Berliner CSD-Vorstände: Denn sie wissen nicht, was sie tun

Über diesen Blogbeitrag habe ich lange nachgedacht. Warum kämpft der sich mit so einem Kleinmist ab, werden einige von Euch denken. Und das ist ja auch so: Gibt es nichts Wichtigeres? Doch, gibt es. Es ist verständlicher, über Dinge dann zu schreiben, wenn sie gerade zu entgleisen drohen oder sie es gerade sind. Nein, beim Berliner CSD ist noch nichts entgleist. Und doch denke ich, dass da etwas ganz grundsätzlich falsch läuft. Das muss nichts Böses bedeuten. Aber es kann.

Unsere CSDs sind mit die wichtigsten Instrumente, die wir im Kampf für unsere Bewegung haben. Weil diese durch die Corona-Krise nicht als Großveranstaltungen stattfinden können, wäre es gut, wenn dort jetzt Leute Entscheidungen treffen würden, die dieser enormen Verantwortung gerecht werden können. Beim Berliner CSD-Vorstand habe ich, um es mal vorsichtig zu sagen, da meine sehr starken Zweifel. Zumindest zwei der Vorständ*innen (und damit 50 Prozent des Vorstands) scheitern gerade an den einfachsten Regeln öffentlicher Kommunikation. Das lässt Schlimmes ahnen. Sie scheinen nicht zu wissen, was sie da gerade tun.

Man kann darüber streiten, ob die Entscheidung des CSD-Vorstandes richtig war, dass der diesjährige Berliner in diesem Jahr als „Onlinevariante“ stattfinden soll. Ich finde, dass das eine falsche Entscheidung ist, aber wie gesagt: Man kann darüber streiten.

Man kann darüber streiten, ob es so eine kluge Idee war, diese Entscheidung direkt nach dem Großveranstaltungsverbot in einem Pressestatement (zunächst im Berliner Tagesspiegel, dann in Form dieser Erklärung) mitzuteilen. Niemand kritisiert den Vorstand dafür, dass er den CSD in seiner geplanten Großveranstaltungsform abgesagt hat. Viele in der Community fühlen sich aber überrumpelt und fragen sich, warum in dieser Verkündung das Ergebnis einer Diskussion über mögliche alternative Formen bereits vorweggenommen wurde. Denn natürlich gibt es bei den vermeintlichen Alternativen Großveranstaltung und „Onlinevariante“ eine ganze Menge dazwischen. Doch statt zu einer solchen Diskussion einzuladen, verlautbart der Vorstand in seiner Pressemitteilung:

“ … Für den 25. Juli 2020 wird also eine Onlinevariante des Berliner CSD organisiert. Wie diese genau aussieht, wird den Communities und allen Interessierten baldmöglichst mitgeteilt. Diese Umsetzung wird es allen Aktivist_innen, Interessierten und Kunstschaffenden die Möglichkeit geben, sich aktiv zu beteiligen und inhaltlich einzubringen.“

Auch das kann man machen. Aber auch darüber kann man streiten.

Das einzige, worüber man eigentlich nicht streiten müssen sollte, ist die Frage, ob man darüber streiten kann.

Doch zwei Vorständ*innen versuchen genau das gerade in Abrede zu stellen:

Ralph Ehrlich kommentiert meinen letzten Blogbeitrag, in dem ich die Ankündigung des CSD-  Vorstandes kritisiert hatte, eine „Onlinevariante“ durchzuführen, auf Facebook so:

Ganz schön harter Tobak was du da schreibst. Natürlich ist ein CSD eine Demonstration mit Menschen für Menschen die sich treffen und zusammen laufen auf Augenhöhe. Je kreativer und mit persönlichen Herzblut gestaltet für mich umso besser. Und natürlich ist auch eine solche große Demonstration nur durch eine Eventplanung zu bewältigen. Ist übrigens auch bei der 1.Mai -Demo oder dem Stadtfest, welche auch geplant werden muss. Es sei denn es kommen nur 200-300 Menschen zum CSD, dann braucht man natürlich keine große Planungen.Jetzt dem Vorstand des CSD zu unterstellen das sie nicht wüssten was ein CSD ist und welche Bedeutung er hat, finde ich sehr vermessen und eigentlich eine Frechheit. Anstatt laufend etwas zu posten, wäre mal ein ins Gespräch kommen besser gewesen, aber scheinbar ist dir da das Internet dann doch wohl lieber als das persönliche Gespräch bzw. mal den Hörer in die Hand zu nehmen.

Mit der „Frechheit“ kann ich sehr gut leben. Wer kritisiert, muss auch einstecken können. Womit ich ein Problem habe ist etwas anderes: Man kann einen kritischen Kommentator dafür kritisieren, was er kommentiert. Aber nicht dafür, dass er kommentiert. „Anstatt laufend etwas zu posten“ hat zudem gleich zwei Geschmäckle: Würde er auch einen Zeitungsjournalisten, der dauernd etwas in seiner Zeitung schreibt, dafür kritisieren, dass er dauernd etwas in seiner Zeitung schreibt?

