Die „Ehe für Alle“ wäre ein Geschenk der Gesamtgesellschaft an sich selbst

Vor einigen Wochen habe ich auf einer Veranstaltung etwas über Homophobie erzählt und über die Notwendigkeit, dagegen etwas zu tun. Anschließend kam ein netter älterer Herr – ich glaube er war Historiker – auf mich zu. Er sagte mir, dass er meine Ansichten grundsätzlich teile, dass aber das Hauptproblem in Sachen Homophobie zur Zeit die große Zahl an Menschen sei, die gerade aus einem anderen Kulturkreis zu uns kommen. Und dass deswegen die Bundesregierung dringend eine entsprechende Aufklärungskampange für Flüchtlinge starten sollte.

Ich entgegnete ihm, dass ich nichts gegen eine – gut gemachte – Aufklärungskampagne hätte, allerdings nicht nur für Flüchtlinge. Und dann fragte ich ihn, ob unsere Gesellschaft nicht die Gleichwertigkeit von Homosexuellen am allerbesten gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen dadurch unterstreichen würde, wenn sie Lesben und Schwulen hier, also im eigenen Kulturkreis, auch die gleichen Rechte zugestehen würde. Ich fragte ihn, ob wir uns gegenüber Flüchtlingen nicht unglaubwürdig verhalten würden, wenn wir ihnen präventiv eine Diskriminierungsbereitschaft unterstellen, während die Gesellschaft, die diese ja gerade erst kennenlernen, nicht mal in der Lage ist, die offensichtlichste (und dazu noch ohne großen Aufwand, Geld und Zeit ganz einfach zu beendende) Diskriminierung aufzuheben. Warum wir uns nicht gemeinsam dafür einsetzen, die „Ehe für alle“ einführen?

Der Mann stutzte, dachte ein paar Momente nach. Dann sagte er „stimmt“ oder so was ähnliches, und dann allen Ernstes: „Gibt es denn in Europa schon Beispiele, wo das schon mal probiert worden ist?“ Natürlich kann ich meine Antwort darauf den meisten Lesern dieses Blogs ersparen. Trotzdem, weil wir es leider immer wieder sagen müssen: „Ja, in Westeuropa fast überall, und in Holland schon seit 15 Jahren.“

Ich glaube es liegt nicht so sehr an den „Ich hab ja nichts gegen, aber-“ Bürgern, dass Deutschland eine der weltweit erfolgreichen Bürgerrechtsentwicklungen der letzten Jahrzehnte schlichtweg verschläft.

Es liegt eher an dieser viel größeren Gruppe der „normal-liberalen“, der vielen, vielen grundsätzich aufgeschlossenen Menschen in diesem Land, an Menschen wie diesem Herrn. An Menschen, die, würden sie sich nur eine Minute über die „Ehe für Alle“ informieren, würden sie sich über sie nur eine Minute ernsthaft Gedanken machen, zu dem Schluss kommen würden – und sich vielleicht sogar dafür engagieren – dass sie jetzt endlich mal passiert.

Wenn.

Die „Ehe für alle“ hat in Deutschland nicht das Problem, dass so viele dagegen sind. Sie hat das Problem, dass so wenige dafür sind. Weil es für sie einfach kein Thema ist.

Hinzu kommt absurderweise, dass diese „Kein Thema“-Haltung auch bei den Leuten weit verbreitet ist, die eigentlich glühende Unterstützer der rechtlichen Gleichstellung sind. Weil sie der Meinung sind, dass es diese schon längst gibt. So ist das Lebenspartnerschaftsgesetz, einst von vielen als Motor für die für die Gleichstellung unterstützt, heute eine ihrer größten Bremsen. Das liegt zum einen daran, dass man Hetero-Journalisten nicht oft genug erklären kann, dass etwa Guido Westerwelle nach seinem eigenen Empfinden (und dem der Kanzlerin) zwar einen Mann hatte, aber eben keinen Ehemann. Weil das eben in Deutschland nicht geht.

