SPD-Talk zu Act Out: Lügt Sandra Kegel? ZDF widerspricht FAZ-Frau

Die Vertreter*innen von SPD-Kulturforum und der von Gesine Schwan geleiteten Grundwertekommission haben sich letzte Woche unter Leitung von Schwan zusammen mit der FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel in einen homophoben und queerfeindlichen Online-Talk hineingesteigert. Als ich in diese Veranstaltung für wenige Minuten zugeschaltet wurde, habe ich die SPD-Repräsentant*innen auch dafür kritisiert, dass sie Frau Kegel selbst bei deren Aussagen mit neurechtem Sprech nicht zurückgewiesen haben. Mir wurde anschließend oft vorgeworfen, dass dieser Teil meiner Gegenrede übertrieben gewesen sei.

Ich sehe das nicht so. Rechtspopulismus ist nicht nur Rechtspopulismus, wenn ganz groß AfD drauf steht. Ich werfe Frau Kegel ja nicht vor, sich mit rechtspopulistischen Parteien gemein zu machen. Ich finde aber, dass man ihr vorwerfen muss, dass sie an manchen Stellen deren Denk- und Erklärmuster teilt.

Aber verharmlost das nicht die AfD? Gegenfrage: Darf man nur diejenigen kritisieren, die so schlimm argumentieren wie Bernd Höcke? Müsste man beim „Kampf gegen Rechts“ nicht gerade dort warnen, wo Menschen, die man im Großen und Ganzen dem demokratisch-liberalen Spektrum zurechnet, dabei sind, gefährlich abzudriften? An dieser Stelle heißt es dann immer – übrigens auch in diesem unsäglichen SPD-Talk – man solle sich lieber auf den „gemeinsamen Gegner“ konzentrieren, statt diejenigen zu bekämpfen, die auf der „gleichen Seite“ stehen. Das hört sich logisch an, ist aber eine Formel, die sich immer mehr gegen queere Menschen richtet: Denn was ist, wenn der „Gegner“ selbst unter uns ist, wenn Homophobie und Queerfeindlichkeit auch im Kulturumfeld und in demokratischen Parteien deutlich werden? Wenn etwa, wie Frau Kegel, die Emanzipationsbemühungen von LGBTI zur „Ideologie“ erklärt werden und behauptet wird, dass diese nur „Kalkül“ seien, um sich aus einer privilegierten Situation noch weiter zu privilegieren?

Der LSVD schreibt in einer Pressemitteilung über Kegels Aussagen:

Zu der Verunglimpfung und dem Betrugsvorwurf gesellte sich nun also noch die Diffamierung der Bemühungen um Gleichstellung als „Ideologie“. Damit bedient sich Kegel nun tatsächlich auch rechtspopulistischen bis rechten Kampfbegriffen, die regelmäßig in AfD-Reden oder den Auseinandersetzungen in Polen verwendet werden, wenn dort vor vermeintlicher „Gender-Ideologie“ oder „LGBT-Ideologien“ gewarnt wird.

Sollen wir solchen Positionen und Ausdrucksweisen nur deshalb nicht mit deutlichen Worten widersprechen, nur weil es nicht von jemand gesagt wird, der in der AfD ist? Was ist das für eine komische Vorstellung, dass alle, die in der AfD sind, es auch so meinen, und alle, die es nicht sind, nicht? Sollen, ja müssen wir nicht die SPD auf diese Zusammenhänge hinweisen und muss das nicht sogar mit deutlichen Worten geschehen, weil ja alles im Vorfeld erfolgte Warnen und Aufklären nicht nur nichts gebracht hatte, sondern ganz offensichtlich die Bereitschaft sogar noch erhöhte, sich mit den Positionen von Frau Kegel gemein zu machen? Wie viele Stopp-Schilder in Richtung AfD soll eine SPD-„Debatte“ noch überfahren, bevor man selber laut „Stopp“ rufen muss?

Natürlich muss dabei immer deutlich gemacht werden, dass die Bedrohung unserer Freiheiten von rechten Parteien und Gruppen kommt. Aber die Rechten haben nur so viel Raum, wie die sogenannte Mitte ihnen lässt. Der „Kampf gegen Rechts“ muss also ein Kampf sein, der in der Mitte beginnt, alleine schon deswegen, damit die Mitte Mitte bleibt und sich der öffentliche Diskurs nicht immer weiter in minderheitenfeindliche Erzählungen abdriftet.

