Das Berliner CSD-Drama (I): Die „Stonewall-Gala“ war ein homopolitisches Desaster

Das Berliner CSD-Drama

Seit Tagen versuche ich, die Ereignisse um die diesjährigen Berliner CSDs für dieses Blog aufzubereiten. Doch je länger ich versuche, das alles irgendwie auf einen Beitrag herunter zu brechen, um so mehr zerbricht es mir.  Gleichzeitig merke ich, wie die Aufarbeitung der Misere durch die Beteiligten schon jetzt mit den selben simplen Reflexen betrieben wird, mit denen sie die Misere erst ausgelöst haben. Die einen loben den Erfolg des CSDs den sie vorher unterstützt haben. Die anderen sagen, dass beide CSDs kein Erfolg waren, der Streit nichts gebracht habe, und fordern, dass man jetzt aufeinander zugehen müsse, um sich „an einen Tisch“ zu setzen.

Ich werde weder das eine, noch das andere tun. Ich werde mich nicht auf eine der beiden „Seiten“* schlagen. Und ich werde nicht den Schiedsrichter spielen und fordern, dass sich diese Leute endlich einigen sollen. Wenn man versucht, das CSD Drama mit ein bisschen Abstand zu betrachten, wird man merken, dass das wohl die schlechteste aller Lösungen wäre.

Gönnen wir uns die Zeit, endlich mal grundsätzlich über den Zustand der Bewegung nachzudenken. Ich möchte versuchen, hierzu einen Beitrag zu leisten. Erstmalig erscheint deshalb ein Blogbeitrag in mehreren Teilen. Auch ich brauche noch Abstand. Und auch ein bisschen Zeit … 

Teil 1***: Die “Stonewall-Gala” war ein homopolitisches Desaster

Die diesjährige Gala des Berliner CSD e.V. war ein homopolitisches Desaster. Ein schönes Desaster, wenn man so will. Immerhin gab es tolle Künstler, eine wunderbare Conchita Wurst. Dreimal konnte man sogar (wie im Fernsehen!) bei einer richtigen Standing Ovation mitmachen und man durfte sein feinstes Tuch mit Fliege tragen ohne sich dafür eine ganze Oper ansehen zu müssen. Schön war’s. Aber eben ein Desaster.

Tut mir leid, dieses Blog ist keine Partykolumne. Hier geht es ziemlich unglamourös zu: Kampf gegen Homophobie, Politik, Gutmenschenzeugs. Ganz schön öde. Ich weiss, das klingt verdammt nach jemandem, der auf eine Party geht, um anderen den Spass zu verderben. Aber ich kann nichts dafür! Wirklich!

Es ist nicht meine Schuld, dass man sich mit dem politischen Gehalt dieser Veranstaltung beschäftigen muss. Ich bin nicht gegen Spass. Im Gegenteil: Eine lustige, bunte Showparty am Vortag des CSD? Warum nicht? Nein, nicht ich bin hier die Spaßbremse! Schließlich kam ja nicht ich auf die Idee, dass bei dieser Stonewall-Sache etwas politisch Spektakuläres stattfinden müsse. Es waren die Veranstalter selbst, die so etwas wie ein modernes Wunder, einen homopolitischen „Neustart“ angekündigt hatten.

Bereits im letzen Dezember hatten sie den Berliner CSD 2014 zu nichts weniger als zu dem Beginn einer „neuen Bewegung“ erklärt. Doch nicht nur das: Sie trauten dieser „neuen Bewegung“ etwas zu, was sich weder Harvey Milk, noch John Lennon oder Judy Garland je vorzustellen gewagt hätten: Eine genaue Verortung des Endes des Regenbogens! So eine Art „jüngster Tag“, an dem endlich Schluss ist mit dem Homo-Hass. Ihnen war sogar eine Zahl für den Untergang der homophoben Welt erschienen: 2019! „Bis 2019“ wolle man die „Homophobie in den Herzen“ besiegt haben. Nicht 2020. Nicht 2018. Nein: 2019. Sie nannten das nicht Spinnerei sondern Konzept, „Stonewall-Konzept“. Es gründete sich eine Gegenbewegung, die sich gegen dieses „Konzept“ richtete. Aber nicht, weil es keines ist, sondern weil es undemokratisch, intransparent entstanden sei und dazu noch die Umbenennung der CSD-Parade in „Stonewall-Parade“ zur Folge haben sollte.

