Merkel wählen? Ja. Aber. Nein!

Jetzt, wo die Ehe für alle so gut wie durch ist: Ist also das Homo-Thema kein Grund mehr Merkel nicht zu wählen?

JA, Homosexuelle sind nicht Mitglieder einer Sekte, Homosexualität ist kein Weltbild. Es gibt konservative Homosexuelle, Lesben und Schwule, die sich im Wirtschaftsprogramm, in der Außen- oder Sozialpolitik von CDU und CSU wiedererkennen. Unabhängig von unseren gemeinsamen hat jeder von uns andere, unterschiedliche Interessen, auf die er ein Recht hat, in unterschiedlichen Parteien nach Verbündeten zu suchen. Es ist auch ein Zeichen unserer Emanzipation, dass unsere Wahlentscheidungen individueller sind, dass wir ein großes politisches Spektrum bilden und dass ein solches Spektrum anders als zu früheren Zeiten unserer rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung nicht mehr torpediert.

Vor einigen Jahren hatten Homosexuelle in der Union (so wie heute in der AfD) vor allem die Funktion, die Homosexuellenfeindlichkeit der Partei harmloser wirken zu lassen. Das hat sich geändert: Die Lesben und Schwulen (LSU) in der Union haben sich für die gesamte Bewegung verdient gemacht, als sie sich in Sachen Ehe für alle nicht nur klar positioniert hatten, sondern auch parteiintern Druck ausgeübt, Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet haben.

ABER: Auch heute ist die Union ein mehrheitlich homosexuellenfeindlicher Organisationsverbund. Die Diskussion um die Ehe für alle hat zwei Entscheidung aus jüngster Zeit etwas aus dem Blick geraten lassen, die zeigen, wie sehr die Abwertung von Homosexuellen weiterhin zum Markenkern der Konservativen gehört: Die wirklich eklige symbolhafte Weiterdiskriminierung von Opfern des 175 im Entschädigungsverfahren (hier habe ich mich in der taz dazu geäußert: „CDU und CSU, das sind Täterparteien“) und die Übernahme der Homo-Hasser Stimmungsmache inkl. Warnung vor angeblicher „Frühsexualisierung“ im CSU-Parteiprogramm. Dass die Kanzlerin sich in einer Wahlsendung hinstellt und allen ernstes dazu auffordert, man solle sie bitte darauf hinweisen, wenn es in unserer Gesellschaft Homophobie geben sollte, weil sie dann in vorderster Front dagegen kämpfen wolle, zeigt die nach wie vor zynische Haltung der Union: Sie möchten weiter diskriminieren, weiter das Vorführen von Homosexuellen zur Bindung ihrer reaktionären Klientel missbrauchen, so lange es irgendwie geht. Aber es soll nicht mehr so übel riechen wie früher. Und so machen sie es diffus: Homophobie mit einem freundlichen Gesicht.

Wie etwa lässt sich die von Unions-Politikern immer wieder geäußerte Aussage interpretieren, dass sie – auch wenn sie selbst dagegen waren – die Entscheidung für die Ehe für alle begrüßen, weil sie dazu beitragen wollen, dass das Thema zu „befrieden“? Obwohl die komplette Fraktion am Tag selbst im Bundestag dagegen votierte, dass die Abstimmung überhaupt auf die Tagesordnung kam?

Angela Merkel sagt, der einzige Grund, warum sie dann dagegen gestimmt habe, sei die im Grundgesetz angeblich festgeschriebene Definition der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau. Wolfgang Schäuble sagte bei Anne Will, ihm wäre es lieber gewesen, man hätte das nicht über ein Gesetz sondern über eine Änderung des Grundgesetzes geregelt. Das ist schon Verarschungskunst auf ganz hohem Niveau. Wenn die Unionsführung, wie sie suggeriert, wirklich der Meinung ist, die Ehe für alle zu unterstützen, wenn sie grundgerechtskonform sei: Was hält die Union davon ab, einen Vorschlag dazu zu machen, um das überparteilich in Angriff zu nehmen?

Wie etwa lässt sich das CDU Wahlkampfplakat deuten, auf dem „Mehr Respekt für Familien“ gefordert wird? Stefan Mielchen, dem ersten Vorsitzenden des Hamburg Prides schreibt dazu meiner Meinung nach völlig zu Recht auf Facebook:

„Ich kenne keine Partei, deren Programm es an Respekt gegenüber Familien mangeln lässt, ganz im Gegenteil. Aber offenbar wirkt das Gift, das AfD und „Demo für alle“ verbreiten. Diejenigen, die auf das „Recht des Kindes auf Vater und Mutter“ pochen, deren Familienbild vor 50 Jahren stehengeblieben ist und die vor jeglicher gesellschaftlichen Weiterentwicklung warnen, finden hier in der Union eine Verbündete. Das Plakat spielt genau mit diesen Motiven.“

Ich weiß, dass die Homophobie der Union viele Homosexuelle, auch viele, die sich sehr darüber ärgern, nicht davon abhält, sie trotzdem wählen zu wollen. „Ich definiere mich ja nicht nur über meine Sexualität“ höre ich dann oft, was ich ehrlich gesagt für ein ziemlich fragwürdiges Argument halte: Klar definieren wir uns nicht „nur“ darüber, klar gibt es so viel mehr, das uns ausmacht. Aber wer Homosexualität angreift, unsere sexuelle Identität, der greift uns im Ganzen an. Aber jemand, der Homosexualität abwertet, der will, dass wir nicht so sind, wie wir sind.

