Das „Zirkuszelt“-Zitat von Friedrich Merz im Rahmen der Diskussion um die von der Bundestagspräsidentin verbotene Beflaggung des Reichstagsgebäudes mit der Regenbogenfahne zum CSD sorgt zu Recht für große Kritik. Doch nicht nur der Auftritt von Merz in der „Maischberger“-Sendung ist ein besorgniserregendes Beispiel dafür, wie queere Themen zurzeit in der Öffentlichkeit verhandelt werden. Auch der mediale Umgang mit diesem Auftritt ist es.
Ein Ritual der ARD-Sendung ist es, die politischen Talk-Gäste zu klaren Positionierungen in strittigen Fragen zu drängen, indem sie von der Moderatorin vorgegebene Halbsätze vervollständigen sollen.
Die gestrige Sendung hatte mit Bundeskanzler Merz ausnahmsweise nur einen einzigen Gast. Die Themen, zu denen er sich in diesem Sätze-Vervollständigen-Block festlegen sollte, hatten also ein entsprechendes Gewicht: Er sollte u. a. sagen, was er von einem deutschen „Iron-Dome“ halte,also einem mobilen Raketenabwehrsystem à la Israel (viel), von der fehlenden Unterstützung Deutschlands für einen NATO-Beitritt der Ukraine 2008 (wenig, aber „nachher weiß man alles besser“) und dem Untersuchungsbericht über Jens Spahns Masken-Deals (natürlich: wenig). Dass es direkt danach um die Regenbogenflagge auf dem Reichstag ging, hatte also eine gewisse Fallhöhe. Schon die Tatsache, dass sich der Bundeskanzler mit so etwas beschäftigen soll, dürfte breite Teile Fernsehdeutschlands in Wallung gebracht haben.
Dass das Verständnis für queere Themen in Deutschland gerade nicht besonders ausgeprägt ist, hat wohl jeder queere Mensch schon am eigenen Leib erfahren. Umso schöner wäre es, wenn diese Themen medial zumindest einigermaßen verständlich aufbereitet würden. Das ist gestern – wieder einmal – ziemlich misslungen.
Doch der Reihe nach. Maischbergers Halbsatz, den Merz vervollständigen sollte, lautete:
„Dass Julia Klöckner die Regenbogenfahne zum CSD nicht hissen will im Bundestag …“
Dass es „den“ CSD nicht gibt, sondern viele, die an vielen unterschiedlichen Terminen stattfinden (in der Diskussion geht es natürlich um den Berliner), ist eine eigentlich vernachlässigbare Ungenauigkeit der Moderatorin. Aber eben nur eigentlich, da es schließlich die Summe der Ungenauigkeiten sein wird, die die ganze Sache medial entgleiten lassen. Merz jedenfalls will sich offensichtlich nicht auf eine Bewertung festlegen:
„Ich kann Ihnen die Frage nicht abschließend beantworten“,
sagt er, um wenig später, weil die Moderatorin nicht locker lässt und weil Merz eben Merz ist, dann doch genau das zu tun. Es fällt der Satz vom Bundestag, der ja kein Zirkuszelt sei, an dem man ja nicnht irgendwelche beliebigen Flaggen hisse, was natürlich ein lustiger Statz ist. Aber eben auch einer, darüber, dass erstens die Regenbogenflagge irgendeine beliebige Flagge ist und zweitens die, die ihre Hissung auf dem Reichstag forderten, ganz schön blöde Clowns sein müssen.
Dann erklärt der Bundeskanzler:
„Am 17. Mai ist der Tag, an dem der Christopher Steret Day stattfindet, an dem auch an diese Gruppen gedacht wird, da kann man eine andere Fahne aufhängen. Aber die restlichen 364 Tagen nicht.“
Dass das „Zirkuszelt“-Zitat unsäglich ist, ist klar. Dass er aber hier offensichtlich Unsinn erzählt, will ich ihm wirklich nicht vorwerfen, er hat wirklich gerade andere Baustellen. Richtig ist: Der 17. Mai hat mit dem Christopher Street Day aber nichts zu tun. Richtig ist hingegen: Am 17. Mai wird der sogenannte IDAHOBIT begangen – der „International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia“, der daran erinnert, dass Homosexualität erst am 17. Mai 1990 von der WHO offiziell aus dem Diagnoseschlüssel für Krankheiten gestrichen wurde. Den IDAHOBIT gibt es erst seit 2005, CSDs in Deutschland natürlich schon sehr viel länger, die ersten fanden 1979 in Berlin und Bremen statt und beziehen sich auf die Stonewall-Riots in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969.
Dass ich Friedrich Merz nicht dafür kritisieren möchte, dass er IDAHOBIT und CSD durcheinander bringt, bedeutet nicht, dass es egal ist, was er hier falsch erklärt. Im Gegenteil: In der Debatte um die Regenbogenflagge geht es ja genau darum, warum und zu welchem Anlass sie gehisst werden sollte. Und deshalb wäre es natürlich wichtig, dass das Fernsehpublikum das zumindest einigermaßen nachvollziehen kann.
