Transfeindlichkeit während der Berlinale: Es beginnt mit dem Klo

Ein Gastbeitrag von Lion H. Lau

Ich will nicht über Toiletten sprechen. Aber ich muss.

Ein Jahr nach Kramp-Karrenbauers entlarvender Selbstdemontage während des Karnevals und sie über das Thema Unisex-Toiletten stolperte („Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist die Toilette.“), muss ich heute erneut über das Thema sprechen.

Ein transfeindlicher Übergriff während der Berlinale dieser Tage macht diesen Text notwendig.

Ich bin Drehbuchautor. Außerdem trans, nicht-binär, nutze für mich im Deutschen männliche Pronomen, im Englischen dagegen verwende ich „they/them“ als anerkannte genderneutrale Variante. Ich nehme Testosteron, mir wächst ein beeindruckend inkonsequenter Pubertätsbart, meine Stimme ist tief und meine Mastektomie habe ich hinter mir, viele Hürden sind überwunden. Aber eine Hürde kehrt immer und immer und immer wieder: Der Gang zur öffentlichen Toilette.

In meinem Leben verwandelt sich der Gang zur Toilette innerhalb von Sekunden von einem banalem Grundbedürfnis zu einem hochkomplexen Politikum. Es gibt kein Entkommen. So auch beim Crew Call von Crew United vergangenen Donnerstag.

Was ist passiert?

Es ist der Abend der Berlinale-Eröffnung. Nach der Verleihung des Fair Film Awards lädt Crew United zur ausgiebigen Feierei in der Kulturbrauerei ein. Ich bin auch da. Wie weitere circa tausend Filmschaffende.

Nach der zweiten Cola muss ich mal. Neben der reichlich frequentierten Garderobe finde ich eine Einzel-Männertoilette. Eine Kabine, kein Pissoir, perfekt. Neben der Toilette steht ein älterer Mann, der kein Interesse an der Toilette, sondern an seinem Smartphone hat. Bis ich die Toilette betreten will. Dann ändert sich alles.

Als ich die Tür zum Klo öffne, ruft er: „Das ist die Männertoilette, da gehen Männer rein, hören Sie, junge Dame!“

Ich: „Ich weiß, deshalb geh ich hier drauf“.

Er: „Ich hab gesagt, das ist die Toilette für Männer, haben Sie nicht verstanden, was?“

Ich: „Ich bin ein Herr, keine Dame“.

Mittlerweile gucken Leute. Die, die an der Garderobe stehen. Mir wird erst schlecht, dann heiß, dann schwindlig. Niemand sagt was, niemand greift ein, aber sie gucken. Und ich stehe da, mit halb geöffneter Toilettentür. Der Mann könnte es dabei belassen. Tut er aber nicht.

Er sagt so etwas wie „Jetzt wollen Frauen schon Männer sein, um unsere Toiletten zu benutzen“ und schickt mich erneut zur Damentoilette. Als wäre das Männerklo eine Burg, die es für Frauen gilt, zu erobern. Als sich ein zweiter, jüngerer Mann anstellt, wendet er sich an ihn: „Tja, da können Sie jetzt nicht drauf, weil die da denkt, sie wäre ein Mann“.

Letzter Mut zusammen genommen, ich will antworten, doch er lässt mich nicht, unterbricht mich, bevor ich auch nur ein weiteres Wort sagen kann: „Jaja, gehen Sie einfach rein, los, machen Sie, schließen Sie endlich die Tür, los, schließen Sie die Tür, is mir egal, was Sie sagen“.

Ich schließe die Tür. Und stehe nun einfach so da. Paralysiert. Versuche, zu verstehen, was da gerade passiert ist. Versuche herauszufinden, wie ich damit umgehen soll. Draußen das dumpfe Gespräch der beiden Männer. Vielleicht, so stelle ich es mir hoffnungsvoll vor, hat der Jüngere den Älteren versucht, aufzuklären. Doch ich weiß es nicht. Mir wird scheidend kalt bewusst: Ich bin vollkommen allein.

