Gegenrede zu Böhmermann: Bento ist kein schlechter Journalismus. Im Gegenteil!

Jan Böhmermann hält bento.de, das Jugendportal aus dem SPIEGEL-Verlag für unjournalistisch, zynisch und unseriös. (Hier sein ca. 20 minütiger „Rant“ gegen das Online-Magazin aus der letzten „Neo Magazin Royale“-Sendung) 

Ich möchte dem widersprechen und aufzeigen, warum es das zumindest aus queerer Sicht nicht ist, warum ich vieles von dem, was die bento-Leute da machen, sogar für richtig guten Journalismus halte. Nun kann man natürlich sagen, dass der queere Aspekt nur ein Nebenaspekt sein kann, einer der für die grundsätzliche Bewertung eines Mediums wenig hilfreich ist.

Ich sehe das anders. Gerade weil es so viele Medien nicht schaffen, grundsätzlich angemessen über LGTBI-Themen zu schreiben, darf man vermuten, dass ein Medium, bei dem dies möglich scheint, sich ein paar Fragen gestellt hat, die anderen Redaktionen bisher nicht in den Sinn kamen. Und dass es sich bei diesen Fragen eben nicht nur darum drehte, wie man zu Lesben, Schwulen und Co. stehen möchte, sondern wie es ganz generell möglich ist, eingefahrene Stereotype und Perspektiven zu überwinden.

Ich glaube, dass wer besser über queere Menschen schreiben kann auch besser über andere Menschen, besser über Gesellschaft schreiben kann. Nun will ich nicht sagen, dass bento dies dauernd tut. Aber selbst wenn man sich – wie Böhmermann – nur deren Quatsch anschaut, dann ist es doch auffallend, dass dieser ganz ohne die Verlockung auskommt, LGTBI zu Quatsch zu machen.

Vielleicht gibt es ja andere, die es noch besser machen. Aber keines der großen, „erwachsenen“ Nachrichtenportale schafft es auch nur annähernd, queere Vielfalt so gut verständlich, so angemessen aufzubereiten. Und das nicht nur unter dem Gesichtspunkt, dass es sich bei bento um eine junge, vermeintlich nachrichtenferne Zielgruppe handelt, der man alles etwas vereinfacht, schräger, knalliger nahebringen muss.

Im Gegenteil:  Bei fast allem, was dort über LGTBI geschrieben ist, denkt man: Ja, so müsste so auch bei den journalistischen Flagschiffen sein. So wie bento das macht, ist es nicht nur okay, sondern vorbildlich: Unaufgeregt, facettenreich, spannend. Und wirklich gut erklärt. Vor allem aber: LGTBI sind hier nicht die Exoten. Die bento-Leute haben es geschafft, womit sich die meisten anderen so verdammt schwer tun: Dass queere Themen keine Randthemen sind, sondern selbstverständlich als Teil der Lebenswelt der Zielgruppe stattfinden.

Die gilt sowohl für komplexere Themen als auch für die boulevardesken. Fangen wir mal mit denen an, also da, wo das Schreiben über Lesben und Schwule in Deutschen Medien so besonders problematisch ist.

Am 9. 7. heißt es bei bento:

Dieser Heiratsantrag an eine Polizistin ist zum Dahinschmelzen

So romantisch wie in einer deiner Lieblingsschnulzen: Eine Verkehrspolizistin war gerade im Einsatz bei der diesjährigen London Pride Parade, als ihr Arbeitstag sich als ein ganz besonderer entpuppte. Ihre Freundin machte ihr einen Heiratsanstrag – mitten in der bunten Menge der Demonstranten.

Die Menschen drumherum bejubelten das frisch verlobte Paar. Auch die Londoner Verkehrspolizei feierte die beiden und postete den Antrag auf Twitter. Viele weitere Glückwünsche folgten.

Hier möchte man die Autorin  Begüm Düzgün wirklich dafür umarmen, dass sie weder in Überschrift noch in dem nachfolgenden Text die Wörter „Homo-Ehe!“ oder „Lesbe“ benötigte, weil das wirklich nicht das Thema war. Und auch dafür, dass sie die Situation in „mitten in der bunten Menge der Demonstranten“ verortete und damit der Versuchung eines Großteils ihrer Flagschiffmedien-KollegInnen widersteht, die immer noch glauben, dass man einen Gay Pride nicht ohne das Wort „schrill“ beschreiben darf.

Dass sich Boulevard-Berichterstattung nicht fast zwangläufig gegen Minderheiten richtet, in der diese letztendlich entweder Freaks  oder Gefährder, oder beides sind, ist schon beachtlich. Dass aber solche bunten Geschichten nicht nur nicht mit einem letztlich doch verstörendem, sondern einem rund um empathischen Blick für ein mehrheitlich heteronormatives Publikum aufgeschrieben werden, das ist nicht nur wirklich neuer, sondern auch wirklich besserer Journalismus. Denn im Boulevard, in den einfachen, in den  auf- und anregenden Geschichten zeigt sich, ob es ein Medium wirklich auf Lesben, Schwule, Bi, Trans- und Intermenschen als Sensationsfutter verzichten kann oder will. Dass das Bento gerade als einem Medium gelingt, in dem es zum Großteil um Sensationelles und Aufregendes geht, zeigt: Bento kann und will.