Ich weiss, diese Geschichte hört sich ziemlich absurd an. Mich erinnert sie an das Musical „The Book of Mormon“, in dem ich gelernt habe, dass es das Jahr 1978 war, in dem Gott seine Meinung über Schwarze geändert hat und sie seitdem nicht mehr gehasst werden müssen. Ich habe Folgendes begriffen: Je abgefahrener eine These ist, desto schwieriger ist es, ihr etwas entgegen zu setzen. Am wenigsten Gefahr droht den Thesen, die sich gar nicht die Mühe machen, eine zu sein, die einfach nur behaupten, dass es sie gibt. Wollen wir wirklich darüber diskutieren ob einem Adam Smith am 21. September 1823 im Staat New York der Engel Mormon erschienen ist, und ihm Gottes wahren Worte überbrachte?  Nicht der, der so etwas behauptet, ist ein Spinner, sondern der, der über so etwas streiten will.

Auch mir ist es so gegangen. Nach der Verkündigung ihres „Back to the Roots“-Konzeptes, aus dem dann diese Stonewall-Sache hervorging, hatte ich versucht, den Unsinn dahinter zu erklären. Damals hatte ich über die Leute vom CSD e.V. geschrieben:

Jeder kennt diese verwirren Menschen in den Fussgängerzonen, die behaupten, sie seien Jesus oder zumindest auf seinen Spuren unterwegs. Man möchte diesen Menschen nicht absprechen, dass sie das auch wirklich so empfinden. Aber folgen möchte man ihnen auch nicht wirklich. Warum auch? So ähnlich ist das auch mit den Verkündern der neuen CSD-Botschaft: Sie haben einfach nicht verstanden, dass nicht ausreicht, zu behaupten, dass man sich auf irgendjemanden oder irgendetwas bezieht. So wie es nicht reicht, auf die Packung eines Medikamentes oder Lebensmittels einfach “gesund” darauf zu schreiben, wenn man sich keine Gedanken um die Wirksamkeit des Inhaltes gemacht hat.

Aber nicht sie lagen falsch. Sondern ich. Es reichte tatsächlich aus, irgendetwas zu behaupten. Unglaublich aber wahr: Dadurch, dass das Aktionsbündnis nicht das Fehlen von Kaisers neuer Kleider beklagte, sondern die Art, wie er sie trägt,  konnten sich die CSD-Macher erst recht als als Verteidiger einer politischen Agenda aufspielen, die einfach nicht existierte.

Das alles führte dazu, dass es in Berlin 2014 zwei Paraden gab, die sich am Ende doch beide CSD nannten. Doch der Irrsinn ging noch viel weiter: Beflügelt durch die von ihren Kritikern zugeschriebenen Bedeutung ihrer Bedeutungslosigkeit konnten die CSD-Macher es wagen, ein Zerwürfnis mit nahezu allen wichtigen queeren Institutionen der Hauptstadt zu provozieren. Sie führten sich auf wie in einem heiligen Krieg, in dem es nur noch Freunde oder Feinde gibt. Jede Kritik an der Radikalität, mit der sie sich  daran machten, ihr Nicht-Konzept durchzuboxen, konterten sie mit einer Art „Notwehr“-Argumentation: Unser Konzept ist unverzichtbar im Kampfes gegen Homophobie und muss deshalb gegen alle Widerstände durchgesetzt werden.

Sie inszenierten sich als neue Helden, als eine neue Generation Stonewall, obwohl sich ihr Kampf nicht gegen die Homo-Hasser richtete sondern gegen die Homos,  die zu blöd waren, diesen ihren Kampf zu verstehen. Gleichzeitig sorgten sie selber dafür, dass niemand diesen Kampf auch nur ansatzweise verstehen konnte. Was hinter der Stonewall-Sache stand, wie sie ihre Ankündigung umsetzen wollen, sich vom „Charakter des Party-CSD“ zu lösen und sich nur noch auf die „politischen Inhalte“ zu fokussieren, konnten oder wollten sie nie erklären.

