Widerspruch zu Joachim Gauck: Nein, die CDU muss nicht noch mehr nach rechts!

Foto: Joachim Gauck (c) J. Patrick Fischer Wikipedia Commons

Seit ein paar Jahren gibt es diesen politischen Rechentrick: Um die AfD schwächer zu machen, müsste die CDU endlich wieder konservativer werden. Die sei nämlich in den letzten Jahren sozialdemokratisiert worden. Man müsse also nur die Sozialdemokratisierung der CDU beenden, damit stramme Konservative endlich wieder dort ein zu Hause finden können.

Interessant ist, dass das nicht nur die Konservativen in AfD und Union fordern, sondern auch einige ihrer Gegner.

Etwa Gregor Gysy 2017:

„Im Kern ist es so, dass die Union wieder eine konservative Partei werden muss, um konservative Wähler, die inzwischen Wähler der AfD sind, wieder zu integrieren.“

Auch ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo meinte das bereits 2016:

„Ich glaube, auch die CDU muss sich die Frage stellen, ob es richtig ist, den konservativen Teil der Wähler heimatlos zu machen. Traditionell gehören die ja zu ihnen“.

Und nun noch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck Mitte Juni in einem SPIEGEL-Interview:

Gauck: (…) Ich fürchte, dass wir akzeptieren müssen, dass es immer Menschen geben wird, für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität und die lieber im Status quo verbleiben als einen unsicheren Fortschritt riskieren. Früher waren diese Menschen in einer CDU/CSU von Dregger und Strauß beheimatet. Doch seitdem die CDU sozialdemokratischer wurde, sind sie heimatlos geworden.

SPIEGEL: Sie meinen, die CDU muss zurück nach rechts rücken?

Gauck: Die CDU muss für diesen Typus des Konservativen wieder Heimat werden. Deswegen werbe ich im Buch auch für eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts. Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden.

Ich finde, dass Gauck hier einen gefährlichen Mythos füttert.

Hinter der Beschreibung einer „Sozialdemokratisierung“ der CDU steht ja die Annahme, die CDU hätte „bei sich“ bleiben können, hätte sie einfach ihre früheren Positionen beibehalten. So, als ob es keinen gesellschaftlichen Wandel, keinen gesellschaftlichen Fortschritt geben würde, den alle politischen Kräfte natürlich in irgendeiner Form in sich aufnehmen müssen, um Teil des wählbaren politischen Spektrums zu bleiben.

Vielleicht hilft ja eine kleine Zeitreise, um daran zu erinnern, wen Gauck da als positive Symbolfiguren des „Konservativen“ empfiehlt. Etwa ein Blick auf das Beispiel Apartheid, deren Fans Dregger und Strauß waren.

Strauß fand seinerzeit die Idee einer Gleichstellung von Schwarzen und Weißen „unverantwortlich“ und lobte die „hohe religiöse und moralische Verantwortlichkeit“ der südafrkanischen Regierung, die diese verhinderte.

Über den damaligen hessischen Landesvorsitzenden schrieb SPIEGEL 1977 anlässlich einer Südafrika-Reise:

Alfred Dregger hatte gesprochen. stürmisch umjubelt von seinen südafrikanischen Gastgebern. Als Polit-Beau von den Damen umschwärmt, als einflußreicher CDU-Politiker von dem Apartheids-Regime hofiert, revanchierte sich der hessische Christdemokrat auf seinem Südafrika-Trip mit strammer Gesinnung.“ Wenn ich Bure wäre“, so versicherte er seinen rassistischen Freunden, „würde ich mich auch auf die Festung zurückziehen und um mich schießen.“ Soviel Ermunterung und Verständnis hatte die von aller Welt kritisierte weiße Minderheitsregierung schon lange nicht mehr von einem westlichen Politiker erfahren, einem Mann zumal, der, wie der südafrikanische Staatsrundfunk erläuterte, „als Kanzler im Gespräch ist, wenn seine Partei die nächste Wahl gewinnt“.

