Wer gegen Thilo Sarrazin protestiert, muss Katherina Reiche stoppen

Über dieses Coming Out habe ich mich wirklich gefreut: Als Thilo Sarrazin letzte Woche seine Mitgliedschaft im VIP-Club deutscher Homo-Hasser bekannt gegeben hatte, war das für mich eine Befreiung.

Ich weiss nicht, wie viele Diskussionen ich in den vergangenen Jahren mit schwulen Freunden, Bekannten und Fremden führen musste, weil diese der Meinung waren, dass Sarrazin im Grunde Recht hat. Weil sie mir erzählen wollten, dass der ehemalige SPD-Politker kein Hetzer, sondern doch ein seriöser Analytiker sei.

Ich weiss nicht, ob es nur mir so geht, aber ich habe schon den Eindruck, dass der Sympathiewert Sarrazins bei Schwulen besonders hoch war.  Ob höher als bei den Heteros, mag nicht einschätzen, trotzdem hat mich die Zustimmungsrate unter Schwulen alleine schon deswegen verwundert, da er den Applaus in genau den Milieus gesucht und gefunden hatte, die nicht nur gegen Ausländer mobil machen, sondern auch gegen Lesben und Schwule.

 Natürlich gibt es hierzu Ursachen. Dass Minderheiten gegen Minderheiten treten ist nicht neu und auch die Diskussion in der Szene über die alarmierend grosse Homosexuellenfeindlichkeit in bestimmten Migrantengruppen ist ja nicht aus der Luft gegriffen.  Trotzdem fand ich es immer erstaunlich, in welchem Maße Schwule bereit waren, sich auf die simplen Erklärungsmuster des ehemaligen Berliner Finanzsenators einzulassen. Bitte nicht falsch verstehen: zur „Normalisierung“ gehört auch, dass sich Schwule nicht mehr als die Heteros dafür rechtfertigen müssen, dass sie den gleichen Mist denken, sagen und wählen wie sie. Aber ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, dass die eigene Erfahrung als Teil einer von einem Großteil der Gesellschaft abgelehnten Minderheit zur Besonnenheit beitragen möge, wenn anderen Gruppen der Wind ins Gesicht bläst. 

Sarrazins Bekenntnis zur Homo-Neurose ist deshalb eine Warnung vor einfachen Wahrheiten und vor falscher Sicherheit: Jemand wird nicht deshalb zum Verbündeten, nur weil er die bedroht, von denen man sich selbst bedroht fühlt.

Doch während Sarrazins Come Back dazu diente, Klarheit über seinen Charakter und den seiner Thesen zu befördern, nutzen andere die Gelegenheit zum Versuch einer sehr gewagten Verklärung:

Mehrere CDU-Politiker verbanden den gerechtfertigten Protest gegen den Bestseller-Autor zu einer Verdummungs-Initiative zur Homo-Politik der eigenen Partei.  Ein Vorstoss, den man selbst unter den mildernden  Umständen in einem Wahlkampf als besonders dreist bezeichnen muss.

Das Handelsblatt schreibt:

Der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn, Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Befürworter der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, reagierte mit scharfer Kritik in seinem Twitter-Profil, wie sein Büro auf Anfrage von Handelsblatt Online mitteilte. „Sarrazin dreht wieder ab. Diesmal geht’s gegen Schwule“, schreibt Spahn und fügt an SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Parteichef Sigmar Gabriel hinzu: „Sagt mal was dazu! Der war immerhin Finanzsenator.“

und zitierte den CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann, der die SPD-Spitze zum „Eingreifen gegen Thilo Sarrazin“ aufgefordert habe:

 „Auch die verbale Diskriminierung Homosexueller ist völlig inakzeptabel“, betonte der stellvertretende außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagfraktion und fügte hinzu. „Ich erwarte insoweit ein klares Wort der SPD Führung.“

Schon nach seinen ausländerfeindlichen Äusserungen hatte die SPD so gut wie alle Register gezogen, mit denen sie sich von Sarrazin distanzieren konnte. Die einzige Verbundenheit mit ihrem Ex-Politiker besteht darin, dass sie sich nicht zu einem Parteiausschluss durchringen konnte.

Womit wir bei der CDU wären. Was Spahn und Wellmann wissen: Die Sarrazin Äusserungen sind harmlos gegenüber denen prominenter Unionspolitiker. Während Sarrazin „lediglich“ betont, dass eine homosexuelle Partnerschaft nicht mit einer Ehe vergleichbar seien, verbindet etwa die CDU-Politikerin Katherina Reiche solche Standpunkte mit der alarmistischen Diffamierung Homosexueller als Gefahr für die Zukunft des Landes. (Hier zur Erinnerung noch einmal die Reiche-Geschichte)

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum die Brisanz der Sarrazin-Statements sehr viel geringer sind, als die von Reiche:

Thilo Sarrazin ist seit Jahren kein SPD-Politiker mehr und wird auch wohl keiner mehr werden.

Katherina Reiche ist nicht nur aktive CDU Politikerin. Sie ist sehr, sehr viel mehr: Reiche als Staatssekretärin Mitglied der amtierenden Bundesregierung. Während es in der SPD-Spitze kein Vertun um die Distanz gegenüber dem ehemaligen Landespolitiker gibt, hat sich kein einziges CDU-Regierungsmitglied  von den hetzerischen Thesen der eigenen amtierenden Bundespolitikerin distanziert. Der Grund hierfür ist klar: Merkel liess sie gewähren. Merkel lässt sie gewähren und vertraut offensichtlich darauf, dass im Zweifel die Eitelkeit der Schwulen stärker ist als ihr Stolz ( siehe: „Lieber Udo Walz, lieber Wolfgang Joop, gefallen Sie sich im Käfig voller Narren?“)

Spahn ist kein Regierungsmitglied und er kann sich als einer der wenigen CDU-Politiker zugute halten, Reiche offen kritisiert zu haben. Schade deshalb, dass er im Wahlkampf seine Glaubwürdigkeit riskiert, indem er so tut, als hätte der politische Gegner in Sachen Homo-Politik ein „klares Wort“ nötig und nicht die eigene Partei.

Wer gegen Thilo Sarrazin protestiert, muss Katherina Reiche stoppen. Nicht Sarrazin, sondern Reiche hat eine größere Aufmerksamkeit im Wahlkampf verdient. Auch wenn man es nicht glauben mag: Sie steht kurz vor der Wiederwahl. Aber noch ist es nicht zu spät.

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Siehe auch: CDU und CSU erklären Homophobie zu ihrem Markenkern: Warum die Union in diesem Jahr für Lesben und Schwule tabu sein sollte

3 Gedanken zu „Wer gegen Thilo Sarrazin protestiert, muss Katherina Reiche stoppen

  1. Kleine anmerkung am Rande: Sarrazin und auch Buschkowsky – beide große lautstarke Hetzer gegen „Kopftuchmädchen“ und „Gemüsehändler“ – sind noch immer Mitglied der so genannten „SPD“.

  2. An alle Leute aus dem Wahlkreis Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II: Nicht CDU wählen! Sonst wählt ihr Katharina Reiche wieder.

  3. Pingback: Wahlaufruf: An alle, denen Lesben und Schwule nicht egal sind »

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