Coming-out: Dieter Hallervorden attackiert Schauspieler*innen

Es wäre einfacher, wenn das typisch deutsche Gesicht der Homophobie ein schlechtgelauntes, verbiestertes und aggressives wäre. Es wäre einfacher, wenn das typisch deutsche Gesicht der Homophobie für einen Mangel an Bildung stehen würde. Es wäre einfacher, wenn das typisch deutsche Gesicht der Homophobie zu Menschen gehören würde, die nichts mit Homosexuellen zu tun haben.

Aber so ist es leider nicht. Das typisch deutsche Gesicht der Homophobie gehört zu jedermann. Und da es auch zu den Netten gehört, den Sympathieträgern, bei denen sich alle sicher sind, dass der oder die ganz bestimmt nichts gegen Homos hat, bleibt die Homophobie eine der unverwüstlichen Konstanten der deutschen Leitkultur.

Gestern habe ich darüber geschrieben, wie sehr sich von Stammtisch bis Feuilleton die homophoben Impulse derer ähneln, die die große #Actout Coming-out-Aktion von 185 Schauspieler*innen als nicht notwendig und nicht mutig bezeichnen.

Das Doppelargument dieser Täter-Opfer-Umkehr ist immer das gleiche:

  • Es gibt gar keine Diskriminierung mehr, gegen die man ankämpfen müsste.
  • Wer trotzdem dagegen ankämpft, tut das nur, um sich in den Vordergrund zu schieben.

So oder ähnlich kann man es immer wieder in Reden von AfD-Politikerinnen hören, die gegen jede Maßnahme zur Antidiskriminierungspolitik wettern, weil hierdurch angeblich keine Missstände beseitigt, sondern Privilegien geschaffen würden. Dass auch ein Großteil der Bevölkerung ähnlich denkt, wird gerne verdrängt. Und noch mehr verdrängt wird, dass diese „schrecklich-nette“ Homophobie auch im Freundes- und Berufsumfeld queerer Menschen sehr präsent ist.

Wie präsent, das hat die #Actout -Aktion der Schauspieler*innen in den letzten Tagen schmerzlich gezeigt: Gerade auch Menschen, die professionell wie menschlich mit Schauspiel und Schauspieler*innen zu tun haben, fallen jetzt den Künstler*innen in den Rücken. Über das besonders traurige Beispiel der FAZ- Feuilletonchefin Sandra Kegel habe ich gestern geschrieben. Doch da der Tiefpunkt der anti-queeren Empörung offensichtlich noch nicht erreicht war, sah sich Dieter Hallervorden, der (vermutlich heterosexuelle) Schauspieler und Chef des Berliner Schlosspark-Theaters, in einer Facebook-Diskussion gestern zu folgendem Kommentar veranlasst:

Wo ist da der Sturm?

Wowereit hat sich vor Jahren geoutet und ist dennoch zu Recht Regierender Bürgermeister geworden. Niemand ist einfach nur anders, sondern in meinen Augen besonders, ganz einfach und durchaus positiv gemeint: besonders!!!!

Aber niemand sollte mit seiner Besonderheit meinen, es besonders in den publizitären Vordergrund zu rücken. Es gilt einfach: Jedem das Seine!

Ob solche Attacken eher aus Unwissenheit oder aus Bösartigkeit erfolgen, ist dabei nebensächlich. Denn jeder, der das Interview im SZ-Magazin gelesen oder deren weit verbreitete Statements anderswo gelesen hat, sollte eigentlich keinen Zweifel an den Absichten der Schauspieler*innen haben. Und jeder in der Branche sollte eigentlich sowieso darüber Bescheid wissen, wie sehr der Druck, sich nicht outen zu sollen, sowohl das Privatleben als auch die Karriere angreift.

Und zu Hallervorden speziell:

Ob man von einem deutschen Theaterintendanten erwarten kann, dass er um „Jedem das Seine“ als die Inschrift vor dem KZ Buchenwald weiß, sei dahingestellt. (Der Theaterregisseur und -autor Falk Richter hat Hallervorden auf Facebook darauf hinwiesen, bis jetzt wurde der Post aber nicht geändert.) Aber auch ohne Nazi-Bezug ist Hallervordens „Argument“ brutal: Homosexuelle sollen das machen, was ihnen zusteht. Was bitte soll das sein?

Die queer-jüdische Berliner Sängerin und Komponistin Lili Sommerfeld schreibt Hallervorden auf Facebook:

Wenn Sie in Zukunft unsicher sind, ob ihre „Meinung“ menschenfeindlich und diskriminierend ist, setzen Sie doch zur Überprüfung einfach mal „Jude“ statt „anders/schwul/queer“ ein. In der Regel haben die Deutschen beim Thema Juden mittlerweile ein ganz gutes Gespür dafür, was geht und was nicht. Andererseits schreiben Sie „Jedem das Seine!“. Vielleicht hab ich da also zu viel von Ihnen erwartet.

Hallervorden ist kein Monster. Er ist ein Durchschnittsgesicht dieser Gesellschaft.

Vielleicht haben wir alle von dieser Gesellschaft zu viel erwartet. Auch deshalb ist es höchste Zeit für #Actout!

Update, 8. Februar 2021: 

Dieter Hallervorden hat sich erklärt und verschlimmbessert seine Aussagen

Update, 27. Februar 2021:

In meinem Podcast habe ich mit den beiden #ActOut-Initiator*innen, der Schauspieler*in Karin Hanczewski („Tatort“) und ihrem Kollegen Godehard Giese („Babylon Berlin“) über ihre Initiative gesprochen: Die bewegende Entstehungsgeschichte, die Reaktionen und was nun passieren soll. Der von queer.de präsentierte QUEERKRAM-Podcast lässt sich auch auf allen großen Podcast-Portalen und Apps abspielen.

Hier der Ursprungsbeitrag zum Thema #Actout:

Schauspieler*innen-Coming-out: Der Kampf beginnt erst jetzt!

Weitere Beiträge zum Thema:

Meine Rede anlässlich zur Gründung der Queer Media Society:

Queer in den Medien: Homosexualität ist keine Privatsache!

Im Theatermagazin habe ich 2018 über Homophobie in Theater, Fernsehen und Film geschrieben und Coming-outs von Schauspieler*innen geschrieben. Ich bin sehr froh, dass sich die Überschrift von damals jetzt überholt hat. Sie lautete:

Jeder springt für sich allein.

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