Was bento aus queerer Sicht so wertvoll macht, ist, dass es nicht nur aus queerer Sicht funktioniert. Aber eben auch. Sie schaffen es, fast alle wichtigen News um LGTBI abzubilden aber eben auch immer wieder einen genaueren tieferen Einblick in unterschiedlichste Themen rund um Queeres zu ermöglichen. Sie verbinden Leichtes mit Schwerem, Allgemeines mit Speziellem, und doch ist die Herangehensweise nicht beliebig: Soweit ich das überblicken kann ist Homophobie hier (anders als in den meisten anderen Medien) eben keine Meinung, sondern: Homophobie.  Dies bedeutet nicht, dass hier die Homo-Lobby am Werke ist, hier finden Beitrage statt, über die man sich gerne auch als LGTBI-Aktivist gerne streiten möchte. Aber es gibt eben offensichtlich einen Grundkonsens darüber, wo Meinung aufhört und Diffamierung beginnt. Oder, um es anders zu sagen: Wer mit Seriosität nicht nur Aufmachung und Stil meint, sondern auch das Hochhalten ethischer Grundregeln, für den muss – zumindest was queere Inhalte bestrifft –  bento um ein vielfaches seriöser erscheinen als etwa die FAZ, die darauf besteht, im Sinne der Meinungsfreiheit Homosexuelle in die Nähe von Kinderschändern rücken zu dürfen.

Seit Jahren sitze ich in irgendwelchen Runden, die sich darüber Gedanken machen, wie man LGTBI-Themen angemessen und interessant für ein Mainstream-Publikum aufbereiten könnte. Und gerade, weil es in diesem Blog nun seit über acht Jahren auch darüber  geht, wie man es nicht machen sollte: Bento zeigt, dass es möglich ist!

Um das zu erkennen, genügt schon ein oberflächlicher Blick auf die letzten Monate. Etwa der Bericht über ein Jugendfestival in der Schweiz, bei dem junge Menschen über ihre „queeren Momente“ berichten, eine „Shopping List“ zum Thema „Diese 9 Romane brechen mit Geschlechternormen“ inklusive einer simplen aber stimmigen Definition von „queer“ und sogar  einem Haken zur Patsy l’Amour laLoves Beissreflexe-Debatte. Oder anlässlich der CSDs ein Leitfaden wie und warum sich auch Heterosexuelle für LGTBI-Gleichberechtigung einsetzten können.

Bento macht so vieles richtig, und vor allem so vieles richtiger, als wir uns es vor ein paar Jahren noch vorstellen konnten.

Laut Böhmermann steht bento für das „Tod des Qualitätsjournalismus“. Ich habe keine Ahnung, was Böhmermann unter „Qualitätsjournalismus“ versteht. Aber wenn bento für dessen Ende steht, dann sollte uns vor diesem Ende nicht bange sein.♦

Mehr zum Thema / Offenlegung:

„Medien zeichnen ein verzerrtes Bild von Lesben und Schwulen, sagen die Initiatoren des ‚Waldschlösschen-Appells‘. Der Aufruf an Medienmacher, Diffamierungen gegen Homosexuelle nicht zu verharmlosen, wurde am Montag veröffentlicht. Der Spiegel leide beispielsweise an einem ‚Homo-Tourette-Syndrom‘, sagt Mitinitiator Johannes Kram. Den ‚Hart aber Fair‘-Moderator Frank Plasberg kritisiert Kram ebenso – für eine Sendung zur „Homo-Ehe“. Im MEEDIA-Interview sagt Kram: ‚Einige Medien spielen mit dem Feuer.'“:

Interview (Juni 2013)

Mehr in diesem Blog:

„Der wahre Wert des Böhmermann-Gedichtes“

Aus dem Archiv:

Artikelsammlung „Homophobie in den Medien“

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8 Gedanken zu „Gegenrede zu Böhmermann: Bento ist kein schlechter Journalismus. Im Gegenteil!

  1. Wenn Müll nicht homophob ist, bleibt es trotzdem Müll. Aber vielleicht wollen die ja auch nur die jahrzehntelange Homohetze vom Spiegel wieder gut machen?

  2. „Ich habe keinen besten Freund mehr – weil ich Sex mit ihm hatte. Was kann ich tun?“

    Damals (vorm Kriesch!) war das Bravo-Seitenfüller, heute ist es Bento-Headliner. Aber auch schon in der Bravo wurden LBGTQIA*-Themen behandelt, sie liefen nur noch nicht unter diesem konkreten Banner.