Es hat aber auch damit zu tun, dass diese Journalisten offensichtlich denken, das Beharren auf die korrekte Bezeichnung sei bloß eine Spitzfindigkeit. Ist es aber nicht. Denn ihnen müsste  doch einleuchten, dass das bewusst hässliche Wort „Verpartnern“, das sie ihren Lesern ersparen möchten, eben den Homosexuellen nicht erspart wird, die ihre Beziehung vor dem Gesetz besiegeln wollen. Und dass es vor allem einen Grund dafür gibt, dass nicht nur das Wort hässlich ist, sondern auch, was es besagt: Nämlich u.a., dass dieser Bund für das Leben eben kein Bund ist, dessen Schutz der Staat so garantiert, wie er es bei den Heteros tut:

Wissen diese Journalisten nicht (oder ist es ihnen einfach egal?), dass das Lebenspartnerschaftsgesetz mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag einfach wieder kassiert werden kann? Und dass konservative Politiker immer wieder genau damit drohen?

Nein, die „Hochzeit von Patrick Lindner“ war nicht  „zum Heulen schön“. Es war gar keine. Und wer das trotzdem so schreibt, stellt sich auf die Seite derer, die sicherstellen wollen, dass so eine Hochzeit auch weiterhin nicht möglich ist.

Doch die Situation ist noch vertrackter.

Es gibt nämlich nicht nur die Gleichstellungs-Befürworter, die sich nicht für die Gleichstellung einsetzen, weil sie denken, dass sie schon da sei. Es gibt auch die, die denken, dass sie nichts dafür tun müssen, weil sie sowieso bald kommen wird. Aber, obwohl das viele glauben: Es gibt keine bevorstehende Verfassungsgerichtsentscheidung, die das Thema regeln wird. Und es wird sie auch wohl auf absehbare Zeit nicht geben.

Bleibt noch die Politik.

Und hier wird es jetzt ganz übel. Denn bis vor Kurzem galt es auch unter hartnäckigen Kämpfern für die „Ehe für Alle“ als sehr wahrscheinlich, dass diese nach der Bundestagswahl sowieso realisiert würde. Nocheinmal würde die SPD unter Merkel nicht einknicken. Und für den nicht unwahrscheinlichen Fall einer Merkel-Regierung mit Beteiligung der Grünen (ob als Schwarz-Grün, Schwarz-Rot-Grün, Schwarz-Gelb-Grün) könnten es sich diese nicht erlauben, ihre Homo-Klientel im Regen stehen zu lassen.

Doch genau das ist gerade in Baden-Württemberg bei den Koalitionsverhandlingen mit der CDU passiert. (Die Bloggerkollegen Rainer Hörmann, Steven Milverton, sowie natürlich queer.de haben es ausführlich aufgeschrieben und kommentiert.)

Und warum sollten die Grünen, wenn sie schon in einer Landesregierung  der Union in Sachen Homo-Rechte nachgeben (und dann noch in einer, in der sie sogar den Chef stellen!), warum sollten sie das in einer Bundesregierung nicht auch tun? (Vor allem, was gut passieren kann, wenn der zur Zeit wichtigste Gleichstellungskämpfer Volker Beck nicht im nächsten Bundestag sitzen wird..)

Der Grünen-Poliker Boris Palmer, einer der profiliertesten Vorbereiter einer schwarz-grünen  Koalition  nach der nächsten Bundestagswahl, hat dem möglichen Koalitionspartner CDU/CSU schon vor einem Jahr signalisiert, dass man für dessen Homobashing schon irgendwie Verständnis haben könne.

In einem (nicht etwa an die Union, sondern an die von ihr attackierten Minderheiten gerichteten) Appell mit der Überschrift „Entspannt Euch“ fand er:

„Es hilft der Sache nicht, den Vorwurf der Homophobie sofort auszupacken, wenn man (…) an der (weitgehend von der Wirklichkeit überholten) Vorstellung einer besonderen Vorrangstellung der Ehe festhält.“

Welche nicht-homophoben Vorstellungen mögen das sein?