Darum also ging es bei der „Stonewall Gala“: Bluffen die nur, oder gibt es da wirklich was? Wollen oder können sie die der Szene irgendwas geben, was auch nur irgendwie in Relation dazu steht, was sie ihr bis jetzt genommen haben? Existiert zumindest ein bisschen von dieser selbst ausgerufenen homopolitischen Relevanz? Oder haben sie die ganze Szene einfach nur deshalb Geiselhaft genommen, weil sie wussten, dass sie es sich leisten konnten? Weil sie Spass hatten am Helden-Spielen, an der Stonewall-Pose, bei der sie sich ein paar Monate so vorkommen durften, wie die sexy Widerstandskämpfer aus dem Musical „Les Misérables“ (dessen heroische Hymne sie auf der Gala tatsächlich zum Besten gaben)?

Am Ende etwa alles nur Tunten-Kitsch? **

Die Homo-Hasser erklären uns den Krieg und die Homos der Hauptstadt nehmen das nicht zum Anlass, darüber nachzudenken, wie sie sich verteidigen können? Und führen dem Rest des Landes statt dessen monatelang ein bombastisches, melodramatisches Kriegs-Musical auf?

Also: Wenn Sie auf der CSD Gala Spass hatten, dann freut mich das. Ich möchte Ihnen das nicht nehmen. Mein Vorschlag: Lesen Sie einfach nicht weiter.

Mir wäre es auch lieber gewesen, nicht dauernd irgendwelche Notizen machen zu müssen. Aber ich musste mir die ganzen Unglaublichkeiten alleine schon deshalb aufschreiben, damit ich mir am nächsten Tag noch sicher sein konnte, dass sie wirklich passiert sind. Auch ich hätte gerne weniger darüber nachdenken müssen, was dieses denkwürdige Event für den Kampf um Homo-Rechte bedeutet und mich statt dessen an der eigentlichen Challenge des Abends beteiligt: Dem Wettkampf um das beste Selfie mit Conchita Wurst.

Aber mal von Anfang an. Schon zu beginn Gala kündigte der CSD e.V., dass man ab sofort „ganz neue Wege gehen“ gehen würde.

Und dann?

Was soll ich sagen? Ja, ich hätte mich bekehren lassen. Ich war offen für ein Wunder, bereit, der Sache eine Chance zu geben. Noch ein paar Tage vorher hat mir einer vom Vorstand versichert, dass sie es wirklich ernst meinen, dass es da wirklich ein Konzept gibt (obwohl ich auf eine solche Ansage schon einmal reingefallen bin).

Was soll ich sagen? Schon zur Pause der Gala hatte ich auf Facebook geschrieben, dass das eine der peinlichsten Veranstaltungen war, auf denen ich je gewesen bin. Ich wurde dann gefragt, was man hätte denn besser machen können. Gegenfrage: Was hätte man denn schlechter machen können?

Nein, ich meine nicht den Ablauf, die Regie, die Technik. Das war alles Dilettantismus vom Allerfeinsten, aber wie gesagt: das hier ist keine Party-Kolumne und abgesehen davon ist es mir lieber, wenn man in der Szene selber eine Veranstaltung auf die Beine stellt, bei der dann fast alles schief geht, als wenn man (wie in den letzten Jahren im Friedrichstadtpalast) sich in eine bestehende perfekte Show einfügt, dafür aber keine eigene Handschrift zu erkennen ist.

Nein, nicht Pleiten, Pech und Pannen, also das, was gegen den Willen der Veranstalter passierte, waren das Problem. Im Gegenteil: Schlimm wurde es immer dann, wenn sichtbar wurde, was sich die Veranstalter selber ausgedacht hatten. Ich hätte mir nur gewünscht, dass der wohl bezeichnendste  Satz des Abends („Und was machen wir jetzt?“) auch gleich zum Motto der Veranstaltung gewählt worden wäre. Wenn man einfach zugegeben hätte, dass man auch inhaltlich keinen Plan hat, erst recht keine Richtung, und deshalb auch keine „neuen Wege“, die man jetzt zum Beschreiten vorgeben kann

Wo das denn konkret zu erkennen gewesen ist, müssen Sie sich langsam fragen. Wenn Sie das so genau wissen wolle, dann muss ich Ihnen leider sagen: An allem.

