„Vater“ des Berliner CSD: „Niemanden ausschließen!“

Nutzen wir in diesem besonderen Jahr den CSD, um uns in unserer Vielfalt besser kennen zu lernen, um uns gegenseitig zuzuhören, um zu lernen, was uns ausmacht und was wir gemeinsam gestalten können. Ich empfehle Euch da z.B. Bernd Gaiser, er ist einer der „Väter“ des ersten Berliner CSDs 1979 und wird in diesem Jahr mit dem „Soul of Stonewall Award“ des Berliner CSD e.V. geehrt, der am Samstag Nachmittag auf der Hauptbühne verliehen wird. (Weitere PreisträgerInnen sind Carolin Emcke, Robert Beachy und Emmanuel Odhiambo Nyambwa, Infos zu allen gibt es hier).

Nutzen wir diesem besonderen Jahr den CSD, um uns bei Menschen wie Bernd zu bedanken. Und um Menschen wie Fritz zu ehren, einem Opfer des § 175, der in Bernds Fahrradrikschagruppe mitfahren wird. Und all denen zu gedenken, die das nicht mehr erleben durften.

Hier meine Fragen an Bernd Gaiser:

 

Was ist nur aus Eurem CSD geworden?

Vieles ist heute wenig einladend. Zu laut. Nicht überschaubar. Zu wenig politisch. Vor allem aber überwiegend kommerziell.

Bis in die 1990iger Jahre diente der CSD dazu, Freunden zu begegnen. Inzwischen ist es nötig, mich vorher mit ihnen zu verabreden. Was vor 38 Jahren noch nicht nötig war. Damals war halt alles überschaubar und vermittelte den Eindruck, alle Teilnehmenden persönlich zu kennen.

Was gefällt Dir am heutigen CSD besonders gut?

Nach Scheitern meines Versuchs, den CSD e.V. im Forum 2008 dafür zu gewinnen, das Thema Generationendialog zur Überbrückung der Kluft zwischen Alt und Jung zum Motto zu machen, habe ich mich zur Eigeninitiative entschieden und bin seit vier Jahren auf jedem CSD mit Freunden unterwegs. Von Manno-O-Meter, der Gruppe „Rostfrei“ von Vorspiel und aus dem Gesprächskreis Anders Altern der Schwulenberatung Berlin. Und zwar als Fahrradrikschagruppe, um uns Älteren als Ansprechpartner anzubieten, die davon ausgehen, dass der CSD nicht mehr ihr Ding ist, sie also zu alt dafür sind. Und das seit vier Jahren, mit wachsendem Erfolg.

Warum brauchen wir den CSD?

Mein persönliches Motto zum CSD 2017 besteht darin, mit meiner Teilnahme daran, genau wie vor 38 Jahren zur Sichtbarmachung und Akzeptanz unserer queeren Lebensweise beizutragen. Weil sich an dieser Notwendigkeit nichts geändert hat.

Entschädigung der Opfer des § 175 oder „Ehe für alle“: Was hat Dich dieses Jahr mehr berührt?

Berührt hat mich in diesem Jahr die Vollendung der Rehabilitation und Wiedergutmachung der Opfer des § 175. Und die Erinnerung an einen Freund, der 1965 davon betroffen war und die ihm drohnende Anklage zum Anlass nahm, sich selbst für immer aus dem Verkehr zu ziehen. Wegen der für ihn und seine Familie damit verbundenen Schande. Als Freunde waren wir uns an seinem Grab einig, in unserer Trauer um ihn und in der Wut darüber, es in Schwulen mit Menschen zweiter Klasse zu tun zu haben. Heute bleibt der bittere Nachgeschmack, dass ein Rest an Ungleichheit bestehen bleibt.

„Deine Stimme gegen Rechts“: Was tun gegen Rechtspopulismus?

Was das Gesetz der Ehe für alle betrifft, war auffällig, dass seine Gegner in einem bislang nicht gekannten Ausmaß darum bemüht waren, uns weiszumachen, nicht aus homophoben Beweggründen zu handeln. Weshalb denn sonst! Wir dürfen also  davon ausgehen, dass die Sache damit nicht erledigt ist. Solange Gegenwind herrscht ist der Kampf nicht zu Ende – gegen Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transphobie. Eben sowenig wie die Notwendigkeit zur Aidsprävention und zum Generationendialog zwischen Alt und Jung.

Auch dieses mal wird es für viele junge LGTBI der erste CSD sein. Was willst Du ihnen sagen?

Jüngeren empfehle ich die Teilnahme am CSD zum Anlass zu nehmen, ihren Stolz auf die jeweils eigene Lebensweise zum Ausdruck zu bringen. Im Rahmen der gesamten Vielfalt der queeren Community. Ob lesbisch, schwul, bi, trans*, inter – sollte dabei keine Rolle spielen. Weil es sich in dem gegenwärtigen CSD darum handelt, alle einzubeziehen und niemanden auszuschließen. Um im Rahmen unserer Teilnahme daran, den CSD zu unserem gemeinsamen CSD zu machen und ihn nicht denen zu überlassen, die bloß kommerzielle Interessen damit verbinden.

Wie rüstest Du Dich für den CSD? Hast Du Rituale?

Am Tag vor dem CSD treffe ich mich mit Freunden beim Rikschaverleih, um die Fahrzeuge auf drei Rädern anschließend gemeinsam zu schmücken – mit bunten Ballons, Fahnen, in Regenbogenfarben, großformatigen Fotos, bei denen das Alter eine Rolle spielt, und mit den jeweiligen Gruppenlogos, was immer mit Spaß verbunden ist. Die von mir zu fahrende Rikscha wird über Nacht im Hof des „Lebensort Vielfalt“ geparkt, als meinem Lebensmittelpunkt seit fünf Jahren. Und am folgenden morgen vor dem CSD bin ich aufgeregt und freue mich darauf, gemeinsam zu ihm aufzubrechen. Diesmal mit einem der Opfer des § 175, Fritz, der mit 75 nicht mehr der Jüngste und auch nicht mehr ganz gesund ist. Und sich darauf freut, in der Rikscha am CSD teilzunehmen.

Und dem die Erleichterung anzumerken ist, nicht mehr vorbestraft zu sein, weil für ihn eine befreiend Wirkung damit verbunden ist. ♦

Zum Thema hier im Blog:

Mein Problem mit dem diesjährigen CSD-Motto

Sechs Tipps für Journalisten, die über einen CSD schreiben wollen

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2 Gedanken zu „„Vater“ des Berliner CSD: „Niemanden ausschließen!“

  1. Pingback: » Nina Queer entschuldigt sich für rassistisches Posting und fällt Berliner CSD-Vorständen in den RückenIch hab ja nichts gegen Schwule, aber

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