Alle zur Zeit auf dem Markt befindlichen Argumente gegen die Gleichstellung homosexueller Liebe laufen darauf hinaus, dass diese entweder „defizitär“ sei, die Familie gefährde, oder die Wertvorstellungen und die Verfasstheit der Gesellschaft infrage stelle. Was daran ist nicht homophob? Was habe ich da nicht mitbekommen?

Ich hätte ja Verständnis dafür, wenn Palmer dafür plädieren würde, dass man auch die homophoben Hardliner versucht, in eine gerechtere Welt mitzunehmen. Wenn man versuchen würde, ihnen zu erklären, dass ihre Ängste unbegründet sind, dass sich durch die „Homo-Ehe“ nichts, aber auch gar nichts in ihrem Leben ändern werde, außer, dass die homosexuellen Jugendlichen, die es bestimmt in ihrer Familie, ihrer Nachbarschaft, oder sonst in ihrer näheren Umgebung gibt, dass es für diese Jugendlichen eine freiere, selbstbestimmte Zukunft geben würde.

Aber ich habe keinerlei Verständnis dafür, wenn ein Grünen-Politiker den Homophoben erklärt, sie seien gar nicht homophob. Wenn er all denen, die sich gerade größte Mühe geben, den Unterschied zwischen Meinung und Ressentiment zu erklären, in den Rücken fällt.

Natürlich hat es die Union zu verantworten, dass Homosexuellen in Deutschland immer noch gleiche Rechte verwehrt werden. Ich habe in den letzten Jahren an vielen Stellen versucht darzustellen, welche Funktion Lesben und Schwule, beziehungsweise die Abwertung von Lesben und Schwulen, für den identitären Kern und das Machtkalkül der Unionsparteien hat. (u.a. hier: „Bei der Diskussion in der Union über Homosexuelle geht es um alles Mögliche, nur nicht um Homosexuelle.“, weitere Links hinter diesem Beitrag)

Aber auch das Versagen der SPD spielt eine große Rolle. Die Sozialdemokraten haben bei den letzten Koalitionsverhandlungen im Bund  fast alle ihre Kernforderungen durchbekommen. Ausgerechnet beim Thema Gleichstellung haben sie dann schlappgemacht. Es hieß dann, man hätte sich an diesem Punkt eben nicht durchsetzen können.

Aber wollte man das wirklich, war man wirklich bereit, für Lesben und Schwule etwas zu riskieren?  War man nicht eigentlich froh, mit dem Finger auf die Union zeigen zu können, und dadurch das gebeutelte strukturkonservative Traditionssozialdemokratentum nicht noch weiteren Zumutungen aussetzen zu müssen?

Als der amerikanische Präsident Obama am 25. April in Hannover die Rede hielt, die allgemein als Plädoyer für ein starkes Europa gehalten wurde, machte er sehr klar, welches die Grundprinzipien dieser Stärke sind:

„The world depends upon a democratic Europe that upholds the principles of pluralism and diversity and freedom that are our common creed. As free peoples, we cannot allow the forces that I’ve described — fears about security or economic anxieties — to undermine our commitment to the universal values that are the source of our strength.“

Neben der Freiheit sind es nach Obama also Pluralität und Vielfalt, die ein starkes Europa ausmachen.  Und zwar nicht als Gedöns, nicht als Almosen der Gesellschaft für ihre Minderheiten. Sondern als universale Werte, die unseren Kontinent stark machen und die es zu verteidigen gilt.

Aber Obama wurde konkreter. Nach nicht einmal drei Minuten Redezeit (und somit fast unmittelbar im Anschluss an die Lobhudelei für Angela Merkel und Deutschland) sagte er:

„Perhaps most importantly, we believe in the equality and inherent dignity of every human being. Today in America, people have the freedom to marry the person that they love.“

Die Freiheit den zu heiraten, den man liebt. Die „Ehe für alle“ als ein Grundprinzip der Menschenwürde. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was man in den Unionsparteien als  ein Grundprinzip ihres „konservativen Markenkerns“ verteidigt.

