Sie nennen Volker Beck einen Moralisten. Dabei wollen sie nur, dass er die Klappe hält. Dass wir die Klappe halten.

„Bei den Grünen sagen jetzt manche, dass sie all das an Michel Friedmann erinnere. Der sei ja auch immer chic angezogen und ein beherzter Moralist gewesen.“

DER SPIEGEL von heute (5.3.2016)

Ich kann es nicht mehr hören …

„Beck ist Moralist, er ist ein Symbol, daran wird er gemessen.“

Kurt Kister, SZ

„Volker Beck ist ein Moralist, der das Fehlverhalten anderer konsequent anklagt und der bedingungslos austeilt.“

Neue Westfälische

„Der tiefe Fall eines selbstverliebten Moralapostels“

Junge Freiheit

„Der tiefe Fall des Moralapostels Beck“

Vera Lengsfeld

„Der grüne Moralist Volker Beck hat ein Drogenproblem“

Der Standart

„Der Sündenfall des Moralisten Volker Beck“

Reinhard Mohr, BZ

„Beck ist ein Moralist – und er kann kräftig austeilen“

Tagesspiegel

„Moralpolitiker Beck“

Leipziger Volkszeitung

„Seine Moralreden wird man  nicht vermissen“

Frank Wahlig, SWR

Ein Moralist ist im heutigen Sprachgebrauch jemand, der sich moralisch über andere erhebt, jemand, der das Leben der anderen unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet, bewertet oder sanktionieren will.

Volker Beck ist das Gegenteil eines Moralisten! Wie nur wenige Politiker in Deutschland hat er konsequent dafür gekämpft, dass alle Lebensweisen gleichwertig zu behandeln sind. Er hat eben nicht seine Moral über die der anderen gestellt, sondern – wie nur ganz wenige Politiker in Deutschland – sich auch für die Minderheiten eingesetzt, die seiner eigenen Lebensform traditionell ablehnend gegenüberstehen. Er hat sich eben nicht als besserer Mensch präsentiert, sondern als einer, der moralische Kategorien und Zurechtweisungen zu überwinden versucht. Und er hat, anders als etwa die taz behauptet, eben nicht stets „hohe moralische Ansprüche“ an die politischen Gegner angelegt, sondern dafür gestritten, dass die gleichen Maßstäbe für alle angelegt werden.

Trotz seiner (ja, man darf das sagen!) historischen Verdienste hat er sich nicht als Heilsbringer oder Jakobswegkuschelschwuler feiern lassen, sondern seine Reputation immer wieder dafür eingesetzt, Verständnis für schwer Verständliches einzuwerben. Darunter für viele Dinge, mit denen er persönlich und klientelpolitisch nichts am Hut hatte. (Und deretwegen er deshalb regelmäßig Prügel von allen bezog.)

Er ist auch deswegen schon eher eine Art Anti-Moralist, weil er im Endeffekt nicht zwischen gut und böse unterschieden hat, sondern zwischen gerecht und ungerecht. Er ist – wenn überhaupt – ein Rechts-Fetischist, kein Recht-Haber sondern ein Rechte-Kenner & -Erklärer, jemand, der Menschenrechte universell und nicht opportunistisch eingefordert hat. Die Emotionalität seiner Rethorik hatte viel zu tun mit der Leidenschaft, mit der er klug, meinetwegen manchmal auch etwas altklug, aber eben sachlich mit rationalen Argumenten gegen die Doppelmoral der Demagogen anredete.