Alle, wirklich alle zur Zeit homopolitisch relevanten Themen wurden zur Farce.

Nach den Ereignissen der letzten Monate war bereits zu befürchten, dass der Verein alle Fragen, Diskussionen, Forderungen, Baustellen, Bedürfnisse und Erkenntnisse, die zur Zeit in der Szene eine Rolle spielen zu einem leeren Getue pervertieren würde. Dass es aber noch schlimmer würde, dass fast überall konträre Signale gesendet und penetriert wurden, die dem Interesse an einer starken, einheitlichen und schlagkräftigen Szene entgegen stehen, konnte man nun wirklich nicht ahnen. ♦

Vorherige Beiträge zum Thema:

10.12.2013: „CSD Berlin plant politische Bankrotterklärung“

20.02.2013: „CSD Berlin: Wir müssen alle einen Gang runter schalten!“

25.02.2014: Zum Nachlesen. Versuch eines Live-Blogs aus dem CSD-Forum“

20.06.2014: „Live-Blog von den beiden Berliner CSD´s: Was ist da falsch gelaufen?“

*** Geständnis: Der hier versprochene zweite Teil ist bisher noch nicht erschienen

4 Gedanken zu „Das Berliner CSD-Drama (I): Die „Stonewall-Gala“ war ein homopolitisches Desaster

  1. Ganz ehrlich? Wäre ich Geschäftsführer eines CSD der ja eine Non Profit Organisation ist – sein soll und gleichzeitig Geschäftsführer einer auf profit orientierten Marketing-Werbefirma ich würde in 2014 Nächten Geschichten und Märchen erzählen warum jetzt etwas so und nicht anders zu sein hat.

  2. Also ich kenne ja nun schon einige Blogeinträge von ihnen zum Thema CSD Berlin. Und mich wundert es immer wieder, das sie zwar behaupten objektiv zu sein und sich auf keine Seite zu schlagen. Aber sie doch ganz klar für eine Seite und gegen die andere Seite sind. Das hat nichts mehr mit objektiv sein zu tun. Leider sehr schade. So gießt man nur unnötig Öl ins Feuer.

  3. Es ist einfach nur noch peinlich. Wen wundert es da das ein Verdruss entsteht und viele, sehr viele Schwule keinen Bock mehr haben auf den CSD.
    Auch ist es mehr als peinlich… und da wundern wir uns das die Heteros mit Fingern auf uns zeigen ?
    Der Vorstand sollte sich schämen und den Platz frei machen… vielleicht sitzen sie schon zu lange da oben und haben keinen Blick mehr für die Realität…
    Erinnert mich an die Ost Regierung… die hatten auch keinen Plan mehr…

    —-> eine Organisation, ein Verein oder ein Unternehmen ist wie ein Fisch und fängt immer am Kopf an zu stinken…

  4. So eine, nun will ich deutlich werden, Scheiße, habe ich lange nicht gelesen! Ich mache es kürzer, als der selbtverliebte Schreiberling.
    Ich war auf der Gala und fand es großartig! Auch der Sinn des Abends ist nicht zu kurz gekommen!
    Diese beleidigenden Äußerungen des mir vollkommen unbekannten( nun weiß ich auch warum)
    Verfassers, sind eine Beleidigung für all die zahlreiche ehrenamtlichen Mitgestalter!
    Ich habe selten so eine spannende und unterhaltende Veranstaltung besucht! Und ich habe in meinem langen Leben viel gesehen.
    Von der Gala spricht man sicher noch lange!!!
    Von dem unbekannten Zeilenschreiberling wird man nicht mehr viel hören, da bin ich mir sicher…
    An das Team der Gala: macht weiter so und lasst Euch von den ewigen Nörglern nichts vermiesen!!
    Gruss
    Axel Kaiser

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.