Ein anderes Argument kann ich besser verstehen, es ist eines, dass im letzten Jahr bei den US Wahlen eine große Rolle gespielt hat: Demnach hätten auffallend viele Wähler für Trump gestimmt, obwohl sie mit vielem seiner Themen grundsätzlich nicht übereingestimmt haben, ihnen aber ein „Single Issue“, ein Einzelthema besonders wichtig gewesen war. Die „Single Issue“-Gefahr thematisierte auch Hillary Clinton, als sie ihrem demokratischen Vorwahl-Konkurrenten Bernie Sanders vorwarf, ein „Singe Issue“-Kandidat zu sein.

Ist es also falsch, ein Einzelthema zum Maßstab seiner Wahlentscheidung zu machen, auch wenn dieses Thema für die eigenen Interessen, das eigene Wertegefühl von maßgeblicher Bedeutung ist?

Ist das nicht sogar egoistisch?

Auf die konkrete Situation in Deutschland bezogen: Relativiert sich nicht das Defizit der Union bei LGBTI-Themen, wenn man die Rolle der Kanzlerin als „Anführerin der freien Welt“ als Garantin einer grundsätzlich humanen Flüchtlingspolitik betrachtet?

Natürlich ist es als Schwuler schwer, sich von seiner eigenen „Betroffenheit“ zu lösen, wenn es darum geht, die Wichtigkeit von  LGBTI-Themen für die Politik zu bewerten. Aber hier geht es nicht um Klientelpolitik, sondern die grundsätzliche Einstellung zu Menschenrechten, darüber, was für ein Bild von Gesellschaft ich wählen möchte. Ist Rassismus auch ein „Single Issue“, ist es okay eine Partei zu wählen, die ansonsten prima aber eben rassistisch wäre? Wo ist der Unterschied?

Wenn Haltungen in der Union genehm sind wie die des Präsidiumsmitgliedes Annegret Kramp-Karrenbauer,  dass „das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts“ durch die Ehe für alle erodiert werden könnte, dann ist ist das nicht nur creepy, was Haltung zu Homosexuellen betrifft: Es zeigt, dass solche Leute ganz grundsätzlich die Funktionsweise von Gesellschaft nicht verstehen. Homophobie ist kein Einzelthema, keine vernachlässigbare Nebenwirkung. Sie ist ein Symptom. Ein Symptom, das die gesamte Verfasstheit einer Organisation, einer Partei erkennen lässt. Ein Symptom für ein höchst problematisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Nichts spricht dafür, dass Merkels meiner Meinung nach grundsätzlich richtige Haltung in der Flüchtlingsfrage möglich gewesen wäre ohne die Eskalation dieses einen Tages, nichts spricht dafür, dass die auf Abwertung anderer gepolte Union sich den Verlockungen des Populismus nicht viel weiter nachgegeben hätte.

Dass LGBTI-Politik unter Merkel kein „Single Issue“ ist, kann man daran erkennen, wie sehr ihr Verhalten beim Thema Ehe für alle mit der anderer Weichenstellungen übereinstimmt: Genau wie die angekündigte Abstimmungsfreigabe zur Eheöffnung im Parlament, genau wie ihre Entscheidung in der Flüchtlingsfrage kam auch der Atomausstieg zustande: In einer politischen Notsituation, einer, der ihr kaum eine andere Möglichkeit des Handelns blieb.

Merkel wegen ihrer Homo-Politik nicht zu wählen, heißt auch, sie deshalb nicht zu wählen, weil ihre Homo-Politik gezeigt hat, dass sie wichtige Themen so lange hinauszögert, bis keine gute Lösung mehr möglich ist. So, wie wir durch sie und ihre Partei eine viel zu späte und für alle Beteiligten unwürdige Einführung der Ehe für alle haben, haben wir auch einen verkorksten, überteuerten Atomausstieg, eine viel zu späte und überstürzte Bundeswehrreform. Undsoweiter.

Für die Zukunftsfragen wie Digitalisierung, Klimaschutz, Globalisierung, die Fragen von Demographie und Gerechtigkeit brauchen wir eine politische Führung, die eine Vorstellung davon hat, wie Gesellschaft aussehen soll. Und wie man sie gestalten kann.

Auch wenn einem das LGBTI-Thema egal ist: Merkels Verhalten beim LGBTI- Thema hat gezeigt, dass sie beides nicht kann. Und da Merkel wählen ohne Seehofer wählen, und Seehofer wählen ohne eine AfD-Anbiederungspolitik zu wählen eben nicht geht:

Merkel wählen?

NEIN! ♦

Mehr im Blog zum Thema:

Warum nicht AfD-wählen nicht ausreicht.

Textsammlung im Archiv: Die Homophobie von CDU / CSU

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3 Gedanken zu „Merkel wählen? Ja. Aber. Nein!

  1. Brillant analysiert und treffend formuliert. Das kann ich nur mit beiden Händen dick unterstreichen.

  2. Genau das ist es, was mich an Merkel schon immer gestört hat und sie für mich unwählbar macht. Sie lässt einfach alles laufen, bis sich von alleine ein Konsens herausbildet oder eine Entscheidung – um es mit einem ihrer Lieblingsphrasen zu sagen – alternativlos ist. Ein Mensch mit so einer Einstellung ist in meinen Augen völlig fehl am Platze an der Spitze der Regierung. Merkels bräsiger Regierungsstil hat mit Sicherheit erheblichen Anteil am Erstarken rechtsextremer Kräfte in diesem Land.

    Ich möchte jemanden, der Visionen hat (und deswegen nicht gleich zum Arzt geht), der diese auch kommuniziert, der sich nicht scheut, mit Leuten zu debattieren oder auch mal Entscheidungen zu treffen, die ein Risiko für die eigene Position bedeuten. Leider sehe ich da bei dieser Wahl komplett schwarz.

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