Wie wichtig Rationalität in diesen Tagen ist (und gerade in der hassaufgeladenen Diskussion um Flüchtinge), hat Claudius Seidl, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, vor ein paar Tagen in der rbb-Talksendung Thadeusz und die Beobachter. erklärt:

„Wir sehen Amoral, wir sehen Leute, die sind so kalt und böse, dass wir es nicht fassen können, und glauben, dass alles, was sozusagen Widerspruch ist, muss moralisch begründet werden. Und so kommen wir dazu, dass nun seit dem späten Sommer die vermeintliche Amoral gegen die vermeintliche Moral steht. Wo man also kaum über die ganzen Fragen, die mit dem Flüchtlingszuzug zusammen hängen rational und kühl reden kann, weil man sofort auf das Feld der Moral getrieben wird, und da möchte man nicht hin. Man will natürlich ein guter Mensch sein und natürlich auf keinen Fall etwas mit diesen komplett bösen Menschen zu tun haben. Es lässt sich aber nicht alles mit Moral analysieren. (…) Ich würde sagen, Widerstand heißt, dieser völlig irrationalen Amoral Rationalität entgegen zu halten und nicht immer nur Moral.“

Das, was Seidl da einfordert, scheitert in der politischen Auseinandersetzung fast immer daran, dass kaum ein deutscher Politiker fähig oder bereit ist, eine entsprechende Debatte rational und konstruktiv zu bestreiten.

Während sich SPD-Politiker weigern, sich im Wahlkampf in eine Talkshow mit AfD-Mitgliedern zu setzen, während der Sächsische Ministerpräsident schon an den zivilisatorischen Grundprinzipien scheitert und die größtmögliche Moralkeule gegen die Hetzer kreisen lässt („Das sind keine Menschen“), konnte in der letzten Zeit alleine Volker Beck beweisen, dass das, was Seidl da fordert, tatsächlich möglich ist.

Er tat das vor einer guten Woche in einem TV-Rededuell, auf das er sich mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry eingelassen hatte. Und er machte das nicht eben gut. Er war brillant. Andreas Petzold, der Herausgeber des stern schrieb anschließend:

„Es hilft nichts – es müssen Argumente her,  um die simplen Politik-Losungen der Petry-Truppe als untauglich zu entlarven. Wie das geht, hat Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, am Montagabend vorgeführt. In der Phoenix-Sendung „Unter den Linden“ trat er im direkten Duell gegen die AfD-Vorsitzende Frauke Petry an. Insgesamt auch für die scheuen Sozialdemokraten ein hübsches Lehrstück, wie man den politischen Gegner auf der glitschigen Bühne einer Livesendung lang hinschlagen lässt.“

Volker Beck, der gefeierte Held der Argumente. Das Musterbeispiel des rationalen Politikers.

Nur eine gute Woche später ist er das genaue Gegenteil.

Er ist der Moralist, der er angeblich immer schon immer war. Und der damit – selbst im Urteil derjenigen, die es angeblich gut mit ihm meinen – seine eigene Fallhöhe definiert hat.

Es ist erstaunlich, wie sehr und wie schnell auch schwule Meinungsführer diese Lesart übernommen haben. Wie sehr sie sich anstrengen, die Schnellsten zu sein, die ihn unter die Erde bringen. Schneller noch als die erklärten Feinde der LGTBI-Emanzipationsbewegung . „Es ist höchste Zeit für einen Generationenwechsel!“ schreibt Micha Schulze auf queer.de nicht mal einen Tag nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, während der Bloggerkollege Steven Milverton Lesben und Schwulen rät, „Volker Beck nicht nachzutrauern, sondern schnellstmöglicht einen Schlussstrich zu ziehen und nach vorne zu schauen“, und das schöne Bonmot von all den Friedhöfen zitiert, die „voller unentbehrlicher Männer“ sind.

Das mag ja alles sein (und die Forderung, dass über die Zukunft der LGTBI-Bewegung grundsätzlich gestritten werden muss, ist ja auch seit Jahren einer der durchlaufenden Fäden dieses Blogs). Und natürlich muss dabei auch über die Rolle von Volker Beck und die zukünftige Rolle seines Lebenswerkes LSVD gestritten werden.

Aber doch nicht jetzt im Affekt. Und vor allem nicht unter den Vorzeichen, die gerade die Gegner der Emanzipation mit aller Macht in die Debatte drücken wollen!

