Manuel Neuer: Super-Ally-No. 1

Jetzt, wo Dank des UEFA-Ungarn-Allianz-Arena-Desasters das ganze Land in Regenbogenfarben gehüllt ist, musste ich an die Zeit um die Entscheidung über die Ehe für alle vor ziemlich genau vier Jahren denken. Jahrzehnte lang hatte die Community auf eine solche Abstimmung hingearbeitet, hatte gekämpft, geworben und versucht, die nicht-queere Mehrheitsgesellschaft davon zu überzeugen, dass es eine gute Sache ist, diesen Kampf gemeinsam zu führen. Doch wir haben ihn ziemlich alleine geführt. Die Regenbogenfahne wollte uns fast niemand abnehmen. Und als die Ehe für alle dann am 30. Juni 2017 beschlossen, dieser jahrzehntelange Kampf endlich vorbei und gewonnen war, wollte niemand so recht mit uns feiern. In den Straßen sah man keine Regenbogenfahnen. Und auch der Bundespräsident wollte sich zum Thema nicht äußern.

Als der amerikanische Supreme Court zwei Jahre zuvor die Same-sex-marriage einführt hatte, wurden das Empire State Building, das Weiße Haus und viele andere US-Heiligtümer in den Regenbogenfarben angestrahlt. Nach der deutschen Entscheidung gab es nichts dergleichen.

Am 5. Juli 2017, also kurz nach der Abstimmung im Bundestag, habe ich hier im Blog meine Eindrücke dieser merkwürdigen Tage festgehalten:

Die Ehe für alle kam auch deswegen so spät nach Deutschland, weil sich fast nur die Heteros für das Thema interessiert hatten, die leidenschaftlich dagegen sind. Leidenschaftliche Befürworter, gar Kämpfer für die Sache gab es kaum, und auch in den wohlwollenden Kommentaren nach der Entscheidung im Bundestag ist zu lesen, dass diese zwar für die – relativ wenigen – „Betroffenen“ eine große Sache sei, ansonsten aber halt ein Nischenthema, über das man jetzt nicht so einen Wind machen müsse. Geradezu ausgelacht werden wir oft, wenn wir die historische Dimension betonen, die Homos mögen es halt gerne dramatisch.

Bei aller Freude darüber, dass die ungarische staatliche Aggression gegen unsere Minderheiten durch diese riesige Regenbogenwelle eine deutliche Antwort aus fast allen Teilen der Bevölkerung erfährt, stellt sich doch die Frage, wo diese Menschen waren, als wir sie für die wichtigen Emanzipationsschritte hier im Land so dringend gebraucht hatten. (Oder auch bei unserem Protest gegen die staatlichen Homophobiegesetze in Russland.)

Hier kommt wohl vieles zusammen, auch vieles Ungutes. Willkommenes Pinkwashing für Politik und Wirtschaft natürlich aber auch die Tatsache, dass diesmal der Regenbogen im Vorfeld eines Fußballspiels dazu taugt, dass sich ein Land besser  fühlen darf als ein anderes.

Doch all dies erklärt nicht die große Fahrt, die das queere Thema unter dem Regenbogen in den letzten Tagen aufgenommen hat. Ein Superzug, auf den jeder aufspringen möchte, braucht einen Supermenschen, der ihn gestartet hat. Manuel Neuer konnte nicht wissen, was er mit der Entscheidung auslöste, als Kapitän der Nationalmannschaft die Regenbogenbinde bei diesem Tunier zu tragen. Eigentlich hatte er nicht viel dabei zu gewinnen, außer den Sympathien der Community. Er hatte auch einiges zu verlieren. Identitätspolitik! Gutmenschentum! Haben-wir keine-anderen-Probleme! Fussball-muss-sich-aus-der-Poltik-raushalten! Die Regenbogenflagge war vor dieser Europameisterschaft kein Sympathiegarant. Und nach Corona sehnte sich die Nation eher nach neuer Stärke als nach ihren Minderheiten. Manuel Neuer war das egal. Er hatte Haltung. Und er hatte eine Wirkungsmacht, die er bereit war, für diese Haltung einzubringen.

Ich will es nicht überhöhen, aber es ist eben so: Für das, was Manuel Neuer gemacht hat, gibt es in Deutschland  wenige Vorbilder. Wie viele andere Allies in dieser Liga in einer solche Situation fallen uns ein? Manuel Neuer hat gezeigt, was mit Haltung alles möglich ist.

Manuel Neuer, Super-Ally-No. 1!

Mehr zum Thema:

„Regenbogen-Paradoxon“: Wie sich die Rainbow-Flag auch gegen die Community richtet

 

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