Der Matussek-Pirinçci-Effekt: Wer Homo-Hasser füttert, dem fallen sie als Flüchtlingshetzer auf den Kopf

Nach der Terror-Nacht von Paris hatte Jan Böhmermann auf seiner Facebook-Seite 100 „Fragen und keine Antworten“ zu den Ursachen, Hintergründen und Begleiterscheinungen der Attacken gepostet.  Über 100.000 mal ist dieser Post bereits geteilt worden. Die erste Frage lautete „Warum?“, die zweite „Warum hat das niemand verhindert? Etwas später, Frage 17 dann:

„Ist nach gestern endlich legal, Matthias Matussek ein dummes Arschloch zu nennen?“

Matthias Matussek, ehemaliger SPIEGEL-Kulturchef,  ist vor wenigen Stunden als Autor bei der WELT rausgeschmissen worden. Anlass des Krachs mit seinem Chefredakteur (und für die Aufnahme in Böhmermannsche Fragenliste)  war sein eigenes Facebook-Posting am Tag nach den Anschlägen:

„Ich schätze mal, der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen..“

An das Ende des Beitrags hatte er ein neckisches Smiley gesetzt. Der WELT-Chefredakteur hatte seinen Autor daraufhin auf Twitter  als „durchgeknallt“ bezeichnet. Jetzt, zwei Tage später, folgt nach einem Eklat auf einer Redaktionskonferenz die Bestätigung für das, was branchenintern seit dem Tweet des WELT-Chefs als sicher galt: Die einstige Edelfeder Matussek läuft nun selbst bei Springer unter Schmutzfink. Er hat verschissen. Und wie!

Ein einziger Skandalsatz als Auslöser. Ein atemberaubend kurzer, und auch deshalb so spektakulärer Sturzflug from Hero to Zero. Und das alles auf öffentlicher Bühne vor den betörendnen Kulissen des Flüchtlingsdramas. Eine beispiellose Geschichte. Wenn, ja wenn nicht genau das vor genau drei Wochen schon einmal passiert wäre. Ja, genau. Die Sache mit Pirinçci.

Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich die Scheiße gleicht, unter der sich Matthias Matussek und Akif Pirinçci begraben haben. Noch erstaunlicher ist es aber, dass es so weit kommen konnte. Im Sinne von: Dass sie so weit kommen konnten. Dass sie bis zur größtmöglichen medialen Ächtung zwar als „pointierte“, aber im Medienmainstream akzeptable Debattierer durchgegangen sind.

Es ist nämlich nicht so, dass sie sich in den letzten Wochen besonders radikalisiert hätten. Nein,  „Piritussek“ betreiben beide seit ca. zwei Jahren eine radikale Minderheitenhetze. Nur, dass diese sich bisher nicht hauptsächlich gegen Flüchtlinge gerichtet hatte. Sondern großteils gegen Schwule.

Für seine Menschenverachtung wurde Pirinçcis besonders in Springers „BILD am Sonntag“ zum mutigen Vorkämpfer gegen die Political Correctness gefeiert. BamS-Chefredakteurin Marion Horn zeigte sich stolz auf die unsägliche Verharmlosung der Hass-Tiraden des Katzenbuchautors durch ihre Autorin Anja Hardenberg und gratulierte ihr auf Twitter mit „Kompliment“.

Matussek hat Homosexualität als einen „Fehler der Natur“ bezeichnet. Das war im Febuar 2014. Im November des gleichen Jahres sendete die ARD ihre „Themenwoche Toleranz“. Matussek war Gast einer der Auftaktsendungen. Die Rolle, die die Fernsehmacher für ihn vorgesehen hatten, war jedoch nicht die desjenigen, der sich für seine intoleranten Auswürfe zu rechtfertigen hat. Im Gegenteil. Matussek wurde selbst zum  Opfer von Intoleranz gekürt. „Herr Matussek (…) ist ein pointiert argumentierender, aber kein unreflektiert hetzender Zeitgenosse“ beschied der Redaktionsleiter des für die Sendung verantwortlichen Hessischen Rundfunks: „Wir sollten doch so fair und tolerant miteinander umgehen, dass auch ein Matussek bei uns vorkommen kann.“

