Die transfeindliche Promo einer Martenstein-Kolumne und die doppelte Leserverachtung der „Zeit“

Ein Klassiker. Und der beginnt so: In seiner wöchentlichen ZEITmagazin-Kolumne macht sich Harald Martenstein am 18. Dezember unter der Überschrift „Über das gefühlte Alter“ darüber lustig, dass sich Menschen jünger machen, als sie eigentlich sind. Er beschreibt u.a. den Fall eines Mannes, der sich sein gefühltes jüngeres Alter sogar in seinen Pass eintragen lassen will. Er zitiert den Mann mit den Worten:
„Wenn eine Frau, die sich als Mann fühlt, offiziell ein Mann werden darf, warum darf dann ein 69jähriger, der sich wie 49 fühlt, nicht offiziell 49 werden?“
Wie gesagt, das fragt nicht Martenstein, sondern der Protagonist seiner Kolumne. Was aber für den weiteren verlauf der Geschichte ziemlich egal ist, denn im Teaser, der seinen Text auf Twitter anpreist, behauptet die Redaktion vom Autor unwidersprochen:
„Eine Frau die sich als Mann fühlt, darf offiziell ein Mann werden. Aber warum darf dann ein 69-Jähriger, der sich wie 49 fühlt, nicht offiziell 49 werden, fragt sich #Martenstein.“
Unabhängig davon, ob die Redaktion ihrem Autor hier ein transphobes Zitat unterschiebt, oder sich dieser das Zitat selbst zu eigen macht: Dass die Aussage an sich transphob ist, sollte man mit einem Medium wie der „Zeit“ nicht ernsthaft diskutieren müssen. Doch da die Redaktion offensichtlich nicht den leisesten Schimmer davon hat, was Transphobie eigentlich ist, macht sie mit ihrer Reaktion auf Twitter die Sache dann erwartbar richtig schlimm:
Der Tweet zu einer #Martenstein-Kolumne hat Kritik hervorgerufen. Wir bedauern, dass der falsche Eindruck entstanden ist, diese sei transfeindlich. Deshalb haben wir den den Text vorübergehend auch für Nicht-Abonnenten geöffnet. Bitte lesen sie selbst.
Spätestens an dieser Stelle hätte die Redaktion einfach sagen können: Ein transfeindlicher Tweet hat den Eindruck erweckt, dass auch der dazugehörige Kolumnentext transfeindlich ist. Doch dafür hätte sie einen Fehler eingestehen müssen. Oder zumindest: Ihn erkennen. Die Verschlimmbesserung rassistischer, sexistischer, homo- oder der transphober Texte durch  deren vermeintliche Richtigstellung ist ein Klassiker: Der betroffene Autor oder seine / ihre Redaktion sprechen dann meist davon, dass „ein falscher Eindruck“ entstanden sei. Doch die Entschuldigung, die sie dann formulieren, ist in Wahrheit eine Beschuldigung. Denn die „Entschuldigung“ betont, dass nicht der Autor mit seiner rassistischen, sexistischen, homo- oder der transphoben Aussage etwas falsch gemacht hat, sondern all die, die diese (angeblich fälschlicherweise) so verstanden haben. Nicht der Diskriminierer ist also das Problem, sondern die Diskriminierten. Aber die in einer solchen redaktionellen „Entschuldigung“ enthaltene Leserverachtung ist in Wahrheit noch dreister: Denn dem Leser zu erklären dass er falsch tickt, ist das eine. Sich für etwas zu entschuldigen, dass man der eigenen Überzeugung ja gar nicht gemacht hat, ist die doppelte Entmündigung. Was – in diesem Fall die „Zeit“ – eigentlich sagt: Du bist nicht nur zu blöd, die Aussage richtig zu verstehen, du bist sogar so blöd, dass man dich gar nicht verantwortlich machen kann dafür. Deswegen tun wir das. Deswegen entschuldigen wir uns bei Dir für Deine eigene Blödheit. Wie gesagt: Ein Klassiker.  Bei der „Zeit“ kommt jedoch erschwerend hinzu, dass sie von der eigenen Nicht-Anfälligkeit für sowas wie Homo (oder Trans-) phobie so restlos überzeugt zu sein scheint, dass jede Diskussion hierüber offensichtlich zwangsläufig entgleisen muss. Andererseits: Was kann der Veranschaulichung der allgegenwärtigen Transphobie in Gesellschaft und Medien besseres passieren, als die Zurschaustellung der eigenen Transfeindlichkeit durch ein Medium, dass einen Text promoten will, der nicht einmal transfeindlich ist? ♦ — Weitere Texte im Blog zum Thema: Die schrecklich-nette Homophobie der „Zeit“

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