Berlin-Wahl 2016 – Die SPD braucht einen Gong!

Die SPD in Berlin braucht einen Gong. Sie hat ihr Versprechen an die Community gebrochen, und sie würde es wieder tun. Und im Wahlkampf zeigt sie, dass sie uns für etwas blöd hält. Ja, wir müssen am Sonntag ein Zeichen gegen Rechts setzen. Doch die SPD brauchen wir dafür nicht.

Es gibt alle möglichen Gründe, eine Partei zu wählen. Und natürlich sprechen viele (auch viele gute) auch für die SPD. Sogar wenn es um die anstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus geht. Doch hier im Blog geht es um die spezifischen Interessen von LGBTI.

Und aus dieser Sicht möchte ich dafür plädieren, am Sonntag (zumindest) mit der Zweitstimme nicht SPD zu wählen.

Damit jetzt schon nicht gleich bei einigen die Lampen angehen: Nein, das ist jetzt keine Meinungsdiktatur, nein, ich maße mir auch nicht an, für alle LGTBI zu sprechen. Und nein, ich stärke damit nicht die AfD. Das notwendige Abgrenzen gegen Rechts darf nicht dazu führen, dass alles andere unwichtig erscheint, dass wir nicht so genau hinschauen, wer uns da regieren will. Und nein, ich will nicht die überzeugende Arbeit vieler LGBTI-Menschen in der Berliner SPD diskreditieren (und denen unter ihnen, die Kandidatinnen oder Kandidaten sind, wünsche ich auch, dass sie ihr eigenes Mandat gewinnen können.) Ich habe auch nichts dagegen, wenn die SPD (im Gegensatz zur CDU, da sind wir uns hoffentlich einig, falls nicht, bitte, bitte hier lesen) im nächsten Senat vertreten ist.

Ich möchte aber, dass die SPD in einem Links- oder Mitte-Links-Bündnis (also alles, was zwischen Grünen, Linken, SPD, FDP und möglichwerweise ja doch auch Piraten ausbaldovert wird) nicht zur vorherrschenden Macht wird. Und ich möchte nicht, dass sie genügend Stimmen erhält, um mit der CDU wieder eine große Koalition bilden zu können. Und wenn es – was ich nicht hoffe – zu Schwarz-Rot-Grün kommt, dann möchte ich zumindest, dass ihr Abstand zu den Grünen möglichst klein ist.

Also: Keine Zweitstimme für die SPD!

Hierfür gibt es drei Gründe:

Erstens: Die SPD ist hinter Linken, Grünen und Piraten aus LGBTI-Sicht allenfalls dritte Wahl. Die vom LSVD angefragten „Wahlprüfsteine“ (die wichtigsten Parteien wurden nach ihren Standpunkten von Ehe für Alle bis zu Themen wie Krisenwohnungen für Geflüchtete und der Ausbau der Initiative Sexuelle Vielfalt abgefragt), werden nur von den Linken in allen Punkten erfüllt. Und wer den Auftritt der queeren Parteivertreter*innen bei der „Rosa Elefantenrunde“ des „Männer“-Magazins im BKA-Theater gesehen hat, der konnte sich davon überzeugen, dass die SPD unter den progressiveren Parteien (also SPD, Linke, Grüne und Piraten) diejenige war, die am wenigsten engangiert und konkret war und am meisten davon überzeugt wirkte, dass doch alles in allem prima ist.

Zweitens: Eigentlich ist es doch ganz einfach, aber vielleicht muss man an dieser Stelle nocheinmal daran erinnern. Sowohl im Bund als auch in Berlin hat uns die SPD nach den letzten Wahlen einfach fallen lassen. Warum sollte sie es diesmal anders tun? In beiden letzten Wahlkämpfen hatte sie glaubwürdig und mit großem Pathos versprochen, dass es Koalitionen ohne entsprechende Vereinbarungen zur Ehe für Alle nicht geben wird. In Berlin hatte sie sogar die Möglichkeit, mit Rot-Grün ein entsprechendes Zeichen zu setzten. Und in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU waren ihr entweder andere Dinge wichtiger, oder sie war (wie auch im Bund) eigentlich ganz froh, das Scheitern dem konservativen Koalitionspartner zuschieben zu können. Wie auch immer: Die SPD wollte es nicht – oder sie war nicht in der Lage – ihr Versprechen einzuhalten. Und das, obwohl sie im Gegensatz zur CDU mit den Grünen einen alternativen Koalitionspartner hatte, also wirklich hätte Druck aufbauen können.

