Das Lexikon der Homophobie (IV): „Denkverbote“

Hass-Prediger müssen den Diskurs nicht gewinnen. Es reicht ihnen, wenn ihr Hass als Teil des Diskurses erscheint.

Stefan Niggemeiers Empfehlung, Matussek so gut wie möglich zu ignorieren, war deshalb richtig. Und hat trotzdem nicht funktioniert. Denn das, was Matussek schreibt, kann man nicht ignorieren. Man darf dem Brandstifter nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, weil ihn das dazu bringen wird, weiter brandzustiften. Aber das angezündelte Haus kann man nicht ignorieren, wenn man nicht will, dass sich das Feuer weiter ausbreitet.

In meinem Blog-Beitrag  “Homophobie für alle!” – Ein Volksbildungskurs mit Matthias Matussek habe ich mich an einigen seiner rhetorischen Muster abgearbeitet. Ja, ich dachte, damit ist erstmal gut mit Matussek.

Doch so ganz wohl fühlte ich mich nicht dabei. Zwei Tage später haben mich dann die Längen der Teddy-Verleihung zu einem Fehler verleitet.  Ich dachte, ich könne ja so mal eben meine Mails checken. „Ihr nehmt euch ZU wichtig….muss einfach mal gesagt werden dürfen!“ hat eine davon angefangen, und dann habe ich Matussek nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Und die Vorstellung, wie sehr er sich wohl gerade über das freut, was er da angezettelt hat.

Als dann später auf der Bühne ein Menschenrechtler aus Uganda von dem Gesetz berichtete, dass dort Homosexualität unter lebenslanger Haft stellen soll, musste ich wieder an Matussek daran denken. Daran, wie sehr Katholiken wie er die Politik Benedikt XVI verteidigt haben, des Papstes, der für das Recht von Staaten kämpfte, homosexuelle Handlungen zu verbieten und unter Strafe zu stellen zu dürfen.

Im späteren Verlauf der Verleihung wurde dann die  75-jährige Transgender-Aktivistin Sou Sotheavy geehrt, die heute noch unter den Folgen der Folter leidet, mit denen sie die Schreckensherrschaft der kommunistischen Roten Khmer überlebte. Auch heute noch muss Sotheavy gegen Ablehnung kämpfen, eine Ablehnung, die von Menschen wie Matussek, mit dem Argument geführt wird, nicht Menschen wie Sotheavy seinen die Opfer, sondern die „Minderheit“, die die „Mehrheit terrorisiert bis in die Sprache hinein“.

Diese alte Frau, die ihr Leben lang dafür gekämpft hat, eine Frau sein zu dürfen, hielt die längste Rede des Abends. Kein Terror. Nur Milde,  Rührung und Dankbarkeit. Keiner wagte jetzt einen Blick in seinen Mailaccount.  Aber trotzdem dachte ich wieder an Matussek, der angesichts der Diskussion um „Sexuelle Vielfalt“ im Schulunterricht fragte, warum „eigentlich der Sadomasochismus im Lehrplan der baden-württembergischen Kindererziehung übergangen“ werde.

Kann man ja mal fragen. Aber warum?

„Ihr nehmt euch ZU wichtig….muss einfach mal gesagt werden dürfen!“ In diesem Satz steckt der Hebel, mit dem jedes angemessene Gespräch über Homophobie unmöglich gemacht wird. Matussek sagt:

„Ich lasse mir meine Gedankenfreiheit nicht nehmen, das gehört zu meinem Stolz als Publizist.“

Nein, egal wie oft er es behauptet: Die Gedankenfreiheit will ihm niemand nehmen. Und niemand will ihm verbieten, zu denken. Jeder darf homophob sein, jeder soll sagen dürfen, dass er mit Schwulen ein Problem hat. Ja, es ist sogar gut, wenn jemand das aussprechen kann. Genau wie jeder ein Rassist sein darf. Jeder soll sagen dürfen, dass er Schwarze nicht ausstehen kann. Jeder darf auch pädophil sein und sagen, dass er auf Kinder steht.

Jeder hat nicht nur das verfassungsmäßige, sondern auch das moralische Recht, all so etwas zu denken, fühlen und zu sagen.

