Über Gauland, Boateng und die Witwe in uns, die verhindert hat, dass hier ein Schwarzer einziehn kann.

“ … die Witwe, die verhindert hat, daß hier ein Schwarzer einziehn kann“

Udo Jürgens, „Ein ehrenwertes Haus“, 1974

Reden wir heute aus gegebenem Anlass mal nicht über Homophobie (oder zumindest nicht gleich sofort), sondern über ihren großen Bruder, den Rassismus.

Wie immer, wenn große internationale Fußballturniere anstehen, und die Deutschen sich wieder mit gutem Gewissen deutsch fühlen können wollen, beeilen sie sich, ihr Wohlfühl-Deutschsein mit einer demonstrativen Weltoffenheit zu schmücken, mit einem fast schon rassistischen Anti-Rassismus.

OK, das war jetzt ein bisschen hart für den Anfang. Nein, es hat ja auch wirklich was knuddeliges, etwas wirklich liebenswertes, wie sehr sich Deutschland dann anstrengt, nicht so angestrengt zu sein, wie sehr sich heute journal & Co darum bemühen, sommermärchenhafte Fanmeilenbilder zu produzieren, auf denen nicht nur auffällig viele Frauen, sondern auch auffallend viele schwarz-rot-goldene People of Colour zu sehen sind.

Eine der erprobtesten deutschen Leitkulturübungen ist es, besonders vorbildlich und harmlos zu sein, wenn es darum geht, sich besonders stark und stolz zu fühlen. Das ging so weit, dass die Deutschen es schafften, nicht nur einfach Fußball-Weltmeister zu werden, sondern gleichzeitig auch noch Weltmeister in Vorbild und Bescheidenheit. Ulf Poschard rief in der WELT nach dem gewonnenen WM-Finale 2014 sogar so etwas wie ein neues Deutschland aus, „denn diese Mannschaft“ sei die

„schönste Idee, welche die Deutschen von sich selbst haben können. Erfolgreich, charmant, kämpferisch, dabei bescheiden und cool. Vorzeige-Helden für ein leistungsfähiges Land.“

Dass dann die Helden bei ihrer Siegesfeier vor dem Brandenburger Tor vor allem schön albern und schön unbescheiden waren („So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so“), war vor allem deshalb ein Problem, weil es nicht zum neuen Patriotismus-Gerufe passte.  Weil dabei so schmerzhaft klar wurde, dass Fussball nicht einfach nur Fussball sein darf, sondern der Stolz auf das Team unbedingt auch ein Stolz auf die Tugenden des Landes sein muss. Was ja auch  noch einigermaßen knuddelig und liebenswert wäre, wenn es nicht so allzu oft mit dem starken Bedürfnis gekoppelt wäre, anderen erklären zu wollen, was sie von diesen Tugenden lernen können.

Jetzt ist also wieder Fußball und das bedeutet, dass dieses Land sich jetzt ganz schnell seiner Weltoffenheit vergewissern muss,  damit es endlich wieder losgehen kann.

Jetzt ist also wieder Fußball, und da wird einem bewusst, wie viel sich in Deutschland seit dem letzten großen internationalem Turnier vor zwei Jahren geändert hat. Vor allem, dass das das damals von Pochardt und anderen geforderte Mehr-Patriotismus-wagen so ziemlich in die Hose gegangen ist, dass es das zwar wirklich gibt, das „neue Verhältnis zu Nationalfarben und Hymne“. Aber dass das ein ziemlich schmutziges geworden ist.

Jetzt ist also wieder Fußball, und da brauchen wir ganz viel Persil, um uns von diesem Schmutz zu befreien, um zu zeigen, dass die Bösen, die Rassisten eben die anderen sind. Persil. Und Kinderschokolade.

Und da haben es die Deutschen tatsächlich wieder geschafft. Sie sind diesmal sogar schon Toleranz-Meister, bevor das Tunier überhaupt angefangen hat. Die sozialen und gedruckten Medien haben sich auch wirklich alle Mühe gegeben. Sie haben tatsächlich ein einzelne paar Pegida-Idioten gefunden, die so blöd waren, die Weltmeister auf den Tafeln nicht zu erkennen und sich dann so richtig zu blamieren. Vom DfB abwärts durfte sich jeder darüber echauffieren, wie geschmacklos das war. Dabei wäre die Meldung doch eigentlich die gewesen, wie vergleichsweise wenige Rassisten sich da um Kopf und Kragen gepostet haben, bei all dem Mist, den wir in den letzten Monaten lesen durften.

Und dann die Sache mit Gauland und Boateng. Es ist schon beeindruckend, mit welchem Pathos da gefühlt ganz Deutschland über ein Ich-bin-kein-Rassist-Stöckchen rüberspringt, das so niedrig aufgehangen ist, dass man sich überhaupt nicht irgendwie bewegen muss, und schon ein laues Lüftchen reicht, um da drüber gepustet zu werden.

Es ist also im Jahr 2016 tatsächlich ein nennenswertes Bekenntnis, gerne in einer Villengegend neben einem hier geborenen, von Kindheit an Deutsch sprechenden und sich zum Christentum bekennenden deutschen Fussball-Weltmeister wohnen zu wollen. Oder nichts dagegen zu haben. Obwohl der ein Schwarzer ist. Wow!