Und genau darum geht es: Druck. Wenn wir keinen Druck auf die Parteien aufbauen, denen wir unsere Interessen anvertrauen, dann werden diese sich auch nicht für diese einsetzen, wenn es hart auf hart kommt. Also bei der Wahl des Koalitionspartners und in den Koalitionsverhandlungen. Und, ja, es ist ganz einfach: Diesen Druck aufzubauen, genau das ist jetzt unsere Aufgabe.

Für Berlin und mit Berlin auch für die Wahlen zum Bundestag 2017:

Die SPD braucht endlich einen Gong!

Die SPD in Bund und Land wiegt sich – und das zu Recht! – zur Zeit noch in ziemlicher Sicherheit, dass man es mit den Homos ja machen kann (bitte noch mal kurz daran erinnern, wie das 2013 war!). Und wenn wir als Berliner zum dritten Mal in fünf Jahren mehrheitlich eine Partei wählen, die entweder darauf setzt, dass wir das alles einfach so vergessen haben (oder, dass es uns vielleicht sogar relativ egal ist!)  ja, dann sind wir wirklich selber Schuld.

Es ist eben noch nicht ausgemacht, ob die SPD im Bundesrat und im nächsten Bundestag wirklich für die Ehe für Alle stimmen wird. Wir wissen heute nicht, wie die CDU das Thema in einer neuen großen (vielleicht mit der FDP angereicherten) Koalition im Bund behandeln wird. Vielleicht geht es dann gar nicht mehr darum, Merkel zu überzeugen, sondern einen Nachfolger, der alles dafür tun wird, keinen weiteren Boden an die AfD abzugeben. Vielleicht wird ja Merkel auch selbst – wie schon so oft – auch das nächste Mal Homophobie als letztes Mittel dafür nutzen, mit dem sich der „konservative Markenkern“ der Union verteidigen lässt. Gerade auch, weil das in der Flüchtlingsfrage so schwierig ist.

Das sind alles Spekulationen. Wir können es  nicht wissen. Was wir aber wissen: Die SPD wird nur dann im entscheidenen Moment auf unserer Seite sein, wenn sie weiß, dass sie wir sie sonst dafür abstrafen werden.

Doch weil die SPD nicht glaubt, dass wir das auch wirklich tun, muss genau das eben jetzt geschehen. Wann denn sonst?

Wie selbstverständlich die Berliner SPD mit dem Vergessen der Berliner LGTBI spielt, und wie sehr sie offensichtlich darauf setzt, diese mit möglichst wenig politischer Substanz ködern zu können, zeigt ihr Kampagne mit Nina Queer. Nein ich will jetzt nicht darüber nachdenken, welche der vielen engagierten Berliner Drags wirklich das Zeug zu einer echten „Toleranz-Botschafterin“ gehabt hätten. Und nicht nur das Zeug eines Maskottchens. Weniger Diskurstiefe ist jedenfalls kaum vorstellbar. (Die ganze Geschichte hier.) Nina Queer (die auf ihrer Facebook-Seite die Rassismus-Kritik an ihr durch die CDU doch tatsächlich mit dem Verweis auf deren Verhalten in der, Achtung!: Bankenkrise kontert) ist der Versuch der SPD, einer wirklichen Auseinandersetzung um die Themen Toleranz, Akzeptanz und Gleichstellung aus dem Weg zu gehen. Nina dürfen wir die Aufmerksamkeit gönnen.

Wir sollten jedoch verhindern, dass dieses SPD-Kalkül aufgeht. Aus eigenem Kalkül und aus politischer Selbstachtung.

Und damit kommen wir zu Drittens: Es ist normal, dass eine lange regierende Partei ungesunde Strukturen entstehen lässt. Doch nirgendwo wie bei LGBTI wird so sehr sichtbar, wie sehr ein wohl einmal aus guten Gründen begonnendes Engagement für Queer-Menschen in dieser Stadt sich mittlerweile gegen diese richtet und nur noch den Machterhalt der eigenen Partei dient.

Es geht darum, dass der SPD-geführte Senat den Landesverband des LSVD fast schon als eine Art Außenstelle für LGBTI-Politik unterhält, ihn so von sich abhängig und fügig gemacht hat.

Dies hat zur Folge, dass es in Berlin immer wieder undurchsichtige (und in der Qualität unterirdische) queere Kampagnen gibt, bei denen der Senat auf den LSVD verweist, und dieser sich Transparenz verbittet.

Es hat zur Folge, dass sich der LSVD aufgrund seiner staatlich garantierten Vormachtstellung immer wieder als Sprecher und Koordinator der Bewegung  gegenüber Politik und Medien generieren kann. Er erschwert damit die Entfaltung und die Wahrnehmung unterschiedlicher Aktivitäten und Schwerpunkte innerhalb der Szene und schwächt sie dadurch immer wieder. Als zwei von vielen Beispielen sei hier nur kurz das destruktive Verhalten bei Gründung von Enough is Enough und beim Engagement von Margot Schlönzke und Ryan Stecken um die Regenbogenfarben-Beleuchtung des Brandenburger Tores (siehe hier) nach Orlando genannt.