    Die Seite ist einfach nur banal. Wie die dort herangezüchteten Journalist*_innen mal professionelle Artikel schreiben werden können, bleibt sich mir verschlossen.

  3. Das Beispiel, das Du hier bringst, ist in der Tat beachtlich, vor allem deshalb weil es so gar nicht zum SPIEGEL passt, der -auch wenn man ihm in einem Anfall geistiger Umnachtung mal die Kompassnadel verliehen hat- schlicht und einfach eines der homofeindlichsten Medien in Deutschland ist. Ob umgekehrt gerade Böhmermann, der Dichterfürst vom Ziegenficken, berufen ist, sich über Qualität im Journalismus auszulassen, darf bezweifelt werden.

  4. Es war ja nicht alles schlecht unter dem Führer… äh, in der DDR… äh, bei bento.
    So würde ich diesen Artikel hier zynisch zusammenfassen. Keine Gegenrede zu Böhmermann, sondern der verzweifelte Versuch irgendwas Positives an Bento zu finden. Oder warum wird das Ganze mit „Gegenrede“ überschrieben, geht aber mit keinem Wort auf den Inhalt von Böhmermann’s Video ein?

    „Bento macht so vieles richtig, und vor allem so vieles richtiger, als wir uns es vor ein paar Jahren noch vorstellen konnten.“

    Ja, in Sachen Homosexualität macht bento vieles richtig, ist das der neue Massstab für den Journalismus? Hauptsache Homosexualität ernst nehmen, dann ist alles Clickbaiting und alle Lügen und alle Verdrehungen vergessen? Das sehe ich nicht so.

    Mit der Logik Ihres Artikels könnte man die Gräueltaten und Verbrechen von Adolf Hitler auch damit entschuldigen, dass er Vegetarier war. Jedenfalls könnten Vegetarier nach der Logik dieses Artikels folgende Aussage machen: „Laut Böhmermann steht Hitler für das Ende der Menschenrechte. Ich weiß nicht, welche Menschenrechte er meint. Aber wenn Hitler für dessen Ende steht, sollte uns vor diesem Ende nicht bange sein.“

    Ist was anderes? Denke ich nicht. So wie die Verbrechen von Hitler nicht durch seinen Vegetarismus harmloser werden, so wird das effektheischerische Clickbaiting von Bento durch Homo-Normalität nicht zum Journalismus.

    Es ist schön, dass bento Homosexualität als normal ansieht. Das ist ein Anfang, aber kein Beleg für irgendwas, außer eben genau das: Das als normal ansehen von Homosexualität.

  5. Ja das sind wahnsinnig wichtige Artikel. Wie der.. Du warst mein bester Freund, und dann hast du ein Kind bekommen.
    Als erstes dachte ich .. WOW..ein Mann der ein Kind gekriegt hat..wie hat er das gemacht ??
    Aber dann ist er ja doch nur Vater geworden. Wie immer hat seine Frau/Freundin das Kind bekommen. Also wieder nichts emanzipatorisch wertvolles.

  6. @Chris
    Ich glaube auch gar nicht das der Autor wirklich auf Böhmermann eingehen wollte. Ich denke eher , das der Spiegel/Bento quasi einen Beitrag in Auftrag gegeben hat, der Bento als die Rettung des Journalismus darstellen soll. Und wie kann man das am besten machen? Man bescheinigt ihnen das sie Homosexualität als normal ansehen. Und Zack..Schon perlt jedwede Kritik an bento ab. Denn wer das macht , der kann nur die Rettung des Journalismus sein. Und alle die anderer Meinung sind haben keine Ahnung. Und Böhmermann schon gar nicht.

    @Ralf
    AHA..weil er das Gedicht zu Erdogan verfasst hat (als Beispiel für das, was man nicht machen darf) , hat er nicht das Recht etwas über bento und die Qualität im Journalismus zu sagen.?
    HM..dann hast du (steht ja nur der Vorname da) sicher nichts dagegen, wenn ich dir das Recht abspreche , Böhmermann zu kritisieren. Du kannst es dir aussuchen warum du nicht das Recht dazu hast.

  7. @ Coolray

    Ich habe Böhmermann kein Recht abgesprochen. So was tun nur Leute wie Erdogan. Ich habe gesagt, dass seine Berufung, Urteile über die Qualität im Journalismus zu fällen, bezweifelt werden darf. Erdogan zu kritisieren, ist meiner Meinung nach geradezu Pflicht jedes anständigen Menschen. Die Auswahl der Mittel sollte aber, denke ich, mit größerer Sorgfalt geschehen. Das Ziegenfickergedicht hat Erdogan zum vermeintlichen Opfer überzogener Freiheit gemacht und den Verfasser zum vermeintlichen Proleten. Das war, um zu reden wie die Diplomaten, der guten Sache wenig hilfreich.

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