Obama weiß das. Und vieles spricht dafür, dass er die starke Betonung der rechtlichen Gleichstellung (und das Eingehen auf Homosexuelle überhaupt) nicht trotz, sondern wegen seines Wissens um die Position der Kanzlerin manifestiert hat: Die Tatsache, dass er mit „freedom to marry“ seine ganze Auflistung wichtiger Werte beginnt, die Tatsache, dass er mehrmals darauf zurückkommt und „diversity“ und „equality“ immer wieder als roten Faden seiner ganzen Argumention aufnimmt. (Und dass er scherzhaft, für alle die es immer noch nicht begriffen haben, neben dem Fussball ausgerechnet den Eurovision Song Contest als Forum europäischer Debatten herausstellt.)

In den Medien taucht dieses deutliche Anliegen Obamas in seiner wohl letzten Rede als Präsident in Deutschland so gut wie gar nicht auf. DPA hat sogar die Passage, in der es um die „Ehe für alle“ geht, explizit aus ihrer recht üppigen Redezusammenfassung ganz rausgestrichen (und den ESC natürlich gleich mit).

Obama redet bei seinem letzten Auftritt als Präsident den Deutschen in Sachen rechtlicher Gleichstellung ins Gewissen. Muss man nicht so sehen. Aber ist es nicht komisch, dass so gut wie keinem Medium es ein Gedanke Wert ist, dass man es so sehen könnte? Wenn es schon der amerikanische Präsident nicht schafft? Was muss denn noch passieren, damit die „Ehe für alle“ in Deutschland zum Thema wird?

Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat heute auch eine Grundsatzrede zum Thema Werte und Gerechtigkeit gehalten. Im fielen dazu viele der Themen ein, die Obama auch genannt hatte: Klimawandel, gleiche Löhne, Rassismus, Internationalisierung, Bildung .. .

Gabriel betonte, dass „Freiheit und selbstbestimmtes Leben Kern einer sozialdemokratischen Politik“ sei. Und dann brachte er das unglaubliche Kunststück fertig, bei einer Rede, bei der es um Gerechtigkeit, um Freiheit, um selbstbestimmtes Leben ging, bei einer Rede, bei der er erklärte, dass all diese Dinge existenziell für den zukünftigen Erfolg der SPD seien, kein einziges mal auf die (überall sonst in der westlichen Welt entweder bereits hergestellte oder gerade umkämpfte) rechtliche Gleichstellung für Homosexuelle einzugehen.

Was soll man machen, wenn die Sozialdemokraten im nächsten Wahlkampf wieder plakatieren werden, dass es gleiche Rechte nur mit ihnen geben werde? Was soll man machen, wenn SPD Politiker wie Johannes Kahrs im Bundestag der Union damit drohen, man könne die Gleichstellung ja zur Not aufgrund der linken Mehrheit im Bundestag auch gegen sie einführen? Soll man sie einfach auslachen die Sozis? Oder soll man einfach nur heulen, weil die ehemalige große fortschrittliche Volkspartei Deutschlands nicht kapiert, worum es beim Fortschritt eigentlich geht.

Emanzipation, Gerechtigkeit für Minderheiten ist keine Klientelpolitik. Es ist nicht so, dass es da eine Mehrheit gibt, die einer diskriminierten Minderheit erlaubt, so zu sein wie sie. Fortschritt heißt, dass sich die gesamte Gesellschaft nach vorne bewegen kann, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hinter sich lassen kann. Die „Ehe für alle“ wäre kein Privileg für Lesben und Schwule. Sie würde nur etwas richtig stellen, was noch nicht richtig ist. Sie würde die Gesamtgesellschaft stärken, weil sie sich selber beweisen könnte, dass sie ihre Freiheitsrechte als universelle Rechte begreift.

Eigentlich sind Lesben und Schwule das beste, dass der SPD gerade passieren kann. Die Sozialdemokraten könnte sich die Gleichstellung Homosexueller ganz oben auf die Fahne schreiben. Nicht wegen der Homosexuellen. Sondern weil sie zeigen könnte, dass sie noch eine besondere Kompetenz in Sachen Gerechtigkeit haben. Dass sie bereit sind, dafür etwas zu riskieren.