Die ARD hat Matussek damit genau die Positionierung zugeschrieben, die dieser selbst für sich ausgedacht hatte: Jemand der gegen Menschen hetzen darf, weil die, gegen die er hetzt durch ihre heftige Gegenwehr  ja beweisen, dass sie die eigentliche Gefahr sind, gegen die man sich ja wehren muss. Dass er mit dieser durchgeknallten Logik zum Mit-Auslöser einer neuen Homophobie-Welle werden konnte, hat die WELT zu verantworten, also das Medium, dass  ihn heute aufgrund erwiesener Durchgeknalltheit als Irren aus der öffentlichen Debatte rausgezogen hat. (Hier der Matussek-WELT-Artikel „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“. Und hier die damalige Erwiderung in diesem Blog: ‚Homophobie für alle!‘ – Ein Volksbildungskurs mit Matthias Matussek“)

Zwar gab es damals in der WELT eine bemerkenswerte Anzahl von veröffentlichten Gegenmeinungen, die seinen Auswürfen klug und heftig widersprachen. Doch Matussek hatte sein Ziel erreicht: Er wollte keine Debatte gewinnen, sondern etwas, über das man eigentlich nicht wirklich auf Feuilleton-Niveau diskutieren kann, dort als streitbares Debattenthema etablieren. Matussek verfestigte den Sound, ohne den es Pegida, „besorgte Eltern“ und AfD nie soweit geschafft hätten: Den Sound des „Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen“. Und Matussek als intellektueller Promi war mit der erste in einer Reihe von meinungsführenden offiziell Nicht-Rechten, die es rechten Nicht-Intellektuellen erlaubten, rechtes Gedankengut propagieren, ohne sich dabei als rechts bezeichnen lassen zu müssen.

Matussek, den ich damals in diesem Blog als den Vertreter einer neuen Welle, einer „Neuen Homophobie“ bezeichnet habe,  hat im Windschatten der „seriösen“ WELT die Argumentationsmuster der Homo-Hasser neu definiert. Seit Matussek hat auch der übelste Homophobiker nichts gegen Schwule. Punkt. Aber.

Seit Matusseks „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“ ist es ungemütlicher geworden für viele Lesben und Schwule in Deutschland, vor allem für viele junge Lesben und Schwule, deren Lehrer und Eltern. Seitdem es Matussek & Co. geschafft haben, die Aufklärung zur sexuellen Vielfalt zu skandalisieren, gibt es an deutsche Schulen eine Verunsicherung, die man sich noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnte.

Das Schlimme an Matussek und Pirinçci ist, dass sie sich den  gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu sensiblen Minderheitsthemen, die sie massiv mitbefeuert haben, selbst nie wirklich gestellt haben. Provokation als Wert an sich. Dauerironie als Schalter, der es ermöglicht, jederzeit die Diskussionsebene zu wechseln. Persönlich werden. Beleidigen, ohne es so gemeint zu haben. Irgendwas behaupten. Das Prinzip Troll. Das Prinzip Arschloch.

Meine Antwort auf Böhmermanns Frage Nr. 17: Scheissegal! ♦

Weitere Beiträge in diesem Blog zum Thema:

Das Lexikon der Homophobie (IV): „Denkverbote“ (Matussek)

Broder/Anda/Matussek: Wenn alte Männer „Müssen“ müssen

„Homophobie für alle!“ – Ein Volksbildungskurs mit Matthias Matussek

Statt „Wetten Dass..?“: BamS macht Frauen- und Homohasser Pirinçci zum Genie

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Weiterfühende Links zum Thema:

BILDblog: Als mit Akif Pirinçci noch gut Currywurst essen war

Stefan Niggemeier: Ignoring Matussek

Schall und Scharia:Medien, denen Akif Pirinçci nicht menschenverachtend genug war

taz.blogs: Schwule Kopfläuse, Matussek & Bushido

queer.de: Homo-Hass auf der Frankfurter Buchmesse (Pirinçci)

3 Gedanken zu „Der Matussek-Pirinçci-Effekt: Wer Homo-Hasser füttert, dem fallen sie als Flüchtlingshetzer auf den Kopf

  1. ja, aber auf Ihre Unlogik hätten Sie selbst kommen müssen:
    Matussek hat seinen „Homo“-Artikel bei WELT veröffentlicht.
    Was sagt uns das? Das WELT, der CvD usw. ihn explizit gebilligt und gewollt haben.
    Comprende? Verstehen Sie, worauf dieser einfache gedankengang hinausläuft? Alles klar!

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