Warum Ralf König Deutschlands bedeutendster lebender schwule Autor ist

Als ich in einem Chat mit einem Freund schrieb, dass ich gerade Ralf Königs neues Buch lese, textete der zurück: „Du meinst sein neues Comic-Buch?“. Das Problem an Textnachrichten ist, dass die Zwischentöne auf der Strecke bleiben. Ich konnte also nicht wissen, ob es eine reine Verständnisfrage war, er also sichergehen wollte, um welches Buch es sich handelte. Oder ob da auch mitschwang: Du meinst schon sein Comic-Buch, oder schreibt der auch „richtige“ Bücher?

Ralf König ist unbestritten einer von Deutschlands bedeutendsten Comic-Zeichnern, ganz sicher natürlich der bedeutendste schwule deutsche Comiczeichner, wenn nicht sogar weltweit. Aber König ist viel mehr als das. Auch unabhängig der Kategorie „Comic“ müssten diese Superlative gelten. Denn Ralf König ist nicht nur der bedeutendste deutsche schwule Comic-Zeichner/Autor:

Er ist Deutschlands bedeutendster lebender schwule Autor.

Niemand hat schwules Leben in Deutschland so konsequent, so erfolgreich, so geistreich, so vielschichtig und, das ist wahrscheinlich am wichtigsten: so ehrlich, so witzig, so traurig, so kompromisslos, so ausdauernd gezeichnet. In seinen Bildern, aber eben auch in seinen Geschichten und Dialogen.

Keine Ahnung, warum das, was doch eigentlich so offensichtlich ist, so schwer über die Zunge geht. Keine Ahnung, warum er zwar alle bedeutenden Comic- und Community-Preise abgeräumt hat, aber noch nie einen Literaturpreis. Denn abgesehen von allem, wofür man ihn natürlich ehren muss: Warum nicht einfach dafür, dass das, was er da macht, ganz große, wichtige Literatur ist? Liegt es daran, dass seine Bilder zu gut, zu selbsterklärend sind, dass man vergisst, dass das für die Inhalte der Sprechblasen eben auch gilt?

Liegt es daran, dass er – besonders in Deutschland – in der doppelten Nische einsortiert ist? Dass in einem Land, das immer noch zwischen „E“ (ernsthafter) und „U“ (unterhaltender) Kultur unterscheidet, Comic immer noch zu „U“ ist? Und dass das ganz ähnlich auch für das Etikett „schwul“ gilt, dass jemand, der so konsequent eine bestimmte Zielgruppe bedient, zu unwichtig für das große Ganze erscheint? Dabei müsste doch für auszeichnungswürdige Literatur genau das gelten: Dass sie sich dadurch auszeichnet, durch den Blick auf eine bestimmte Szenerie so viel Wahres, Kluges und Nachdenkenswertes über das ganze Leben, die ganze Gesellschaft offenbar wird.

Sein vorletztes Buch „Herbst in der Hose“ etwa, bei dem es um schwules Altwerden geht, ist grausam und brutal, weil es bei der Darstellung von Verfall, Zurückweisung und Lächerlichkeit nichts, wirklich nichts, auslässt. Aber genau das alles ist eben gleichzeitig auch so rührend, zärtlich, so echt und auf wunderbare Weise trotzdem hoffnungsvoll.

Seine Geschichten sind für Deutschland das, was die „Stadtgeschichten“ von Armstead Maupin für Amerika sind: Sie haben Community beschrieben und gleichzeitig auch gemacht:

Wir erkennen uns wieder im anderen. Wir erkennen andere wieder in uns. Das schafft Identität. Seine Geschichten sind eben nicht noch Chroniken, sondern haben Typen, Situationen, Codes, Klischees eingefangen, geformt. Und als Stärkeres, etwas Allgemeingültiges auf die Welt losgelassen, die sich dadurch ebenso verändert hat.

