Ohne Volker Beck werden die Grünen zur Risiko-Partei für LGTBI

Die Chancen, dass die Grünen zusammen mit der Union der nächsten Bundesregierung angehören, stehen gut:

Spätestens seit der weitgehend konfliktlosen schwarz-grünen Landesregierung in Hessen gibt es auch auf Bundesebene in beiden Lagern keine unüberbrückbaren Hindernisse mehr für eine gemeinsame Koalition. Durch den erwartbaren Einzug der AfD in den nächsten Bundestag sind jenseits von Rot-Rot-Grün zudem erstmals Konstellationen denkbar, die bisher nie im Bund eine Rolle gespielt haben: Schwarz-Rot-Grün, Schwarz-Grün-Gelb (die FDP säße nach jetzigen Umfragen im Bundestag), ja theoretisch sogar Schwarz-Rot-Grün-Gelb, denn niemand kann wissen, wie hoch die AfD und wie niedrig die SPD in einem knappen Jahr fliegen werden. Es ist sehr gut möglich, dass es für eine rot-rot-grüne Mehrheit nicht reichen wird (laut aktuellem Politbarometer tut es das zur Zeit nicht) oder dass es trotz einer linken Mehrheit (wie bereits nach der nächsten Bundestagswahl) nicht zu einer entsprechenden Regierung kommen wird.

Einiges spricht sowohl gegen eine „große“ Koalition im Sinne von Schwarz-Rot (egal ob es dazu nicht reicht, oder ob es politisch nicht gewollt ist) als auch gegen Rot-Rot-Grün. Und damit dafür, dass CDU und CSU und Grüne – in welcher Konstellation auch immer – Teil der nächsten Bundesregierung werden.

Bis vor wenigen Monaten konnten sich Lesben und Schwule weitgehend sicher sein, dass  dieses Szenario zu ihrer rechtlichen Gleichstellung führen würde. Die Grünen würden nicht wie die SPD nach der letzten Bundestagswahl ausgerechnet bei der „Ehe für Alle“ gegenüber der Union klein beigeben. Nicht die Grünen, die wie keine andere Partei für LGTBI*-Rechte gekämpft haben. Und Angela Merkel würde ihren „strategischen“ Widerstand aufgeben, sich also das Ja zur „Homo-Ehe“ in Koalitionsverhandlungen abkaufen lassen, und diese somit auch für den ur-homoboben Bodensatz der Union erklärbar, vielleicht sogar unvermeidbar darstellen können.

Doch in den letzten Monaten hat sich in beiden politischen Gruppen etwas geändert:

Die Union übt sich seit Neustem bereits in einem Kunststück, dass sie im Wahlkampf womöglich in Höchstform beherrschen wird: Homophobe Hetze bei gleichzeitigem homo-freundlichem Schönwettersprech. Bereits jetzt erkennen die allermeisten Medien kein Problem darin, dass sich die CSU u.a. mit ihrer Warnung vor einer vermeintlichen „Frühsexualisierung“einstimmig ein explizites homophobes Parteiprogramm gegönnt hat. Nichts spricht dafür, dass sich das im Wahlkampf ändern wird.

Aber auch bei den Grünen nehmen die homophoben Töne zu, und zwar ausgerechnet bei den Politikern, die es als ihre Aufgabe sehen, Schwarz-Grün im Bund vorzubereiten. (Hier habe ich aufgeschrieben wie sehr die besonders von den Grünen Boris Palmer und Winfried Kretschmann strapazierte Aussage, dass man nicht automatisch homophob sei, wenn man gegen die „Ehe für alle“ ist, bewusst homophobe Unterstellungen bedient.) Die Schwarz-Grün Pioniere Jens Spahn (CDU) und Boris Palmer scheinen entschlossen zu sein, die Basis für eine gemeinsame Regierung auf einem Verständnis von Homophobie aufzubauen, nachdem die Homos und nicht ihre ressentimentgeleiteten Rechteverweigerer das Problem darstellen.

Doch entscheidend in möglichen Koalitionsverhandlungen werden zwei Frauen sein, von denen es heißt, dass sie nicht nur menschlich, sondern auch politisch gut miteinander können: Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt, die bereits als eine von zwei grünen Spitzenkandidat*innen feststeht.

Die Frage, ob sie „die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner*innen in eventuellen (schwarz-grünen) Koalitionsverhandlungen als unverhandelbar ansehen“ würde, beantworte Göring-Eckardt zwar nicht wörtlich mit „Nein“. Aber mit Polikersprech, das genau das meint:

„Ich möchte darüber verhandeln, nicht ‚unverhandeln‘. In welcher Konstellation wir dazu kommen, wissen wir nicht. Erst einmal müssen wir darum kämpfen, dass unser Ergebnis so gut ist, dass man an uns nicht vorbei kommt.“

Wir sind also schon so weit, dass die Grünen der Union bereits ein Jahr vor möglichen Koalitionsverhandlungen vermitteln, dass diese an der „Ehe für Alle“ nicht scheitern wird.