Ich wünsche mir eine starke Rolle des LSVD in der Stadt. Und naürlich weiß ich, dass auch dort ganz viel gute Arbeit von vielen guten Leuten gemacht wird. Und gerade deswegen sollte es nicht nur im Interesse der Berliner Community, sondern auch im Interesse des Verbandes sein, wenn es durch eine neue Senatspolitik gelingt, ihn wieder zu einer unabhängigen und schlagkräftigen Kraft werden zu lassen. Doch dazu dürfen wir es der Berliner SPD nicht länger erlauben, Teile der Szene zu korrumpieren, um notwendigen Druck aushebeln zu können.

Wie notwendig das ist, zeigen die Geschehnisse um die Abstimmung im Bundesrat im Juni 2015, bei der der Berliner Senat die Zustimmung für die Ehe für Alle (siehe oben: weil sie sich gegenüber dem Koalitionspartner nicht durchsetzen konnte, und / oder in letzter Konsequenz wollte) durch Enthaltung veweigerte. Die zuständige Sozialsenatorin Dilek Kolat wurde an diesem Tag nicht nur endgültig zur Skandalsenatorin, sondern sie nahm der größten Berliner LGBTI-Organisation auch noch den letzten verbliebenen Rest ihrer Würde.

Der LSVD hatte sich nämlich vor dem Bundesrat versammelt, um gegen die Politiker*innen zu demonstrieren, die die Gleichstellung blockieren. Doch als Frau Kolat das Gebäude betrat, wurde sie nicht etwa mit Buh-Rufen empfangen, sondern mit demonstrativen Umarmungsküsschen des LSVD-Geschäftsführers und fühlte sich auch gleich eingeladen, sich der Protestgruppe anzuschließen, die jetzt doch eigentlich gegen sie protestieren müsste.

Noch schlimmer als die Tatsache, wie sehr die SPD den LSVD als Jubelpersertruppe mißbraucht (und wie sich dieser mißbrauchen lässt) ist nur, wie selbstverständlich das mittlerweile beide Seiten empfinden, keine verschiedenen Seiten mehr zu sein.

Was die SPD da ganz selbstverständlich einfordert, und was der LSVD da gewährt, ist das genaue Gegenteil von Druck. Wer kann es der SPD da verdenken, im Zweifel gegen unsere Interessen zu stimmen, weil sie ja weiß, wie gut sie damit durchkommen wird?

Wollen, können wir solche Zustände einfach hinnehmen?

Und wenn die SPD doch wieder so weiter machen könnte, was bedeutet das in Hinblick auf den nächsten Bundestagswahlkampf?

Stillstand bedeutet Rückschritt, besonders in Zeiten eines neuen Rechtsrucks. Was wir jetzt  brauchen, ist eine progressive Regierung in Berlin, die zeigen kann, dass das Miteinander in der Gesellschaft ohne das Ausspielen von Minderheiten gelingen kann.

Was für jede Minderheit gilt, sollte auch für uns gelten: Klug wählen, heißt Druck aufbauen für unsere Interessen. Und die es spüren lassen, die ihre Versprechen brechen.

Sorry, SPD!

Nachtrag: 17.09. 00.43 Uhr:

Ursprünglich begann der Blogbeitrag mit „Die SPD in Berlin braucht einen Gong. Sie hat uns verraten und würde es wieder tun. Und im Wahlkampf verkauft sie uns für blöd.“ Verraten, verkauft uns zu blöd: Das nehme ich gerne zurück. Bin hat auch: ein enttäuschter SPD-Wähler

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Ein Gedanke zu „Berlin-Wahl 2016 – Die SPD braucht einen Gong!

  1. Dem ist nichts hinzuzufügen. Aber ein Schmankerl am Rande: Ich habe gerade mal den Wahl-O-Maten befragt (jaja, das ist mit großem Vorbehalt zu genießen, trotzdem…). Ergebnis: Die größte Übereinstimmung zeigt sich mit der SPD – nur muss man bedenken, dass das Programm nicht mit der tatsächlichen Politik dieser Partei gefüttert wurde, sondern mit den üblichen Lügen vor der Wahl. Und die gleichen bedenklich dem Programm der AfD, denn der Wahl-O-Mat findet zwischen SPD und AfD die größten Gemeinsamkeiten. Ich bin gespannt auf das Wahlergebnis.

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