Ob Sandra Maischberger die Hintergründe der Debatte kennt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls ist das, was als eine klarstellende Frage klingt, genau das Gegenteil:
Maischberger:
„Nicht zur Parade, aber zum Christopher Street Tag, hab ich Sie richtig verstanden?“
Merz:
„Ja, das ist der Tag, der 17. Mai, nach dem nach dem Fahnenerlass der Bundestag beflaggt wird.“
Alle Zuschauer*innen, die sich noch weniger als Friedrich Merz (und möglicherweise auch Frau Maischberger) mit dem Thema beschäftigen, dürften nun spätestens an dieser Stelle einigermaßen berechtigterweise verwirrt und auch verärgert sein. Immerhin hat der Bundeskanzler (bestärkt, bzw. nicht widersprochen von einer der wichtigsten deutschen TV-Journalistinnen) hier gerade erklärt, dass der Bundestag ja zum „wahren“ CSD längst Regenbogenflagge werde und dass sich die Kritik der Community nur darum drehe, dass dies nicht auch noch zur Parade geschehe.
Doch damit sind wir leider nicht am traurigen medialen Ende der Regenbogenfahnenstange angekommen.
Das Zirkuszelt-Zitat hat es heute Morgen sogar in die Nachrichten des Deutschlandfunks geschafft, einer der wichtigsten News-Quellen des politischen Berlins. Nur leider als Falschmeldung.
Der DLF behauptete, Merz hätte gesagt:
„… es reiche, die Regenbogenflagge an einem Tag im Jahr am Bundestag zu hissen, das sei der 17. Mai, der Tag gegen Homophobie.“
Doch genau das hatte Merz ja eben nicht gesagt. Der Bundeskanzler hat von einem „Tag gegen Homophobie“ (oder wie er heute heißt: „Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie“) ja offensichtlich keine Ahnung und ist der Meinung, hier werde bereits zum CSD beflaggt.
Die Falschmeldung des Deutschlandfunks, die so oder so ähnlich auch in anderen Medien auftauchte, geht offensichtlich auf eine dpa-Meldung zurück, die sich bemühte, den Bundeskanzler nicht so unwissend aussehen zu lassen, wie er tatsächlich ist. Anders als der Deutschlandfunk hat die dpa-Meldung nicht explizit behauptet, der Kanzler habe gesagt, der 17. Mai sei der Tag der Homophobie. Sondern geschrieben, dass der 17. Mai der Tag gegen Homophobie ist. Doch so wie diese Aussage in Meldung verwurstest ist, kann man dem Deutschlandfunk nicht vorwerfen, darauf hereingefallen zu sein
dpa:
In der ARD-Talkshow „Maischberger“ äußerte sich der CDU-Vorsitzende zu Klöckners Entscheidung (…) . Es gebe einen Tag im Jahr, das sei der 17. Mai – das ist der Tag gegen Homophobie – [Hervorhebung durch mich ], an dem die Regenbogenflagge gehisst werde, so der Kanzler.
Julia Klöckner ging es offensichtlich nicht darum, mit ihrer Entscheidung zur Regenbogenflagge die Neutralität des Parlaments zu wahren. Alle ihre Verlautbarungen dazu zeigen, worum es ihr in der von ihr selbst angezettelten Debatte tatsächlich geht: um einseitige Parteinahme und um die Diskreditierung der Anliegen der queeren Community.
Etwa wenn sie sagt, dann müsse sie ja auch die Vatikanflagge hissen. Oder wenn sie – wie auf einer Personalversammlung der Bundestagsmitarbeiter*innen – erklärt, das Kreuz sei im Gegensatz zur Regenbogenflagge ein neutrales Symbol, denn ohne es „gäbe es die offene Gesellschaft, wie wir sie heute in Deutschland haben, nicht“. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so infam wäre.
Natürlich weiß auch sie – die studierte Theologin –, dass die schreckliche Homosexuellenverfolgung in Deutschland nach 1945 maßgeblich durch die Kirchen, im Zeichen des Kreuzes, vorangetrieben wurde.
Julia Klöckner ist nicht neutral. Sie ist boshaft.
Vor allem aber hat sie es geschafft, das sensibles Thema queere Sichtbarkeit zu einem Reiz-Thema zu entrücken.
Ja, viele Deutsche sind genervt und verwirrt von queeren Themen. Etwas mediale Entwirrung täte dringend gut.
Stattdessen zeigt der ARD-Auftritt von Friedrich Merz, wie sich eine Fehlerkette vom Bundeskanzler über Maischberger und die dpa bis hin zum Deutschlandfunk zuschnüren kann – eine Kette, in der alle Beteiligten nicht zur Aufklärung, sondern ausschließlich zur Verklärung beigetragen haben.♦
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