Nach AKK-Witz: BILD-Chef beschwört Wahlkampf gegen geschlechtliche Vielfalt

Foto: BILD-Chefredakteur Julian Reichelt „© Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Die letzten Jahre hat die BILD-Zeitung einiges getan, um queere Menschen das Gefühl zu geben, ihre Andersartigkeit zu akzeptieren. Der Facebookseite Queerbild folgen fast 30.000 Freunde. Es gibt mit queer:seite ein Axel-Springer-Mitarbeiternetzwerk, das sich mit den BILD-Marken auf einem Partywagen auf dem Berliner CSD präsentiert und dafür ganz offenichtlich die Unterstützung des Konzerns hat.

Und ja, die Zeiten sind lange vorbei, in denen BILD queere Menschen reflexartig als Freaks vorfüht. Gegen die Ehe für alle hat das Blatt am Ende nicht wirklich Stimmung gemacht. Und es gibt viele angemessene Artikel über queere Themen, teilweise sogar richtig vorbildliche, wie etwa ein investiger Beitrag über, beziehungsweise gegen Konversationstherapien, der schon vor einigen Jahren erschien, bevor das in Deutschland zur großen Diskussion wurde.

Es gibt dort Leute, die es wirklich ernst und gut meinen und auch ernsthafte und gutgemachte Sachen machen. Und doch ist es Zeit, wieder daran zu erinnern, dass BILD nicht einfach irgendeine Zeitung ist.

Denn das Kerngeschäft von BILD ist nicht Journalismus, sondern Stimmungsmache. BILD funktioniert über das Ressentiment, über niedere Instinkte. LGTBI hatten in den letzten Jahren das zweifelhafte „Glück“, als Adressat dieser Ressentiments nicht benötigt zu werden: Seitdem BILD es geschafft hatte, Thilo Sarrazins Agenda in Deutschland groß zu machen, waren Muslime, später Flüchtlinge, perfekte Opfer dieser Stimmungmache. Diese erreichte schon vor Jahren einen ersten Höhepunkt, als das Blatt einen Bundepräsidenten zum Feind erklärte (und später zum Rücktritt zwang), der es gewagt hatte, den Islam als einen Teil Deutschlands zu betrachten. Viele Menschen mit Migrationshintergrund berichten, dass sie das gesellschaftliche Klima seit dieser BILD-Kampagne, die Sarrazin zum mutigen Streiter für unbequeme Wahrheiten verklärte, als vergiftet erleben.

Und so, wie sich die BILD-Macher heute als Allierte von LGTBI erklären, machten sie es noch vor wenigen Jahren, als sie sich als Flüchtlingshelfern generierten. Um dann, als es nicht mehr opportun war, genau das Gegenteil zu machen, also Geflüchtete fast ausnahmlos als Deutschlands Gefahr zu stilisieren.

Die Frage ist also nicht, ob es bei BILD viele wohlmeindende bzw. angemessene Artikel über LGBTI gibt. Die Frage ist, wie Artikel über LGTBI aussehen, wenn es hart auf hart kommt. Wenn also der Angriff auf sie dem Blatt mehr nützen als schaden kann.

Doch BILD wird wohl nicht einfach zur früheren ganz plumpen Homohetze zurückkehren. Zum einen, weil es nicht mehr so einfach funktioniert, und zum anderen, weil auch Homos als Zielgruppe und Kunden gebraucht werden.

Und doch wird BILD auf das Erregungspotential von queer nicht verzichten wollen. Wer gestern die Twitter-Diskussion zum AKK-Witz auf Kosten intersexueller Menschen verfolgt hat, konnte sehen, wie es vor allem BILD-Leute waren, die für das Recht auf Diskriminierung stritten. Durch den Framing-Trick, AKK hätte gar keinen Gag über Intersexuelle gemacht sondern nur gegen Gender Toiletten, lieferten sie die perfekte Vorlage für all die, die sich nun darüber aufregen, dass man über gar nichts mehr lachen darf.

Wie BILD es schafft, gegen queere zu polemisieren und gleichzeitig ihnen das Gefühl zu geben, sie gehörten dazu, zeigt sich bereits jetzt in der Kolumne der Berliner Dragqueen Nina Queer, deren Prinzip es ist, gegen Unkonforme und Schwächere zu treten. Die Queer-Kolumne ist ein Aufruf zur Entsolidarisierung.

Doch es wird womöglich weitaus schlimmer werden.

Heute twitterte BILD-Chefredakteur Julian Reichelt

Um die Karnevalsdebatte um @akk mal wieder in die Politik zurück zu ziehen, wage ich folgende Prognose: Stärkste Kraft bei der nächsten Bundestagswahl wird die Partei, die auf die Frage, wieviele Geschlechter es gibt, am klarsten mit „Zwei!“ antwortet.

Dazu muss man wissen, dass immer dann, wenn BILD vorgibt, die Wirklichkeit zu beschreiben, in Wahrheit gerade versucht, eine Wirklichkeit herzustellen. Die Prognose ist also somit mehr als eine Einladung zu verstehen: Wer sich für den nächsten Bundestagskampf profilieren möchte, wird in BILD Gehör finden, wenn er es gegen geschlechtliche Vielfalt macht.

Der Tweet ist also eine Warnung: Nicht die Flüchtlingsfrage ist also ab sofort spielentscheidend, sondern die queere. Wie sich das in BILD-Schlagzeilen niederschlagen wird, mag man sich gar nicht ausdenken. Vor allem aber ist BILD wohl darauf aus, Trans* und Intermenschen rauszupicken, also die, die oft am meisten verletzlich sind. Und darauf zu setzen, dass auch die Mehrzahl der etablierten Homos da stillschweigend mitmachen wird.

Doch das darf nicht passieren. BILD darf die Community nicht spalten. Wer geschlechtliche Vielfalt attackiert, attackiert die gesamte Community.

Hinweise:

Ich schreibe eine Kolumne für BILDblog, das sich kritisch mit Medien, vor allem aber auch mit der BILD auseinandersetzt. Auch Engagement von Nina Queer bei BILD war dort schon ein Thema.

Mein Theaterstück „Seite Eins“ (u.a. gespielt von Ingolf Lück) handelt von einer großen deutschen Boulevardzeitung und thematisiert auch deren Populismus gegen Minderheiten. Hier dazu ein Interview mit meedia.de .

Hier mein Unrsprungsbeitrag zum AKK-Witz:

Stoppt Kramp-Karrenbauer!

Hier alle Artikel dieses Blogs zu BILD.

Nachtrag: Nur einen Tag nach diesem Blogeintrag, scheinen sich alle meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu haben. Doch lesen Sie selbst, was bei BILD nun wieder möglich ist: Wer sich um Minderheiten kümmert, gefährdet die Demokratie. Wem die Rechte von Minderheiten nicht egal sind, vernachlässigt die Rechte der Mehrheit.


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