Für mich bleiben endlos lange Sekunden, in denen ich meinen Mut sammle, um die Toilette wieder zu verlassen.

Später werde ich den Veranstaltenden schreiben. Und ich werde per Mail eine kurze Entschuldigung erhalten und ein Versprechen, dass man vor der nächsten Veranstaltung überlegen wird, wie einer solchen Situation vorzubeugen sei.

Ja, und? Reicht das nicht? Warum diese Geschichte öffentlich machen?

Zum einen sind ein paar Zeilen per Mail tatsächlich nicht ausreichend. Zum anderen ist eine solche Entschuldigung mit einem solchem Versprechen ein Versatzstück. Daraus entsteht kein Diskurs. Und erst Recht kein Bewusstsein für die tausend Stolpersteine im Alltag von trans Personen.

Die trans Community kennt zahlreiche dieser Klo-Stories. Geschichten von Angst, Beklemmung, Ohnmacht, Ausgrenzung, Fremdbestimmung. Ein Spießrutenlauf. Gerade deshalb ist es mir wichtig, davon zu erzählen.

Denn viele in meiner Community sprechen nicht darüber, da der Zustand für sie normal ist.

Ausgrenzung als Normalzustand. Wie bitter. Wie schmerzlich.

Ich schreibe dies auch, weil ich an dem Tag umgeben war von meinen Kolleg*innen. Alles Filmschaffende. Vielleicht sitze ich der einen oder anderen demnächst in einer Buchbesprechung gegenüber. Vielleicht laufen wir uns irgendwann auf einem Set über dem Weg. Und auch das sei an dieser Stelle angemerkt: Ich lebe keineswegs in der Illusion, dass Filmschaffende in irgendeiner Form reflektierter und empathischer seien als Menschen anderer Berufsgruppen. Im Gegenteil: Ich mache die Erfahrung, dass sich ein Großteil meiner Kolleg*innen taub und stumm Problemen gegenüber verhalten, die ihnen unbekannt und fremd sind. Oder auf Anmerkungen mit einem „Entspann dich mal“/“Leg nicht alles auf die Waagschale“/“Das war jetzt nicht so wild“ reagieren.

Ich schreibe diesen Text, weil die deutsche Filmlandschaft transfeindlich ist. Und zu eitel, das zu erkennen. Oder gar was zu ändern.

Sie transfeindlich in jenen Momenten, in denen trans Charaktere in den erzählten Geschichten bestensfalls als Fall der Woche und Mordopfer gezeigt werden. Sie ist transphob im Aberkennen der Möglichkeit, dass wir als trans Autor*innen unsere eigenen Geschichten erzählen dürfen. Sie ist arrogant und ignorant, wenn sie glaubt, zu wissen, wie wir sind und wir sie uns erzählen muss. Transidentität gehört im deutschen Storytelling zum schmucken Diversitäts-Bling-Bling, den sich Produktionsfirmen und Sender gern umhängen, um zu sagen: Siehe da, wir sind divers, wir sind vielfältig, wir haben keine Probleme, es ist alles schön und gut und jetzt sei still. Denn gleichzeitig wird die Notwendigkeit nicht gesehen, sich eingehend mit unserer Community, unseren Nöten, Ängsten, Sorgen, aber auch und vielleicht das noch vielmehr, mit unseren Errungenschaften, unserer Stärke, unserer Geschichte und unserem Stolz und Kampfgeist zu beschäftigen. Wir sind ein erschreckend blinder Fleck. Wir werden nicht erkannt, selbst wenn wir uns zu erkennen geben. An der Toilette, beim Friseur, beim Kauf einer Brille.