Das kann von Lesben und Schwule in Deutschland nicht anders als eine Warnung verstanden werden: Auf die Grünen werden sie sich nicht verlassen können.

Umgekehrt müssen aber auch die Grünen gewarnt sein: Sie werden sich auf die Teile der Community nicht mehr verlassen können, für die ihr bedingungsloser Einsatz für die Gleichstellung bisher ein entscheidendes Wahlkriterium war.

Ausgerechnet in dieser Situation kann es sein, dass die Partei einen der wenigen Garanten einer durchsetzungsstarken LGTBI-Politik verliert. Auf dem Parteitag der NRW-Grünen am nächsten Freitag, bei dem die Kandidaten für die nächste Bundestagswahl bestimmt werden, sieht es so aus, als ob Volker Beck auf einem Listenplatz starten muss, der einen Wiedereinzug in das Parlament sehr unwahrscheinlich werden lässt.

Keiner ist unersetzbar in der Politik. Aber niemand ist so schwer ersetzbar in der deutschen LGTBI-Politik wie Volker Beck. Natürlich muss auch er sich daran gewöhnen, dass er nicht das prominenteste, vielleicht auch nicht das wichtigste Gesicht im Parlament sein wird, wenn es um die Gleichstellung geht. Aber der Kampf um LGTBI-Rechte ist maßgeblich von ihm geführt werden. Wenn er ausgerechnet vor der entscheidenden Schlacht aus dem Verkehr gezogen wird, kann das für Lesben und Schwule nichts Gutes bedeuten.

Ob es soweit kommt, müssen jetzt die Grünen entscheiden.

Ich mag Volker Beck. Aber darum geht es jetzt nicht. Auch all diejenigen, die Volker Beck (aus welchen Grund auch immer) nicht oder nicht mehr sehen können, sollten sich fragen, ob sie sich das leisten können: Ausgerechnet jetzt auf ihn verzichten zu wollen.

Das gilt für Lesben und Schwule. Aber zunächst gilt das für die Grünen.

Weitere Beiträge in diesem Blog zum Thema:

„Nur weil man gegen die Homo-Ehe ist, ist man noch lange nicht homophob“:Über das Entstehen einer neuen homophoben Kampfrhetorik

2 Gedanken zu „Ohne Volker Beck werden die Grünen zur Risiko-Partei für LGTBI

  1. Interessant ist auch, dass Merkel und ihre CDU neuerdings massiv für die Rechte von Schwulen und Lesben eintreten – und welche Zielrichtung das hat. Nicht die Rechte selbst sollen endlich voll anerkannt und durchgesetzt werden. Nicht Schwule und Lesben werden angesprochen. Nein, die Pseudo-Toleranz-Propaganda ist Teil der Migrations- und Integrationspolitik. Merkel und die Ihren haben erkannt, dass das Maximum, das den muslimischen Einwanderern als Kriterium für das Prädikat „guter Muslim“ abverlangt werden kann, gerade jene Akzeptanz ist, die sie selbst -Merkel und ihre Partei- nicht zugestehen. Und der allerneuste Witz ist, dass Merkel jetzt sogar von Donald Trump verlangt, was sie selbst ablehnt. Sie will öffentlich zeigen, dass sie an allen Fronten für uns kämpft. Nur eben nicht bei den deutschen Gesetzen. Der uninformierte Durchschnittsbürger soll sie als Homofreundin erster Güte wahrnehmen und genervt auf die schwulen Stänkerer reagieren, die immer noch mehr wollen. Ein dreckige Strategie. Und wahrscheinlich eine erfolgreiche. Selbst die Grünen akzeptieren sie schon.

  2. Wenn die Grünen die Ehe für alle für eine Regierungsbeteiligung opfern, dann droht ihnen dasselbe Schicksal wie zuvor der FDP.
    Ich habe es damals immer gesagt und bin mir auch heute noch sicher: Hätte die FDP um jeden Preis vor der letzten Wahl die Eheöffnung durchgedrückt, wäre sie nicht aus dem Bundestag geflogen. Die FDP war traditionell die Heimat der konservativen Homos und ihrer Unterstützter, sprich Familien und enge Freunde. Die sind ihnen in Scharen davon gelaufen.
    Entsprechend sind die Grünen die Partei der eher linken Homos samt Anhang. Das entsprechende Wählerpotenzial liegt sehr sehr weit jenseits des Anteils Homosexueller an der Gesamtbevölkerung.
    Die Eheöffnung in Verhandlungen zu opfern wäre eine Dummheit von enormem Umfang, der sich sehr bittet rächen könnte.
    Eigentlich müsste man glauben, dass man so dumm nicht sein kann. Aber schon die FDP hat uns da eines besseren belehrt.

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