Lesben und Schwule müssen sich daran gewöhnen, dass sie in Sachen Gleichstellung weder auf die Medien, noch auf Politik und Justiz rechnen können. Sie müssen aufhören, Bittsteller zu sein, verstehen, dass sie keine Sonderrechte wollen, sondern einfach nur ihre Rechte. Ihre Verbündeten sind nicht die Parteien in diesem Land, sondern die Menschen.

Die Menschen in den meisten anderen großen westlichen Ländern haben verstanden, dass die „Ehe für Alle“ kein Geschenk an Lesben und Schwule ist. Sondern  ein Geschenk der Gesamtgesellschaft an sich selbst. Ein Geschenk, für das es sich zu engagieren lohnt.

Ich glaube, dass die Deutschen das auch verstehen würden. Wenn es endlich Thema wäre. ♦

Im letzten Jahr hat sich eine breitaufgestellte partei- und verbandsunabhängige „Initiative Ehe für Alle“ gegründet, die sich demnächst der Öffentlichkeit mit einer großen Informations- und Aktionskampagne vorstellen wird.  Die Initiative sucht unter ehefueralle.de freiwillige Helfer, Privatpersonen, Organisationen und Unternehmen als Unterstützer.

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5 Gedanken zu „Die „Ehe für Alle“ wäre ein Geschenk der Gesamtgesellschaft an sich selbst

  1. Die letzte Gelegenheit zur Eheöffnung und überhaupt zur vollen rechtlichen Gleichstellung waren die Koalitionsverhandlungen nach der vorigen Bundestagswahl. Wenn die SPD gewollt hätte, hätte sie das durchgesetzt. Idiotische Projekte wie Herdprämie und Ausländermaut hat sie ja auch mitgetragen. Sie wollte aber nicht. Wir wissen es alle. Diese Gelegenheit wird nie wiederkommen. Nach der nächsten Bundestagswahl wird die SPD deutlich geschwächt sein und gar keine Bedingungen mehr stellen können, um von der Union noch an der Regierung beteiligt zu werden (wenn es denn für schwarz-rot überhaupt noch reicht). Nach der übernächsten Bundestagswahl wird es eine Koaltion aus Union und AfD geben, wobei noch offen ist, wer der stärkere Partner sein wird. Dann wird die Frage nicht mehr sein, ob und was noch verbessert wird, sondern wir werden erleben, dass das Rad zurückgedreht wird. Union und AfD werden dann nämlich eine Mehrheit haben, ihre gemeinsame katholische Familienpolitik durchzusetzen, unter anderem mit der Abschaffung der Lebenspartnerschaft. Polen, Litauen, Rumänien und Bulgarien haben so was ja auch nicht. Was die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes darüber denken werden, ist egal. Das interessiert Union und SPD heute nicht, und Union und AfD wird es in Zukunft erst recht nicht interessieren. Übrigens ist das alles auch den meisten Schwulen egal, sogar innerhalb ihrer sog. Bürgerrechtsbewegung. Als ich vor ein paar Jahren versuchte, bei einem der heutzutage so beliebten homopolitischen Runden Tische in einem deutschen Bundesland die Forderung nach Totalrevision sämtlicher landes- und kommunalrechtlichen Gesetze, Verordnungen und Satzungen nach Verstößen gegen das Gleichbehandlungsgebot durchzudrücken, bekam ich bei der Abstimmung innerhalb der anwesenden queeren Vertreter(innen) keine Mehrheit. Es wäre denkbar einfach gewesen. Ein Gesetz mit einem einzigen Satz: „Im gesamten Landesrecht und im Recht der der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts steht die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe gleich.“ Das war bei den schwulen und lesbischen Interessenvertretern nicht mehrheitsfähig. Es erübrigt sich jeder Kommentar.

  2. „Lesben und Schwule müssen sich daran gewöhnen, dass sie in Sachen Gleichstellung weder auf die Medien, noch auf Politik und Justiz rechnen können.“

    Eine bittere, aber leider wahre Feststellung.


