„Klar ausgesprochen“: Alexander Gauland lobt Wolfgang Thierse

Wer gerade nach „Wolfgang Thierse“ auf Facebook sucht, landet nicht bei der SPD, sondern bei der AfD. Über 3000 mal wurde bisher ein Beitrag von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland geteilt, in dem dieser die Integrationspolitik der Bundesregierung scharf angreift und sich dabei auf die Aussagen des ehemaligen Bundestagspräsidenten stützt. Wahrscheinlich wird man in der SPD nun entrüstet behaupten, Gauland habe Thierses Ausführungen missbraucht.

Doch das stimmt nicht.

Zwar benutzt der AfD-Politiker in seiner Migranten-Hetze krassere Worte als Thierse. Seine Argumentation von der angeblichen Identitätspolitik, die angeblich die Gesellschaft spaltet, ist aber im Prinzip identisch:

„Bundeskanzlerin Angela Merkel bedient mit ihrer Nebelwerfersprache radikallinke ideologische Positionen, die unsere Gesellschaft spalten. Sie macht sich zum Sprachrohr und Wasserträger von Migranten-Lobbyisten und bedient deren Partikularinteressen, statt Zuwanderungspolitik zuerst an den Interessen des eigenen Landes und seiner Bürger auszurichten.

Und dann:

Daß linke Identitätspolitik, die sich einseitig an Minderheiteninteressen orientiert, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört, hat zuletzt auch der frühere SPD-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse klar ausgesprochen.

Doch Wolfgang Thierse hat es durch sein Trommelfeuer aus Minderheiten-kritischen Aussagen nicht nur zum Top-Stichwortgeber der AfD, sondern auch zum Liebling der rechten Seite „Junge Freiheit“ geschafft. Schon zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Tagen ist er mit seinem „Identitätspolitik“-Furor Aufmacher der Site.

Die aktuelle Überschrift lautet:

Genderwahn und Rassismus-Hysterie:

Thierse sieht sich als „Symbol für viele normale Menschen“

Auch das ist nicht sinnentstellt, er hat das tatsächlich so gesagt.

Und zwar im aktuellen Zeitmagazin:

„Ich bin mittlerweile zum Symbol geworden für viele normale Menschen, die ihre Lebensrealität nicht mehr gespiegelt sehen in der SPD, die unsicher sind, was sie noch sagen dürfen und wie sie es sagen dürfen.“

Noch keine prominente SPD-Vertreter*in hat Thierses implizierte Aufteilung von normalen und nicht-normalen Menschen widersprochen. Genauso, wie es bisher niemand in der Parteispitze öffentlicht geschafft hat, zumindest Thierses Verteidigung des als rassistisch eingestuften Blackfacings explizit zurückzuweisen. Stattdessen erlebt der ehemalige Bundestagspräsident trotz und wegen seiner Aussagen innerhalb seiner Partei eine riesige Welle der Solidarität.

Die SPD hat vor wenigen Tagen ihr Wahlprogramm vorgestellt. Dort heißt es unter anderem_

Grundvoraussetzung für ein gemeinsames Leben in einer Gesellschaft des Respekts ist die
Gewissheit, dass man dazugehört.

Das stimmt wohl. Aber was ist die SPD bereit, dafür zu tun?

Im Wahlprogramm heißt es weiter:

Unser Ziel ist, dafür zu sorgen, dass diese Selbstverständlichkeit und das
Zusammengehörigkeitsgefühl in allen Bereichen der Gesellschaft sichtbar und spürbar werden.
Es geht darum, allen Bürger*innen zu garantieren, dass sie dieselben Chancen und
Möglichkeiten haben – frei von Diskriminierung.
Dafür werden wir die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken und das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz modernisieren. Gleichzeitig werden wir nachdrücklich
gegen Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus und
Islamfeindlichkeit vorgehen.

„Nachdrücklich gegen Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus und
Islamfeindlichkeit“ vorgehen: Warum sollte man einer Partei auch nur ein Wort davon glauben, wenn sie das nicht einmal in der eigenen Partei schaffen?

Ich korrigiere mich: Nicht einmal versuchen.

Hier Weiterlesen: Was an den Aussagen von Wolfgang Thierse und Gesine Schwan zur „Identitätspolitik“so problematisch ist. 

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Hintergrund:

Queer.de-Chef zur anti-queeren Eskalation in der SPD: „Es geht ums Eingemachte“

Meine Gegenrede zum queerfeindlichen FAZ-Artikel von Sandra Kegel zu „Act Out“

SPD-Talk zu Act Out: Lügt Sandra Kegel? ZDF widerspricht FAZ-Frau

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