„Ehe für alle“: Eine kleine Nachhilfestunde (nicht nur) für Heteros

Die Ehe für alle kam auch deswegen so spät nach Deutschland, weil sich fast nur die Heteros für das Thema interessiert hatten, die leidenschaftlich dagegen sind. Leidenschaftliche Befürworter, gar Kämpfer für die Sache gab es kaum, und auch in den wohlwollenden Kommentaren nach der Entscheidung im Bundestag ist zu lesen, dass diese zwar für die – relativ wenigen – „Betroffenen“ eine große Sache sei, ansonsten aber halt ein Nischenthema, über das man jetzt nicht so einen Wind machen müsse. Geradezu ausgelacht werden wir oft, wenn wir die historische Dimension betonen, die Homos mögen es halt gerne dramatisch.

Auch jetzt können oder wollen viele Heteros nicht den Unterschied zwischen einem Minderheiten- und einem Menschenrechtsthema verstehen, beharren somit auf ihre Gönnerpose, statt sich gemeinsam mit uns darüber zu freuen, dass es vor allem ein Sieg der Freiheit ist: Dass nun Deutschland ein insgesamt freieres Land geworden ist, dass Freiheit etwas ist, dass für alle größer wird, wenn sie für alle gilt.

Dass ausgerechnet Deutschland, das Land der friedlichen Revolution, jetzt so freiheitsvergessen ist, merkt man daran, dass nun viele die Bedeutung der Eheöffung vor allem daran messen wollen, wie viele homosexuelle Paare denn nun auch tatsächlich heiraten wollen. Das wäre so, als ob man die Bedeutung des Wegfalls des eisernen Vorhangs und die Errungenschaft der Reisefreiheit für die ehemaligen DDR-Bürger vor allem daran bemessen würde, wie viele denn auch damals von ihr Gebrauch gemacht hatten.

In Amerika etwa lief und läuft die Debatte da komplett anders, dort sind vor allem auch die nicht „Betroffenen“ stolz auf das Erreichte, weil sie der Meinung sind, dass sie nun alle in einem besseren Land leben. Ich habe in diesem Blog und anderswo diesen Unterschied oft aufgeführt, vor allem das Credo der Obama-Regierung, dass durch die Eheöffnung die Gesellschaft an sich stärker geworden ist, vor allem die Stärkung Werte, die das Selbstverständnis des Gemeinwesens definieren:

„Indem wir uns für Lesben und Schwule einsetzen und ihre Liebe und ihre Rechte im Gesetz gleich stellen, verteidigen wir unser aller Freiheit.“

Barack Obama

Krasser kann der Gegensatz zum Selbstverständnis hierzulande gar nicht sein. Warum macht sich Deutschland gerade bei einem solchen Thema so entsetzlich klein, wo es sich doch nun einmal wirklich großartig fühlen könnte? Ist der leitkulturelle Konservatismus, der Ekel vor Veränderung, Pluralität und Emanzipation so groß, dass wir Deutschen zwar merken, dass Veränderung und Pluralität notwendig ist, diese aber nur verkraften können, wenn wir so tun, als sei dem nicht so? Selbst dann, wenn es wirklich mal passiert?

Wie können wir Heteros erklären, dass da gerade Geschichte geschieht und dass auch sie ein Teil von sind, einfach damit wir uns gemeinsam daran erinnern können, damit wir gemeinsam daran arbeiten können, dass sie auch wirklich gelingt?

Vielleicht aber ist der Unterschied zwischen den USA und Deutschland ja vor allem der, dass man solche Dinge dort am besten veranschaulicht, wenn es gelingt, sich eine bessere Welt vorzustellen. Und hier eine schlechtere. Wenn also die Vorstellung von Freiheit und Gerechtigkeit nicht überzeugend ist, dann vielleicht das Gegenteil?

Hier also nun ein neuer Versuch, mit dem es vielleicht gelingt zu erklären, warum die Ehe für alle auch ein Thema für alle sein sollte: Todesstrafe! Ja, ich meine das ernst. Und nein, ich vergleiche hier nicht die Todesstrafe mit der Eheöffnung. Aber das Beispiel Todesstrafe zeigt, wie unsinnig es ist, die Wichtigkeit eines Themas daran zu bemessen, wie viele Menschen tatsächlich direkt davon „betroffen“ sind:

Ob wir in einem Land leben, in dem es die Todesstrafe gibt oder nicht, ist den allermeisten von uns nicht egal, auch wenn fast niemand je in eine Situation geraten könnte, in der sie ihm drohen könnte. Und auch ob die Todesstrafe im Jahr bei zwei- bis dreihundert oder nur bei zwei bis drei Menschen verhängt würde, würde für die Leidenschaft, mit der wir dagegen sind, wohl keinen allzu großen Unterschied machen.

Bei Fragen von Gerechtigkeit und Freiheit gibt es nicht die einen, die es betrifft und die, die damit nichts zu tun haben.

Es geht um den Grad an Zivilisation, dem sich eine Gesellschaft verschreiben möchte. Deutschland ist dank der Ehe für alle gerade dabei, ein zivilisierteres Land zu werden.