Jeder darf ein Problem haben. Er darf es nur nicht zum Problem der anderen machen.

Zumindest nicht, wenn er vorgibt, die Würde des anderen nicht antasten zu wollen. Man kann sogar die Gleichwertigkeit anderer Sexueller Identitäten infrage stellen, vielleicht muss man das als guter Katholik sogar. Aber wer politische Forderungen ableitet, die auf die Ungleichbehandlung abzielen, kann sich nicht mehr damit herausreden, nur zu denken, nur zu fühlen, nur zu sagen. Dann ist er ein Handelnder. Dann schadet der Homophobe den Homosexuellen, der Rassist dem Anders-Farbigen und der Pädophile wird zur Gefahr für Kinder.

Heute hat Yoweri Museveni, der Präsident Ugandas, das Gesetz unterzeichnet, das Schwule und Lesben mit einer lebenslänglichen Haftstrafe bedroht.

Am Samstag wurde in Berlin eine Ausstellung über einen schwulen Aktivisten beschädigt, wenige Tage vorher die Gedenktafel  für die ermordeten Homosexuellen im Dritten Reich verunstaltet. Ebenfalls am Samstag wurde ebenfalls in Berlin wieder ein Schwuler angegriffen, weil er schwul ist. Queer.de schreibt, vorab sei es zwischen dem Opfer und zwei Männern “ zu verbalen Streitigkeiten wegen seiner homosexuellen Orientierung gekommen.

Mir will nicht einleuchten, dass es da etwas zu streiten gebe. Matussek sieht das „wohl“ anders. Heute schreibt er Claudia Roths „Über Homosexualität diskutiert man nicht“ sei eine Aussage aus der „Welt des Totalitären“. Dies sei eine „Welt voller Denk- und Sprechverbote“.

Nach dieser Logik lässt sich eine Angriff auf Homosexuelle als ein Akt der Notwehr verstehen, als eine Auflehnung gegen die durch die Homos errichteten Freiheitseinschränkungen. Aberr so möchte Matussek sich natürlich nicht verstanden wissen.

Gegen Ende der Teddy-Verleihung stand für einige Augenblicke der amerikanische Schauspieler Morgan Freeman im Mittelpunkt, obwohl er gar nicht da war. Aber er war präsent durch ein Zitat, das auf die große Leinwand auf der Bühne projiziert wurde.

‚I hate the word homophobia. It’s not a phobia. You are not scared; you are an asshole.‘

Schreiben würde ich so was nicht, aber denken muss man das doch dürfen. Wäre das nicht der angemessene Umgang mit jemandem wie Matussek?  Müsste man nicht einfach sagen dürfen:

Herr Matussek, Sie sind ein Arschloch!♦

6 Gedanken zu „Das Lexikon der Homophobie (IV): „Denkverbote“

  1. Man sollte es einfach sagen: „Mit Verlaub: Sie sind ein Arschloch. Und da Sie sich selbst als homophob bezeichnen, müsste man wohl noch ein „krankhaft“ davor setzen….“
    (Phobie = krankhafte Angst -> Homophobie = KRANKhafte Angst vor Schwulen und Lesben)

  2. Ist mir eben so zu der neuerlichen Verstörung Matusseks („Notwendige letzte Worte“) im „The European“ eingefallen. Bringt er sich jetzt um? –
    Vielleicht sollte man berücksichtigen, daß M. Matussek einer religiösen Hauptströmung angehörig ist, die religiöse Inhalte, Texte, Erfahrungen als eine zu verobjektivierende Tatsachenangelegenheit betrachtet. Diese Leute glauben allen Ernstes, ein unsichtbares, aber umso unberechenbareres, außerirdisches Wesen würde beispielsweise interessiert mitverfolgen, ob die Erektion, die unter der Bettdecke zustande kommt, in ihrer Ursprungsintention aus Motiven entstanden ist, die sich im Einklang befinden mit einem schriftlich niedergelegten Manual namens Katholischer Katechismus (besagtes außerirdisches Wesen hat – dem Vernehmen nach – sein Regelwerk für den Planeten Erde darin formuliert). Auch die sich – wenn alles klappt – anschließende Ejakulation unter den Augen des außerirdischen Wesens ist nur innerhalb sehr enger mechanischer und räumlicher Grenzen, also intus und von vorne, oder wie soll ich´s ausdrücken, erlaubt. Läuft da etwas in die falsche Richtung, unternimmt das außerirdische Wesen möglicherweise etwas, und zwar unberechenbarerweise, wie gesagt.
    Ich kürze es mal ab.
    Der Psychoanalytiker und Theologe Eugen Drewermann brachte die Folgen jeglicher Auffassung, die religiöse Texte und Inhalte als objektiven und realen Tatbestand betrachtet, mit zwei Worten auf den Punkt: Blut und Wahnsinn.
    Herr Matussek beginnt mir irgendwie leid zu tun.

