ab sofort keine Machtpositionen als Jurorin von Literaturpreisen mehr innehaben soll“. Im Beitrag ging es, anders als die „SZ“ behauptet, nicht darum, dass Frau Kegel oder andere Teilnehmer*innen der Debatte ‚weg‘ müssen. Im Gegenteil: Die Debatte ist offensichtlich notwendig, aber notwendig ist auch, dass sie faktenbasiert und ohne homophobe und queerfeindliche Ressentiments geführt werden kann.

Mittlerweile hat die SZ die Gegendarstellung online veröffentlicht. Auch in der Print-Ausgabe wird das nun erfolgen. Juristisch ist die Sache damit erledigt. Doch das grundsätzliche Problem bleibt.

Wir erleben gerade eine Debatte, in der marginalisierten Gruppen vorgeworfen wird, mit angeblich radikalen Forderungen das gesellschaftliche Klima zu gefährden. Dadurch wird auch zunehmend von links-liberalen Stimmen die Stimmung gegen Minderheiten angeheizt.

In einer solchen Situation sollte das Feuilleton ein Ort der Freiheit sein, doch in dieser Auseinandersetzung hat es sich vor allem als ein Ort der Repression erwiesen. Die Debatte hat da zu enden, wo namhafte Politiker*innen oder gar Feuilletonist*innen als Teil des Problems gelten könnten. Das darf nicht sein. Der ehemalige SZ-Feuilletonchef Kreye springt der amtierenden FAZ-Feuilletonchefin Kegel zur Seite. Und zwar nicht argumentativ, sondern rein aus Prinzip:

„Sich auf eine respektierte Kulturjournalistin einzuschießen, zahlt genau auf die falsche Seite ein,“

Kreye ist nicht die SZ, könnte man sagen. Doch die SZ hat seinen Text gedruckt, samt der Lüge, auf der der ganze Text aufbaut und die er als Beweis dafür anführt, ich wolle Sandra Kegel „vernichten“. Samt der Überschrift, die von „Mob-Reflexen“ spricht. Der Artikel war nicht nur in seiner maximal eskalierenden Wortwahl nicht irgendein Artikel. Er war es auch als Aufmacher des Kulturteils alleine schon von seiner Größe her nicht. Es ist bei einer Zeitung wie der SZ davon auszugehen, dass irgendjemand die mir unterstellte Aussage überprüft hat. Und deshalb ist auch davon auszugehen, dass nicht nur Kreye, sondern auch diesem oder dieser irgendjemand ziemlich egal war, wie sehr der Artikel sie entstellt.

Ja, es ist unglaublich: Die SZ veröffentlicht einen Artikel, der sich angeblich um die Debattenkultur sorgt, aber alles dafür tut, dass die Debatte aus dem Ruder laufen muss. Das mir untergeschobene Falschzitat diente dazu, meine begründete Homophobie-Kritik an Frau Kegel als “Hetze” gegen sie zu diffamieren. Man hat ja nichts gegen Schwule, aber wenn sie kritisch werden, werden sie kriminalisiert.

Der  SZ-Artikel hat dazu beigetragen, dass die Debatte längst keine mehr ist, sondern ein sich entladender Ausbruch diffusen Unbehagens der Mehrheit gegenüber ihren Minderheiten. Queere Menschen werden zur Gefahr erklärt. Für queere Menschen ist das gefährlich.

Aber diese „respektierten“ Kulturjournalist*innen argumentieren nicht nur verantwortungslos, sondern auch intellektuell auf schmelzendem Eis.

Cancel Culture ist das dümmste Argument von allen, weil es meist genau das versucht, was es dem Gegenüber vorwirft: den anderen aus der Debatte zu schmeißen. Für das deutsche Feuilleton ist es erbärmlich, dass hier FAZ und Süddeutsche hier gleichermaßen auf diesem Niveau unterwegs sind. Bezeichnend auch, dass sowohl Sandra Kegel als auch Andrian Kreye die Fakten so sehr verbiegen müssen, um ihren Punkt zu machen.

Wie tief müssen die Ressentiments sitzen, die dazu führen, dass man sich so entblößt? Darüber zu schreiben, das wäre doch mal was fürs Feuilleton.

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Hintergrund:

Meine Gegenrede zum queerfeindlichen FAZ-Artikel von Sandra Kegel zu „Act Out“

Queer.de-Chef zur anti-queeren Eskalation in der SPD: „Es geht ums Eingemachte“

SPD-Talk zu Act Out: Lügt Sandra Kegel? ZDF widerspricht FAZ-Frau

Dossier: Alle Beiträge zum Thema „Act Out“

 


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