Auf dieser Selbstvergewisserung baute sich der Protest-Sturm gegen die Gauland-Äußerung auf. Von BZ (die ganz nach dem Prinzip von „Wir haben abgetrieben“ bekennenden nachbarschaftswilligen Prominenten auf der Titelseite die Gelegenheit, gab „Flagge“ für Boateng zu zeigen) über Micky Beisenherz (dessen Foto-Witz  „Braune Voll Nuss“ mit Gauland darauf basierte, dass ja nicht nur Schokolade braun ist, sondern auch, ach lassen wir das) bis zum Auswärtigen Amt, das ein Foto von Boateng twitterte (wieso eigentlich das Auswärtige Amt?),  feierte sich Deutschland für seine klare kostenlose Kante gegen Rechts. Die Logik dahinter, also das Nachbarschaft-Zitat von Gauland damit als blöd zu entlarven, weil in Wahrheit ja eigentlich jeder gerne neben Boateng wohnen würde, stammt von der FAS, die die tatsächlichen Nachbarn des Fussball-Stars nach ihrer Meinung gefragt hatte.

Dabei ist dieser vermeintliche Coup der Zeitung zu den Gauland-Äußerungen über Boateng mindestens so rassistisch wie die Äußerungen selbst. Was soll / kann denn bewiesen werden dadurch, dass man Nachbarn befragt, ob Boateng tatsächlich ein normaler Mensch ist? Was wäre denn, wenn sie gesagt hätten, er wäre fies und abgehoben?

Nein, der FAS- Bericht und die darauf folgende vermeintliche couragierte Empörung haben Deutschland nicht weiter gebracht in der wichtigen Auseinandersetzung mit AfD, Pegida und Rassismus. Im Gegenteil: Die ganze Sache verklärte mehr, als sie erklärte.

Denn, erstens:

Rassismus bekämpft man nicht, in dem man jede Gelegenheit nutzt, sich selbst zu beweisen, dass man damit nichts zu tun hat. Der Kampf gegen Rassismus ist der Kampf mit sich selbst. Eines Landes mit sich selbst, eines jeden einzelnen mit sich selbst. Rassismus ist ein soziologisches und ein psychologisches Phänomen, aus dem man sich nicht einfach wegradieren darf. Wer sich immer nur darin gefällt, auf die anderen zu zeigen, kann keinen genauen Blick darauf haben, wie, wo und wann er selbst mit dem Phänomen verstrickt ist. Es ist leicht, den Udo Jürgens- Schlager vom Ehrenwerten Haus mitzusingen, zusammen mit all den anderen, die sich in diesem Moment alle darin einig sind, zu denen zu gehören, die lieber ausziehen würden aus diesem Haus, als sich der spießigen, rassistischen, grapschenden Moral der Hausinsassen zu beugen. Aber so einfach ist das leider nicht.

Es gibt ihn nicht in Wirklichkeit, diesen Brief der Hausbewohner („doch stell stell dir vor, was ich soeben unter uns’rer Haustür fand..“) , der uns so einfach die Möglichkeit gibt, ihn abzulehnen. Es ist komplizierter. Da wir ja schon über Nachbarschaft reden: Wie vorbildlich sind, wären wir als Nachbarn? Ab welchem Migrantenanteil in der Schule nebenan denken wir darüber nach, unser Kind in die Schule einer anderen Nachbarschaft zu schicken? Wieviele Klingelschilder mit ausländischen Namen an unserem Haus finden wir noch multi-kulti, ab wann denken wir auch ohne Aufforderung unserer Nachbarschaft darüber nach, diese zu verlassen? Wie wäre denn die FAS-Umfrage ausgegangen, wenn es um den „anderen“ Boateng gegangen wäre, also den nicht immer so vorbildlichen Bruder, der sich dazu noch entschieden hat, für Ghana zu spielen, der, der mit seinem „üblen Foul“ den Nationalmannschafts-Kapitän Michael Ballack um die WM brachte, und möglicherweise nicht nur ihn, sondern „uns“ alle. (Bitte jetzt nicht in den Kommentaren darüber diskutieren, ob das wirklich so war oder gewesen wäre ..) Es ist so verdammt einfach, Vorbilder zu lieben, doch damit ist gar nichts gewonnen. Die Frage ist, wie wir mit denen umgehen, die es nicht sind. Ob die vermeintlich anderen auch genauso ein Arschloch sein dürfen, wie alle anderen.

Zweitens:

So blöd wie die Kinderschokoladen-Nichtversteher von Pegida Bodensee sind die meisten Strippenzieher der neuen Rechten nicht. Sie argumentieren, agieren und paktieren cleverer, vielschichtiger. Im Wortsinne: hinterhältiger. Wir müssen uns wirklich etwas einfallen lassen, um ihre Kampagnen, Verbindungen und Strategien, ihren hinterhältigen Rassismus offenzulegen, zu bennenen und zu bekämpfen. Auch wenn (oder weil) ich sie jetzt schon vor mir sehe:

Plakate mit Boateng-Kinderschokolade in den Fanmeilen erfordern keinen Mut, machen keine Mühe, sie betrachten,  entlarven nichts, sie zeigen keine Flagge, sie sind nicht mal originell. Aber Mut, Mühe, Betrachten, Entlaven, Flagge, Originalität: Genau diese Dinge brauchen wir jetzt.

Ach ja:  Was von all dem hat denn jetzt mit Homophobie zu tun?

Alles. ♦

Lesetipp dazu: Stefan Niggemeier auf uebermedien.de (Abo) über „Die Nachbarn aus Gauland“

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