Und dann ist da noch Crew United. Eine Plattform für Medienschaffende. Crew United positioniert sich gegen Ausgrenzung und für ein buntes, reflektiertes, offenes Miteinander. Kurz vor dem Zwischenfall wurde der Fair Film Award verliehen. Neben Nachhaltigkeit, Arbeitsklima, Arbeitsschutz oder Gagen werden auch Chancengerechtigkeit, Gleichbehandlung und Diversität in die Bewertung der Produktionen einbezogen. In den Bewertungskriterien heißt es da „Eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, […] sexueller Orientierung und Identität […] findet nicht statt“. In Rahmen dessen habe ich Diskriminierung und Ausgrenzung erleben müssen. Das lass ich jetzt einfach mal so stehen.

Was hat Sichtbarkeit von trans Personen im deutschen Fernsehen bzw. auf der Leinwand mit meinem Bedürfnis, während des Crew Calls aufs Klo gehen zu dürfen zu tun?

Schlicht und ergreifend: Erzählen wir die Geschichte von trans Personen richtig, klären wir gleichzeitig auf. Gender Education, sozusagen. Ein niedrigschwelliger Ansatz, Brücken zu bauen, andere verstehen zu lassen. Denn ganz offensichtlich reicht ja die Verleihung eines Fair Film Awards nicht, um ein Bewusstsein zu schärfen oder den Geist für ein buntes Miteinander zu stärken.

Als ich die Toilette unverrichteter Dinge verließ, stand da noch der jüngere Andere. „Der hat’s nichts nicht kapiert“ sagte er in einem Ton, der wie eine Entschuldigung klang. Der hat’s nicht kapiert. Ja, aha. Mag sein. Vielleicht hat er nicht kapiert, was trans bedeutet, vielleicht war er schlicht und ergreifend ignorant, vielleicht auch einfach nur ein Arschloch. Who knows. Die Motivation für sein Handeln ist (mir) schnuppe. Eine Toilette ist eine Toilette ist eine Toilette. Die Sache sollte klar sein: Wer pinkeln muss, der darf das auch. Natürlich in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten, klar.

Aber dann eben doch nicht klar. Nicht für mich. Nicht für all die anderen trans Berlinale-Gäste, teilweise internationaler Herkunft. Mit meinem Gang zur Toilette wird mein Körper zum Politikum. Und das in einem der intimsten Momente.

Veranstaltende, die vergessen, dass es trans Personen (transmännlich, transweiblich, nicht-binär) oder inter Personen gibt und die sich nicht mit deren Herausforderungen auseinandersetzen, finden sich während der Berlinale zuhauf. Der Crew Call ist kein Einzelfall. Der Crew Call ist Normalität. Und das ist schockierend.

Ich schreibe diesen Text, weil ich müde bin. Müde, zu hören, dass wir in Deutschland im Bereich des Filmbusiness kein Problem mit Transfeindlichkeit haben, dass ich nicht alles auf die Waagschale legen soll, dass ich lernen muss, damit umzugehen, dass ich mich auf all die guten Dinge konzentrieren soll. Ich bin müde, zu hören, dass alles halb so wild ist. Denn es ist wild, es ist grausam, es schmerzt und drückt und hallt nach. Ich bin müde, hören zu müssen, dass ich doch verstehen muss, dass andere mich nicht verstehen. Und dass ich die anderen verstehen soll, die mich nicht verstehen wollen. Integration ist keine Einbahnstraße.

Ich will, dass die Integration von trans Personen bei den Toiletten beginnt. Und da nicht aufhört. Ich will, dass man uns zuhört. Ich will, dass man uns ernst nimmt. Auch wenn das bedeutet, dass ich von Toiletten schreiben muss. Auch wenn es bedeutet, meinen Körper zum Politikum zu machen. Ich will kein blinder Fleck sein.


Nachtrag zur Klarstellung (15.45 Uhr): Die Crew United Party ist keine offizielle Berlinale-Veranstaltung. Ursprünglich gab es im Vorschaubild auch ein Berlinale-Logo. Dieses wurde entfernt.

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