  3. Traurigerweise leben wir in einer Welt, in der von vornherein erst einmal jeder Mensch schlecht ist. Ob es der junge Mann ist, der über das Internet eine Bekannte sucht, dem unterstellt wird er wäre pädophil, weil das Mädchen erst 16 ist. Oder, wenn wir schon bei diesem Thema sind: Der Schwule nebenan der bestimmt auch auf kleine Jungs scharf ist. Der Farbige, der nur in ein Geschäft kommt, weil er zur Toilette muss, will garantiert nur ausspionieren, ob es etwas zu stehlen gibt. Und der Muslim in der Nachbarschaft ist bestimmt ein böser Islamist.
    Sofort schrillen in ungewohnten Situationen die Alarmsirenen in unserem Inneren. Sicher, Vorsicht ist nie falsch, aber … Ich frage mich: Wie weit sind wir als Menschheit gekommen, dass Vertrauen und der Glaube an das Miteinander aus unseren Köpfen vertrieben wurde? Stattdessen hat sich Angst und Misstrauen breit gemacht. Uns wurde das Bunte aus unserem Leben genommen und stattdessen alles schwarz-weiß gemalt. Ist das wirklich der Preis der Globalisierung? Sind wir alle überfordert von den vielen neuen Eindrücken, den unterschiedlichen Lebensweisen und Religionen? Ich weiß, dass es reale Gefahren gibt und ich weiß, dass Böses geschehen kann, aber nach meiner persönlichen Erfahrung erlebt man manch angenehme Überraschung, wenn man erst einmal versucht offen und freundschaftlich die Hand zu reichen. Nicht alles Fremde ist übel und nicht jeder Fremde ist mir übel gesonnen. Es mag viele befremdliche Dinge geben, aber im Umkehrschluss erscheine ich meinem Gegenüber wahrscheinlich genauso seltsam. Warum müssen wir alles verteufeln, warum nicht leben und leben lassen? Warum ist es einfacher an das Schlechte zu glauben anstatt an das Gute? Ich weiß, es gibt Pädophile, ich weiß es gibt sie, die Kriminellen und ich weiß es gibt Islamisten, die am liebsten alle Ungläubigen von dieser Welt tilgen wollen.
    ABER SIE SIND DIE MINDERHEIT UND NICHT WIR!
    Doch leben wir nach ihrem Diktat. Leiden tun wir alle, indem wir uns einschränken, uns fürchten und misstrauen. Uns die Chance nehmen einen eventuell sehr netten Nachbarn kennen zu lernen. Indem wir Mitgefühl verwehren und mit Kälte strafen wo eigentlich ein offenes Herz Fragen beantworten könnte. In den öffentlichen Netzwerken kursieren die verschiedensten Hetzparolen, einst in gut gemeinter Absicht eingestellt, wird alles verfremdet und zu einer Hetzkampagne. Es ist absolut erschreckend, wie viele diese Pamphlete liken, twittern, weiterverbreiten. In unsinniger Angst und unsinnigen Hass wird das weiter geschürt, was uns alle fesselt und behindert.
    Ein Beispiel ist die Geschichte über einen Passagier in einem Flugzeug. Eigentlich wurde diese Geschichte gegen Rassismus, gegen den Hass von Weiß gegen Schwarz geschrieben. Daraus wurde mittlerweile eine Story über einen Muslim, der sich weigert neben einer Bibelleserin zu sitzen. Die Bibelleserin wurde natürlich mit einem Sitz in der ersten Klasse belohnt … Ich weigere mich so ein Arschloch zu werden. Ich weigere mich meinen Horizont einzuschränken, weil es Fanatiker auf allen Seiten gibt. Welchen Schluss können wir daraus ziehen, was dagegen tun oder eben nicht tun? Sicher können wir alles weiter ignorieren und uns in unsere heimischen vier Wände zurückziehen, hoffend, dass dieser Kelch an uns vorüber geht. Und mit ihm zieht unser Leben an uns vorbei, während wir in unserem Mauseloch sitzen und hoffen nicht bemerkt zu werden. Überlassen wir nicht gerade damit eben jenen die Welt, die die Angst in uns schüren? Denen es gelegen kommt, dass wir uns nicht austauschen und uns dadurch Ängste und Befangenheiten nehmen könnten?
    Ich drücke dem jungen Mann vom Anfang dieses Briefes die Daumen, dass er das Mädchen findet und sie ihre Freundschaft ausbauen können. Ebenso hoffe ich für das junge Mädchen, dass er eben kein Pädophiler ist. Ich hoffe, dass jeder Mensch seine Notdurft erledigen kann, ohne dass er gezwungen ist dies an einem öffentlichen Platz zu tun. Ebenso glaube ich fest, dass der Mann mit dem Bart und der Takke kein Selbstmordbomber ist und er mir meinen Rosenkranz genauso gönnt wie ich ihm seine religiösen Gebräuche. Hoffentlich findet der junge Mann nebenan einen liebevollen Partner und sie können ihr Leben genauso leben wie jedes Heteropaar. Es liegt in uns, es liegt an uns was wir aus dieser Welt machen. Ich für mich kann nur sagen: Ich werde weiterhin gegen jede Art von Fanatismus aufstehen und wenn ich nur so unsägliche Schreiben nicht like oder teile wie sie in unseren Netzwerken kursieren. Ich werde weiterhin für Menschlichkeit und Miteinander einstehen, aufmerksam machen auf die kleinen Dinge, die jeder von uns selbst machen kann. Da halte ich es mit John Lennon: Imagine … stell dir vor … wenn jeder von uns nur ein klein wenig tun würde …