Und zweitens: Bei aller Notwendigkeit von Gesprächen die es zwischen denen, die eine öffentliche Funktion ausüben und denen, die die sie dabei publizistisch beobachten: Die Aufgabe eines Beobachters ist zunächst das Beobachten. Die Forderung nach dem „persönlichen Gespräch“ statt einem öffentlichen Debattenbeitrag stellt die Legitimation eines öffentlichen Debattenbeitrages infrage, weil hier so getan wird, als ob es sich um persönliche Differenzen handelt, die auch persönlich „mit dem Hörer in der Hand“ aus dem Weg geräumt werden müssten. Ich halte das für fatal. Öffentliche Entscheidungen bedürfen einer öffentlichen Debatte. Dies gilt insbesondere für Entscheidungen einer solchen Tragweite, wie die, die der Berliner CSD-Vorstand gerade getroffen hat und durchziehen möchte. Gerade in Zeiten, in denen die Situation der unabhängigen kritischen queeren Medien immer prekärer wird, sollte ein CSD-Vorstand nicht den Eindruck erwecken, als seien diese überflüssig, wenn sie kritische Debattenbeiträge veröffentlichen.

Wenn nicht jetzt eine kontroverse öffentliche Diskussion notwendig ist, wann denn dann?

Stattdessen versuchen zwei Vorständ*innen, unliebsame Meinung als „Meinungsmache“ zu diskreditieren. Auch das ist man als Kritiker gewohnt und kann gut damit leben. Allerdings zeigt die Begründung des Meinungsmache-Vorwurfes, was zumindest bei einer Hälfte des CSD-Vorstandes ganz grundsätzlich nicht stimmt.

CSD-Vorständin Jasmin Senken schreibt in der gleichen Facebook-Diskussion folgenden bemerkenswerten Kommentar, der nur noch dadurch noch bemerkenswerter ist, weil er von Vorstandskollege Ralph Ehrlich mit einem „Like“ versehen wurde:

„… Und kritischer Journalismus ist für mich, alle Beteiligten zu befragen, um daraus dann eine, möglicherweise berechtigte, Kritik zu formulieren.
Alles andere halte ich für Meinungsmache.
Just saying.
Bitte korrigiere mich, wenn ich irre.“

Es scheint unglaublich, aber es ist wohl so: Die Leitung des Hauptstadt-CSD, von dem wir aus leidlicher Erfahrung wissen, dass die Frage seines Erfolges oder Scheiterns zu einem Großteil eine Frage der Kommunikation ist, besteht zur Hälfte aus Leuten, die Grundprinzipien von öffentlicher Kommunikation nicht kennen. Oder nicht verstehen. Deswegen muss man die „bitte korrigiere mich“-Bitte, die hier offensichtlich ironisch gemeint war, leider ganz erst nehmen.

Also:

Um einen kritischen journalistischen Kommentar zu schreiben, muss man vorher nicht alle Beteiligten fragen, die man kritisieren möchte. Das ist in totalitären Staaten so, bei uns aber nicht. Zweitens: Ob eine Kritik als „möglicherweise berechtigt“ anzusehen ist, hängt davon ab, ob sie auf Fakten beruht und nicht, ob man mit „allen Beteiligten“ gesprochen hat. Und als Fakten muss das gelten, was die Beteiligten selbst öffentlich verlautbart haben. Wenn Eure öffentlichen Verlautbarungen falsch sind, dann ist es nicht die Aufgabe von Journalisten, bei Euch nachzufragen, ob Ihr das, was Ihr sagt, auch wirklich so gemeint habt. Es ist Eure Aufgabe, so zu kommunizieren, dass man verstehen kann, was Ihr meint. Wenn Ihr glaubt, falsch verstanden worden zu sein, was natürlich immer vorkommen kann, dann wäre es Eure Aufgabe, klar zu stellen, was genau falsch dargestellt worden ist. Doch genau das macht Ihr eben nicht. Ihr argumentiert nicht gegen die Kritik, sondern entzieht Ihr einfach die Berechtigung.

Auch das kann man so machen. Aber es erinnert an das Kommunikationgebaren des skandalumwitterten Berliner Landesverbands des LSVD, der seit Jahren versucht, Kritiker zu diskreditieren. Vor einigen Jahren weigerte sich der Verband etwa, auf eine Presseanfrage dieses Blogs zu einer Kampagne zu antworten, die ich zuvor kritisiert hatte. Stattdessen, schrieb LSVD-BB-Geschäftsführer Jörg Steinert dann an David Berger, der damals Chefredakteur der „Männer“ war, und begründete ihm, warum er meine Fragen nicht beantworten wollte:

…Darüber hinaus ist uns Herr Kram bereits seit längerem durch wenig seriöse Berichterstattung aufgefallen.“

Gerade jetzt brauchen  eine offene Debatte darüber, was der Berliner CSD sein kann. Der Berliner Community ist zu wünschen, dass den Vertretern ihres CSDs noch eine andere Kommunikationsstrategie einfällt, als nach der ersten Kritik laut „Fake News!“ zu rufen.


Hier mein Ursprungsbeitrag;

Ein digitaler CSD ist kein CSD!

Mehr zum Thema:

Stonewall war keine Onlinepetition

Mein Vorschlag für einen wirklich politischen Berliner CSD 2020

Dringender Hilferuf aus Polen an die deutsche Community und den Berliner CSD

Alle Beiträge zum Thema Corona und Community hier.


Aktuell: In der neuen Folge meines QUEERKRAM-Podcasts (präsentiert von queer.de) erzählt Ralf König über das Zeichnen in Quarantäne und darüber, wie er gerade Köln erlebt Er diskutiert mit mir über Political Correctness und sagt, was ihn an den alten Bully-Herbig-Filmen stört. Hört mal rein …


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