    Was Boris Palmer angeht: Ich hatte kurz nach seinem unsäglichen FAZ-Artikel einen kurzen, beidseitig zunehmend entnervten Email-Wechsel mit ihm. Er zitierte Fantasieargumente wie die, man könne „aus dem gesamten Tierreich ableiten“, „dass ein Kinder Vater und Mutter braucht“ und stellte dazu fest: Selbst wenn das gar nicht stichhaltig sei, sei es trotzdem nicht homophob, so zu argumentieren. Aha. Lügen, die eine sonst nicht begründbare Diskriminierung begründen sollen, sind demnach gar nicht homophob?

    Zum Thema Sexismus vertrat Palmer übrigens dieselbe verharmlosende Haltung: Wer fände, dass es „besser“ wäre, Frauen würden vier Kinder bekommen und zehn Jahre daheim für die Familie sorgen statt zu arbeiten, sei zwar „out of date“, aber noch lange kein Sexist. Was muss man wohl erst tun, um in seinen Augen einer zu sein?

    Am Ende kam er noch mit Jesus (andere Wange und so weiter) und Gandhi daher. Ausgerechnet Gandhi, dessen zentrale Strategie es war, Diskriminierungen als solche herauszustellen, statt sie zu verschleiern und zu verharmlosen!

    Zitat Palmer: „Es geht um Realpolitik. Wie erreiche ich etwas? Jemand schlagen und dann hoffen, dass er einem hilft, ist eben nicht klug.“

    Wir „schlagen“ also die Homophoben, wenn wir klarstellen, dass es Unrecht ist, unsere Rechte ohne rationale Begründung zu beschneiden. Das ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr.

    Meine Frage, ob Palmer sich trauen würde, dieselben Argumentationsmuster und Verharmlosungen bezüglich rassistischer Äußerungen zu veröffentlichen, blieb unbeantwortet.

  3. Ich denke auch, dass die Ursachen für die ausbleibende ‚Ehe für alle‘ sowohl in der allgemeinen Unwissenheit sowie der Gleichgültigkeit, als auch in glasklarem Heterosexismus seitens zahlreicher politischer Akteur_innen liegt. Gegner_innen der Eheöffnung reden ja häufig davon, dass es ‚Qualitätsunterschiede‘ gäbe und der ‚Abstand zur Hetero-Ehe‘ bewusst beibehalten werden müsse. Phrasen à la ’seperate but equal‘ dienen meines Erachtens – bislang leider durchaus erfolgreich – als Nebelkerzen. Die breite Masse klopft sich für ihre ‚Toleranz‘ selbst auf die Schultern und feiert ihre vermeintliche Weltoffenheit, während gleichzeitig die kritischen Stimmen der Betroffenen marginalisiert werden.

    Ich habe den Eindruck, denjenigen, die sich nicht nur aus politischem Kalkül von der Eheöffnung distanzieren, geht es letztlich besonders um Symbolpolitik. Indem die Hetero-Ehe bevorzugt wird, wird signalisiert, dass Heterosexualität die eigentlich vom Staat favorisierte Sexualität ist, wodurch man* glaubt, die Bürger_innen subtil in verschiedengeschlechtliche Beziehungen zwängen zu können. Die Privilegierung der Hetero-Ehe scheint mir also gewissermaßen ein Mittel zu sein, um das Beziehungsleben ihrer Staatsbürger_innen zu steuern. Zudem ist sie ein entscheidendes konstituierendes Element heterosexueller Identitätspolitik. Sollte die Ehe in Deutschland also eines Tages geöffnet werden, fürchten die Gegner_innen wohl, dass der Staat dadurch ein wichtiges Kontroll- und Steuerungsmittel hinsichtlich der Bevölkerungspolitik verliert.

    Ich denke auch, dass wir bei der ‚Ehe für alle‘ in nächster Zeit nicht mit Medien, Politik und Justiz rechnen können. Alles worauf wir uns verlassen können, sind wir selbst. Insofern hoffe ich, dass ‚Initiative Ehe für Alle‘ zumindest die Unwissenheit und Gleichgültigkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der queeren Community bekämpfen kann. Vielleicht gelingt es auf diese Weise ausreichend Druck auf die Politik ausüben zu können.

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