  4. Hallo Johannes, ich teile deine Zeilen – besonders die abschließende Sentenz. Ich glaube Matussek ist wie Sarrazin im Inneren verbittert und fürchtet um seine journalistische und intelektuelle Potenz. Er ist ein Egomane, dessen Zenit wahrscheinlich vor 20 Jahren überschritten war. Wenn wir jetzt im Jahr 1970 leben würden, würde dieser Opportunist mit neurotischem Geltungsbedürfnis, wahrscheinlich für freien Sex mit wechselnden Partner/innen plädieren und gegen das Establishment wüten. Er würde sich wahrscheinlich auch in seiner Würde und Freiheit beschnitten fühlen, wenn er nicht auch mal mit einem Mann knutschen dürfte. Aber wir leben im Jahr 2014 – es gibt einen gesellschaftlichen Rückfall in die ’50-iger Jahre, vielleicht auch in 30-iger Jahre des letzten Jahrhunderts – in welches Jahrzehnt ist noch nicht so ganz klar. Der bürgerliche Mob fürchtet um seine gesellschaftliche und materielle Vormachtstellung und neigt dazu, Minderheiten dahin zu schicken, wo sie einst herkamen – in die Unsichtbarkeit, in eine unterdrückte angstvolle Lebensrealität. Die Ungleichwertigen werden ja auch zu frech und das wird man wohl noch sagen dürfen. Das wittert Matussek, Sarrazin ja sowieso. Und so prägen zwei alte, verbitterte von Versagensängsten gebeutelte Opportunisten, egomane und neurotische Männlein die deutsche Gesellschaft – und das nicht unerheblich. Es gibt eben viele kleine Wixer, die dankbar sind, wenn sog. Publizisten ihren Haß aussprechen und sie dann im Chor jubilieren: ‚…endlich wagen es aufrechte Demokraten sich gegen den Tugendterror und den linken Mainstream zu wehren und sagen die Wahrheit…‘. Die Wahrheit der Würmer…

  5. Pingback: » Wegen Conchita Wurst: BILD-Politikchef Anda gewinnt Homophobie-BingoIch hab ja nichts gegen Schwule, aber

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