Wer sich jetzt moralisch über Volker Beck erhebt, weil dieser angeblich ein Moralist gewesen sei, will nicht sehen, was Volker Beck da eigentlich all die Jahre gemacht hat.

Das, was sie Moralismus nennen, ist in Wahrheit Beständigkeit, Hartnäckigkeit, Prinzipienfestigkeit und die Bereitschaft, sich für die Sache auch unbeliebt zu machen.

Weil man immer wieder verständlich machen muss, was andere nicht verstehen wollen. Weil sie uns nicht so wollen, wie wir sind.

Das nervt, weil Aktivismus nervt, nerven muss.

Wer jetzt Volker Becks Verdienste lobt, aber eine größtmögliche Distanz einnimmt zu der Art, wie er sie erreicht hat, der muss sich bewusst machen, dass diese Verdienste ohne diese Art so nicht vorstellbar sind. Das gilt vor allem für die, die nie ein Risiko eingegangen sind, die nie einen Nachteil in Kauf genommen haben, auch wenn es nur der war, bei manchen Leuten etwas weniger Darling sein zu dürfen. Die aber trotzdem von all dem profitieren, was Volker Beck und all die anderen nervenden Leute für sie erreicht haben.

Was sie, die anderen, die politischen und feuilletonistischen Homorechte-Relativierer Moralismus nennen, ist in Wahrheit nichts anderes als die Edelfeder-Version der Stammtisch-„Ich hab ja nichts gege Schwule, aber“-Parole. Eine seufzende Hoffnung, dass jetzt endlich bald mal Schuss ist mit dem anstrengenden Gemeckere und Geschreie der Homos, die doch jetzt wirklich langsam mal froh und dankbar sein sollen für das, was man für sie gemacht hat.

Dankbar dafür, dass man sie erträgt.

Volker Beck soll endlich seine Klappe halten. Die Schwuchteln sollen endlich ihre Klappe halten.

No way!  ♦

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6 Gedanken zu „Sie nennen Volker Beck einen Moralisten. Dabei wollen sie nur, dass er die Klappe hält. Dass wir die Klappe halten.

  1. Das erst kluge Wort, das ich zum Thema Volker Beck gelesen habe!

    Ebenso wie die irrationalen, demagogischen Verkürzungen der Regressivisten und anti-emanzipatorischen Schreihälse („die xy sind unser Untergang“) müssen wir auch ihre Projektionen („der selbstgerechte Moralist yz“) konsequent und unermüdlich, mit rationaler Schärfe und rechtsstaatlicher Argumentation zurückweisen.

    Dort, wo wir uns (zu) lange darauf verlassen haben, dass Volker Beck für uns schon in die Bresche springen wird, wenn es nötig ist, dort lasst uns nun in seine Fußstapfen treten!

    LGBTI –
    POLITISIERT EUCH!
    SOLIDARISIERT EUCH!
    SPEAK UP!

  2. Den Satz, er habe sich „für die Minderheiten eingesetzt, die seiner eigenen Lebensform traditionell ablehnend gegenüberstehen“ finde ich so nicht richtig.

    Es gab in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1980er-Jahren den Bundesverband Homosexualität (BVH), der umfangreiche Entwürfe zur Lebensformenpolitik erstellt hat. Die klassische Ehe sollte so geöffnet werden, daß eine Ehe auch aus mehr als zwei Personen bestehen kann, und daß jeder Mensch gleichzeitig mehrere Ehen haben kann. Die Gesetzesvorschläge waren komplett ausgearbeitet, die Rahmenbedingungen im Steuer- und Sozialrecht waren berücksichtigt. Es stand noch der politische Kampf bevor, das durchzusetzen.

    Statt dessen aber gründete sich (u.a. mit Volker Beck) in der Wendezeit der Schwulenverband Deutschland (SVD) als Konkurrenzverein. Er setzte sich nicht für eine allgemeine Lebensformenpolitik ein, sondern für das blinde Kopieren der damals schon in der Auflösung begriffenen heterosexuellen Moral- und Ehevorstellungen in die lesbische und schwule Welt.