Was für ein komisches Land, das vor allem stolz darauf ist, wie egal ihm das ist. ♦

PS: Ich weiß, das lesen wahrscheinlich fast wieder nur die Heteros, die sich nicht nur mit uns, sondern auch für sich selbst über all das freuen können. Deshalb hier: Sorry fürs Verallgemeinern, und Danke dass Ihr zu denen gehört, denen man das alles nicht erklären muss. Aber vielleicht gebt Ihr es dann einfach weiter an die, bei denen das noch nicht so ist …

Hier im Blog zum Thema:

Nach Orlando: Liebe Heteros, jetzt seid Ihr dran!

Ehe für alle: Geholfen hat nur Druck, Druck, Druck

Wäre der 30. Juni nicht ein wunderbarer Feiertag?

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6 Gedanken zu „„Ehe für alle“: Eine kleine Nachhilfestunde (nicht nur) für Heteros

  1. Die Debatte wurde fast nur aus der Perspektive einer Mehrheit auf eine Minderheit geführt. Dabei sind gerade die Fenster geöffnet worden, damit alle leichter atmen können. Dass dies ein historisch zu nennender kultureller Wandel ist, das haben leider nur unsere Gegner begriffen, die deshalb auch nicht müde wurden, sich bis zuletzt dagegen zu stemmen. In der Tat, was für ein komisches Land.

  2. Sicher wird das volle Adoptionsrecht hinzukommen. Aber das eigentliche Kindeswohl steht nur bedingt im Mittelpunkt der gleichgeschlechtlichen Adoptionswünsche und ist auch durch sicher in vielen Fällen gegebene, beachtliche Liebeszuwendung nicht zu garantieren. Denn eigentümlicherweise wird durch diejenigen, welche Freiheit in jeder Beziehung fordern, eine Beschneidung der Freiheit der Kinder billigend in Kauf genommen.
    Im Gegensatz zu einem Kind in einer Vater-Mutter-Gruppierung, erleidet das in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung heranwachsende Kind eine gewisse Deprivationssituation bzw. Diskriminierung, da ihm der enge Kontakt mit der Gegengeschlechtlichkeit verwehrt bleibt (Fehlende Aktivierung von wichtigen Spiegelneuronen).
    Die Frage nach dem Wohl des Kindes wird hier bei der versuchten Verwirklichung abstrakter Gleichheitsideen oder dem Versuch der Beseitigung eines auszuhaltenden, vielleicht unangenehmen Defizits, in der Regel gar nicht erst gestellt.
    [Einzelheiten über „Kinder – Die Gefährdung ihrer normalen (Gehirn-) Entwicklung durch Gender Mainstreaming“ sind in dem Buch: „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie, 6. Auflage, Verlag Logos Editions, Ansbach, 2014: ISBN 978-3-9814303-9-4 nachzulesen]

  3. @Hebel
    Du versucht ein Argument auf der Grundlage eines Buches mit dem Titel „Vergewaltigung der menschlichen Identität. Über die Irrtümer der Gender-Ideologie“ zu begründen?
    Da kann jedem sachlich-wissenschaftlich orientierten Menschen nur schlecht werden …

  4. Interessanter Artikel. Als eine, die seit 1990 im Ausland lebt, würde ich so weit gehen zu sagen, dass die Unterschiede tatsächlich kulturell bedingt sind und überhaupt nichts mit diesem Thema zu tun haben. Es gibt sie bei allen Themen!

    Irgendwie ist da tatsächlich ein recht deutscher Hang zum Zerreden schon im Vorfeld, dieses typische „Ja, aber“. Debatten bis zum Umfallen, bei denen jeder jedem ins Wort fällt und Gräben gezogen werden, anstatt Kompromisse gesucht. Dazu dann auch das, was man im Ausland mit German Angst bezeichnet – der liegt natürlich eine gewisse Negativität zugrunde – und wenn die auf das historisch bedingt Sichkleinmachen trifft …

    Die Amerikaner funktionieren da völlig anders: Reinspringen, machen, scheitern kann man dann immer noch, dann steht man wieder auf, schüttelt sich, macht weiter. Insofern der extremste Vergleich.

    Ich habe diese Unterschiede auch nicht glauben wollen, aber ich habe in Frankreich ein völlig neues Debattieren lernen müssen.

  5. @Hebel: Ich hätte gerne einen Euro für jedes Mal, an mir Dein copy&paste-Kommentar im Netz entgegengegeistert ist. Hast Du echt nicht mehr zu bieten, als seit Jahren den selben Quark aus diesem „Fachbuch“ zu posten, was keines ist?

    Wie auch immer: Gute Genesung!

    Zum Thema: „Deutschland ist dank der Ehe für alle gerade dabei, ein zivilisierteres Land zu werden.“

    Ich bitte, den Tag nicht vor dem Abend zu loben. So schön der Freitag war (ich auch noch in Köln, wo mich in meinem Regenbogen-Yankees-Shirt in der Bahn, bei Merzenich, irgendwie überall, enorm viele Menschen angelächelt und mir zugezwinkert haben), hab ich das ungute Gefühl, dass da noch die große Pointe kommt. So Horsti klagt, und Karlsruhe eine GG-Änderung verlangt, ist es Essig mit der „Zivilisierung“ dieses unseres Landes. So die eh gehässige AfD reinkommt, werden sich genügend gehässige Unionisten finden, um dann Hand in Hand dagegen zu stimmen, und uns wieder um Jahre zurückzuwerfen.

  6. Pingback: » Ehe für alle: Der geheime Plan um die Konfettibombe im BundestagIch hab ja nichts gegen Schwule, aber

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