Charlottesville: Donald Trumps falsche Opferlogik und was Angela Merkel damit zu tun hat

Nein, ich möchte wirklich nicht Angela Merkel mit Donald Trump vergleichen. Nochmal: Nein, ich möchte wirklich nicht Angela Merkel mit Donald Trump vergleichen. Und der Hass, der einen dazu antreibt, mit einem Auto einen Menschen  tot zu fahren und den Tod anderer Menschen zu provozieren, ist etwas anderes als das dumpfe abwertende Gefühl, dass dazu führt, für das Verbot gleicher Rechte anderer zu streiten.

Aber es gibt doch eine gemeinsame Auffälligkeit an beiden Gegebenheiten, also dem Kampf der Rassisten in Amerika, der immer wieder, und jetzt eben wieder in Charlottesville zu einem Mord führte, und dem ungleich harmloseren und bis jetzt praktisch gewaltlosen Kampf deutscher Homohasser, der jetzt wieder rund um die Diskussionen um die Ehe für alle zu sehen war. Es gibt eine gemeinsame Auffälligkeit, die nichts mit den völlig unterschiedlichen Aggressionen zu tun hat, mit denen Minderheiten hier konfrontiert wurden und werden. Sondern mit den Reaktionen der jeweiligen Regierungschefs darauf.

Denn wenn Angela Merkel nach der Abstimmung über die Ehe für alle als erste Reaktion vor allem „gegenseitigen Respekt“ einforderte, dann ist das genau so das falsche Signal, wie wenn Donald Trump in seinem ersten Tweet Hass, Fanatismus und Gewalt auf „vielen Seiten“ verurteilte.

Noch mal: Ich habe nicht gesagt, es ist genau so schlimm. Was ich sage ist: Es ist genau so falsch.

Die Richtung stimmt nicht. Beide Ereignisse markieren, wenn auch mit entgegengesetzten Vorzeichen, das Leid der Diskriminierung einer bestimmten Minderheit. Und wenn auch beide Ereignisse in so vielen Hinsichten doch so unterschiedlich sind, so wäre es doch jeweils Aufgabe der beiden Regierungschefs gewesen, angesichts dieser Markierungen endlich und eindeutig die diskriminierte Minderheit vor ihren Diskriminierern zu schützen. Was in erster Linie bedeutet: Sie in ihrer Verantwortlichkeit zu trennen, Ursache und Wirkung zu benennen. Statt alle zu gleichsam Leidenden zu erklären.

Natürlich ist es so naiv wie unredlich, von Angela Merkel zu verlangen, sich von ihrer eigenen Haltung, von ihrem eigenen Abstimmungsverhalten zu distanzieren. Aber die Weigerung in einer solchen historischen Stunde nicht in erster Linie die explizite Leidensgeschichte der betroffenen Minderheit herauszustellen und dafür zu werben diese zu beenden, sondern im Gegenteil: Die Situation sogar noch dafür zu nutzen, deren Gegnern eine gleichsame Betroffenheit zu attestieren …

(Merkel am 30. Juni direkt nach der Abstimmung über die Ehe für alle:

„Es ist richtig, was heute gesagt wurde: Es war eine lange, intensive, für viele auch emotional sehr berührende Diskussion das gilt auch für mich ganz persönlich. Und deshalb hoffe ich, dass mit der Abstimmung heute nicht nur der gegenseitige Respekt, zwischen den unterschiedlichen Positionen da ist, sondern, dass damit auch ein Stück gesellschaftlicher Friede und Zusammenhalt geschaffen werden konnte.“)

… ist eben – wie bei Trump – keine Nebensächlichkeit.

Es ist ein Prinzip. Eine bewusst konstruierte Legende, die dazu da ist, das Anliegen der Minderheit zu diskreditieren.

Eine bewusst konstruierte Legende, die im Endeffekt dazu da ist, den Kampf gegen eine Minderheit mit einer perfiden, aber offenbar fruchtbaren Argumentationslogik weiterzuführen:

Dass das Wehren gegen eine Diskriminierung auch eine Diskriminierung ist. Und somit: Dass die „andere Seite“, (oder bei Trump: die anderen Seiten) eben auch Opfer sind.

Nein, Merkel ist nicht Trump. In vieler Hinsicht ist sie sogar sein Gegenteil. Aber dass sie es in diesem einen Punkt eben nicht ist, ist dann doch bemerkenswert. Denn eine konstruierte Legende, eine perfide Argumentationslogik ist nicht erst dann falsch, wenn damit Morde verharmlost werden.

Vorschaubild:  reichdernatur / Fotolia.com

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Ein Gedanke zu „Charlottesville: Donald Trumps falsche Opferlogik und was Angela Merkel damit zu tun hat

  1. Danke für diesen Einwurf, lieber Johannes.

    Wir konnten dieses bigotte Geschwurbel von „beide Seiten haben ein bisschen Recht“ in ganz ähnlicher Weise schon anderswo beobachten:

    Etwa bei Boris Palmer, der die klare Verurteilung homophober Haltungen ihrerseits als „Intoleranz und Jakobinismus“ verleumdete und zu einer „entspannten“ Reaktion auf menschenverachtende Aussagen riet.

    Oder bei Winfried Kretschmann, der vor einer „übersteigerten politischen Korrektheit“ warnte, sobald es darum ging, Ungerechtigkeiten klar zu benennen und der bezüglich der Kritik an Diskriminierungen eine „neue Mitte“ finden wollte – was wohl nichts anderes heißen kann als sich mit einem „gesunden Maß“ an Queerfeindlichkeit, Sexismus und Xenophobie zu arrangieren, statt diese konsequent und überall zu kritisieren, wo sie auftreten.

    Palmer und Kretschmann unterziehen das angeblich „übertriebene“ Engagement für MEHR Gerechtigkeit derselben moralischen Abwertung wie den Einsatz für WENIGER Gerechtigkeit. Mit diesem Manöver kündigen sie die eindeutige Solidarität mit der gerechten Sache im Grunde auf und verteidigen den ungerechten status quo.

    In die selbe Reihe stellte sich kürzlich auch Sigmar Gabriel, der die Bundestagssitzung zur Eheöffnung nicht etwas dafür lobte, dass dort eine überfällige gesellschaftliche Frage endlich zugunsten der Gerechtigkeit beantwortet worden war. Er erkannte die „Sternstunde des Parlaments“ ausgerechnet in dem Fakt, dass alle Abgeordneten die „Gewissensfreiheit“ hatten, sich gegen oder eben auch für das Fortsetzen der Diskriminierung zu entscheiden.

    Wir können hier auch die unzähligen Talkshows einreihen, deren Konzept suggeriert, eine Diskussion über Diskriminierung und Hass sei nur dann „gerecht und ausgewogen“, wenn sowohl die Befürworter:innen als auch die Gegner:innen von Diskriminierung und Hass eingeladen würden.

    Das ethische Trauerspiel, das du hier so treffend analysierst, ist also leider nicht auf Einzelfälle begrenzt.

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