    Im Ergebnis haben wir heute in der lesbischen und schwulen Welt noch nicht einmal eine Ehe, sondern bloß eine eingetragene Partnerschaft. Und während Heten heute offen promisk und polyamorös leben (ich auch), ist in der in den 1980ern und 1990ern noch so offenen Lesben- und Schwulenszene eine ungeahnte Spießigkeit eingekehrt.

  3. Ich habe das phoenix-Gespräch gestern angeschaut. Frau Petry hat sich durchaus selbst in ihrem rechthaberischen Opferkomplex entlarvt, aber Herr Beck sagte dann noch das jeweils richtige dazu. Was mir aber auffiel, war, dass Frau Petry Herrn Beck irgendwann genervt einen „Moralisten“ nannte. Wohlgemerkt zeitlich vor den hier zitierten Artikeln.

    Wo kommt das her? Es lassen sich doch nicht alle ihre Sprachregelung von Frau Petry vorgeben? Wieso denken so viele Leute bei Herrn Beck „Moralist“? Was haben diese Leute mit Frau Petry gemein, das wir offenbar zum Glück nicht haben?

  4. “ jemand, der Menschenrechte universell und nicht opportunistisch eingefordert hat“

    Soll das ein Witz sein? Er war einer der Ersten die sich dafür ausgesprochen hat das männliche Kinder das Recht auf körperliche Unversehrtheit genommen wird. Schon vergessen?

    Und was die Talkshow mit Petry angeht:

    Ich hab da nur einen aggressiven Poebler gesehen der sich zum Affen gemacht hat.

    Petry hatte einfach zu viel Stil um auf sein Niveau herabzusinken.

    Würde ich in einer Talkshow Beck gegenüber sitzen würde ich ich ihn mit seiner Kindersex-Geschichte richtig einheizen.

    Dann käme er gar nicht mehr zum „Angriff“…

    “ Die aber trotzdem von all dem profitieren, was Volker Beck und all die anderen nervenden Leute für sie erreicht haben“

    Ja. Er hat erreicht das Heteros uns jetzt alle pauschal als Kinderschänder ansehen. Da ich ungeoutet bin bekomme ich das ungefiltert mit.

    Vor 20 Jahren wurden wir als, schrille, aber harmlose Minderheit angesehen. Jetzt als kinderfickende Junkies.

    Kommt mal aus Eure schwulen Schneckenhaus heraus.

  5. @ Tobi Schlüter

    “ Wieso denken so viele Leute bei Herrn Beck „Moralist“

    Na weil er einer ist. Für mich ein Heuchler…

    Er schwadroniert von Menschenrechten aber bekämpft sie gleichzeitig.

    Abgesehen davon: Es kann nicht angehen das Crystal-Meth Junkies Gesetze verabschieden und über Bundeswehreinsaetze im Ausland entscheidet.

    Crystal Meth ist kein Hanf.

    Kein Beruf erlernt, sein Blablastudium nicht abgeschlossen, nie im Leben einen Tag gearbeitet und von solchen Leuten soll ich mir die Welt erklären lassen? Ich glaube es hakt.

    Ich stelle mir immer die Frage:

    Was hat dieser Typ jemals für Deutschland getan?

  6. Volker Beck nervt. #Rabähhhhhh Scheixx der Hund drauf. Er nervt. Und das nervt einige. Und das ist gut so. Vor allen Dingen weil die Meisten die sich genervt fühlen schweigen. Den Schwanz einziehen. Ihr Rückgrat zu Hause vergessen haben.

    Das er sich der AfD argumentativ zu behaupten weiß schon das alleine spricht für ihn. Damit ist er allein auf weiter politischer Flur. DAS ist beschämend.

    Ja ich bin dagegen das AfDler*Innen in Talkshows eingeladen werden. Auch deshalb weil bis auf wenige Politiker sich die Butter das vom Brot nehmen lassen bzw intellektuell nicht in der Lage sind der AfD Paroli zu bieten.

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