Dass solche Positionen, aber auch ein Frauenbild, das etwa die Vergewaltigung in der Ehe rechtfertigte, in der heutigen CDU nicht mehr vorstellbar sind, hat nichts damit zu tun, dass die CDU „sozialdemokratisiert“ wurde. Wenn überhaupt hat sich die Gesellschaft „sozialdemokratisiert“, aber auch das stimmt nicht. Sie hat sich schlichtweit weiterentwickelt. Rollen haben sich verändert. Genau so wie die Sensibilität der Mehrheitsgesellschaft zu Rassismus und Sexismus. Man nennt es Fortschritt. Doch genau den leugnet Gauck, wenn er so tut, als könnte man an Parametern von früher heutige Politik verorten.

Natürlich hat Gauck Recht mit seiner Binse, dass es immer Milieus geben wird, denen „Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität und die lieber im Status quo verbleiben“. Trotzdem bewegen sich selbst diese Menschen, relativ gesehen, weiter. Nur eben zeitversetzt, nicht so schnell und nicht so deutlich. Ein in „wilder Ehe“ lebender Politiker ist heute selbst bei der AfD kein Thema. Und zumindest offiziell fordert in der AfD niemand, den §175 wieder einzuführen, während die Union sich noch in den 90gern lange sträubte, ihn abzuschaffen. Frauen haben in der AfD zwar wenig zu melden, doch immerhin sehr viel mehr als zu den Dregger-Strauß-Zeiten der Union.

Wie falsch die Rechnerei Gaucks ist, zeigt sich daran, dass vieles von dem, was Leute wie Strauß und Dregger damals sagten, heute rechts von der AfD einzuordnen wäre. Empfiehlt Gauck also auch, dass die AfD, parallel zur CDU, ebenso ein Stück nach rechts springt?

Wie konservativ die CDU tatsächlich ist, zeigt sich nicht daran, wie viele ihrer Positionen aus den 1970ern sie abgeräumt hat, sondern wie sie im Vergleich zu international vergleichbaren politischen Kräften aufgestellt ist. Und ist es da wirklich so, dass die CDU (jetzt mal abgesehen von der Flüchtlingspolitik Angela Merkels) besonders links erscheint? Die Partei, die an einem im europäischen Vergleich fast schon reaktionär-undurchlässigen Bildungssystem festhält? Die Partei, der sogar die britischen Torys vormachen musste, dass man zur „Ehe für alle“ nicht gezwungen werden muss?

Ist es nicht sogar umgekehrt so, dass sich auch in der CDU die Grenzen des Sagbaren verschoben haben und eben nicht nach links, sondern nach rechts? Und was bringt es im Kampf gegen die AfD, wenn die Afd kleiner ist, dafür aber die CDU eine AfD-light ist?

Und überhaupt: Welche konkreten „konservativen“ Positionen stellt sich Gauck denn für die CDU vor, die keine objektiven Arschloch-Positionen sind? Und warum sagt Gauck nicht, was in seiner Logik eigentlich unvermeidbar wäre, und was den „Konservativen“ in der Union sowieso immer einfällt, wenn die ihren „Markenkern“ beschwören wollen: Dass die CDU noch mehr auf die „Genderwahn“-Taste drücken müsste? Dass sie noch mehr gegen Minderheiten austeilen müsste?

Woher kommt dieser Fortschritts-Furcht, dass selbst die, die sich fortschrittlich fühlen, aus Angst vor dem Rückschritt den Rückschritt fordern? ♦

Mehr zum Thema in diesem Blog:

Über Homophobie als „Markenkern“ der Union

Archivsammlung: Die Homophobie der CDU / CSU

Lieber die AfD im Bundestag als alle im Bundestag vertetenen Parteien auf AfD-Kurs

Die schmutzige Geschichte des Anti-Gleichstellungskampfes der CSU

Bitte mach mit! Als unabhängiges und werbefreies Blog brauchen wir Deine Hilfe. Hier kannst Du uns auf Paypal unterstützen. Oder hier ein freiwilliges Unterstützerabo abschließen:


Mehr dazu: Das Nollendorfblog braucht Deine Unterstützung.