Der „bewegte Mann“ hat nicht nur das schwule, sondern das ganze Deutschland bewegt. Mit allem, was dazu gehört, also auch den Risiken und Nebenwirkungen, die jede Veränderung provoziert. Das Große am großen Autor König ist, dass er all die Widersprüche, all die Folgen und neuen Grenzen zum Teil seiner Kunst gemacht hat, dass er gerade jetzt, beim Älterwerden eben nicht doziert und erklärt, sondern weiter hinterfragt, noch genauer hinschaut.

Im SPIEGEL erschienen anlässlich seines neuen Buches „Stehaufmännchen“ vor einer Woche vier Seiten über ihn unter der Überschrift „Wie der ‚Bewegte Mann‘ ins Visier von Gender-Aktivisten geriet.“ Doch die wahre Geschichte ist noch viel besser als der SPIEGEL sie erzählt: Ja, es stimmt, dass Ralf König aufgrund stereotyper Darstellungen eines Wandbildes in die Kritik geriet, die auch beim näheren Hinsehen als ungerechtfertigt erscheint. Aber es ist eben nicht so, dass König diese Kritik kalt abwiegelt. Vor allem aber lässt er sich eben nicht einfach instrumentalisieren von denen, die behaupten, dass man nun gar nichts mehr sagen, über gar nichts mehr lachen, dass man nun gar keine Klischees mehr verwenden darf.

König hat sich stattdessen mit der Kritik sehr intensiv auseinandergesetzt. Er hat sie zurückgewiesen, aber eben auch seinen Standpunkt erklärt und auch gesagt, was er heute anders machen würde.

Auf Facebook schrieb er:

Ok, ich würde die Lippen der schwarzen Lesbe auf dem Wandbild nicht noch mal so unbedarft knallrot schminken, weil ich jetzt lerne, dass jemand das nicht als Lippenstift sehen könnte, sondern als feindseligen Spott. Meine Intention war aber das Gegenteil, für mich ist das immer noch eine stolze, lebenslustige Figur! Die Tunte ist eine Drag, sie ist das, was einst Divine war, wie wir’s bei Little Britain sehen, wie sie zu Hunderten über die CSDs und Travestiebühnen und hier im Karneval rumstöckeln und wie ich damals als ‚Elvira Brunftschrei‘ selber drauf war! Dieser Spass, trümmerig zu sein! (Auch der gute alte Begriff ‚Trümmertunte’ fliegt mir nun um die Ohren…)
Ich liebe sie, ich zeichne sie! Wer mir unterstellt, ich „trampele auf den Gefühlen von Transpersonen herum“, ignoriert das, wofür ich seit Jahrzehnten stehe. Wohl, weil er oder sie wohl kaum je einen Comic von mir gelesen hat.

In einer Zeit, in der es so oft um das Rechthaben geht, setzt er auf Dialog. In einer Zeit, in der so viele die eigene Perspektive als die einzig richtige erklären, macht er seine Subjektivität deutlich. Er macht sich eben nicht einfach, macht sich nicht wie andere zum Opfer der Reibung, die er selbst erzeugt.

Ralf König rettet mit „Stehaufmännchen“ die Welt. Er macht das, was man von uns öffentlichen Schwulen immer wieder einfordert: Eben nicht nur immer um sich selbst zu kreisen und stattdessen auch auf die globalen Weltprobleme zu zielen.

Doch sein Plädoyer für Umweltschutz und die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist eben nicht nur Weltrettung im ökologischen Sinne. Er „rettet“ sozusagen unsere Welt auch kulturell: Er zeigt, wie sehr die Karikatur, der Humor, die Vereinfachung, die Übertreibung den Blick für das Detail schärfen können. Nie war Gender-Gaga mehr gaga. Aber eben gleichzeitig auch so unwirklich, so weit weg, dass hinter den Stereotypen Strukturen sichtbar werden. Strukturen, über die man reden kann und muss.

Im Kulturkampf zwischen den angeblich so dogmatischen Politisch-korrekten und den angeblichen Verteidigern der freien Sprache scheint Königs Kunst genau das zu sein, was einen Ausweg verspricht.


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