Seit einigen Jahren ist es Strategie von AfD und anderen Populisten, die mangelnde Repräsentanz queerer Menschen in vielen Bereichen der Gesellschaft zu leugnen und zu behaupten, eigentlich seien sie ja sogar überrepräsentiert. Wenn Gesine Schwan im SPD-Talk davon spricht, dass sie sich nicht dafür entschuldigen möchte, nicht lesbisch zu sein, dann ist das ein Ergebnis dieser gefährlichen Stimmungsmache gegen Queers, die insinuiert, diese den Heteros ihre „Lebensweise“ aufzwingen. Es ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr solcher „Debatten“, die queere Menschen immer wieder zu tatsächlichen Opfern im wahren Leben macht.

Die Versuche der AfD, den öffentlichen Rundfunk zu diskreditieren, werden auch damit unterfüttert, dass dieser in Sachen Diversität „Ideologie“ betreibe, u.a. in dem er queere Menschen überrepräsentiere. In einem Interview für uebermedien mit Stefan Niggemeier aus dem Jahr 2016 sagte das damals für Medien zuständige AfD-Bundesvorstandsmitglied Armin-Paul Hampel:

„Warum ist denn der Schwund vor allem beim jungen Fernsehpublikum so dramatisch? Da muss man doch langsam aufwachen und fragen, woran liegt denn das. Und das ist natürlich die Vorstellung der Achtundsechziger, diese Gesellschaft im ideologischen Sinne umzudrehen. Da haben die konservativen Verantwortlichen in den Medien völlig versagt in den letzten 30 Jahren.“

Stefan Niggemeier:

„Ich nehme an, die Darstellung von Homosexualität ist für Sie auch so ein Fall.“

Armin Hampel:

„Ja, weil hier ebenfalls ein Minderheitenprogramm bevorzugt wird. Realistisch haben wir in Deutschland ungefähr drei bis vier Prozent der erwachsenen Bevölkerung, die sich zur gleichgeschlechtlichen Liebe bekennen. Jetzt plötzlich wird das pausenlos thematisiert. Als ob es ein Muss sei, diese Menschen – die ich auch in den 70er und 80er Jahren nicht als unglücklich empfunden habe – in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen filmisch darzustellen. Es ist eine Überbewertung einer kleinen Gruppe unserer Gesellschaft.“

Die mediale Überbewertung der kleinen Gruppe LGBTI in Deutschland ist genau das Kernargument von Sandra Kegel, mit dem sie im SPD-Kulturtalk die Notwendigkeit der Initiative Act Out in Abrede stellt und diese dahinter stehenden Nöte als „Fusseleikram“ verniedlicht. Als die Schauspieler*innen dem die Realität ihrer Branche entgegensetzen und ausführen, dass queere Rollen viel zu wenig sichtbar sind, startet Kegel eine Reihe obskurer Gegenbeweise.

Zunächst verweist sie auf die Serie „Modern Familiy“, was doppelt strange ist, zum einen, weil das natürlich keine deutsche, sondern eine amerikanische Serie ist, und zum anderen, weil es eine Serie ist, die Diversity ganz bewusst zum Dauerthema hat und eben nicht dazu taugt die Selbstverständlichkeit queerer Rollen zu illustrieren. Als die Schauspieler*in Bettina Hoppe sie darauf hinweist, wie unglücklich ihr Beispiel ist, präsentiert sie ein anderes. Kegel wörtlich:

„SOKO ist eine deutsche Vorabendserie mit Polizisten, die sowas von durchgegendert sind.“

Die Frage ist, was das aussagen würde, wenn es stimmen würde. Aber zunächst würde sich natürlich die andere Frage aufdrängen: Die, ob das überhaupt stimmt.

Der Schauspieler Daniel Warland hat einen sehr unterhaltsamen und erhellenden Rückblick des SPD-Talks auf Youtube veröffentlicht und ist der SOKO-Behauptung von Sandra Kegel nachgegangen.

Sein Fazit:

Nach einer einfachen Google-Recherche findet man heraus dass es zwei lesbische Protagonist*innen gibt. Die Beziehung der einen namens „Lydia Lersch“ kommt laut IMDB in zumindest fünf Folgen vor, ein gutes Viertel der 23 Folgen, in der die Hauptfigur auftritt. Die andere lesbische Beziehung hat eine Sceentime von ganzen sieben Folgen. Sieben Folgen von 281, in denen diese Figur ermittelt. (…) Was aber auch keine große repräsentative Leistung zu sein scheint, wenn man sich die Kommentare in den queeren Fanforen ansieht. Warum recherchiert sie nicht ihre Tatsachen, bevor sie sie in einer Zeitung mit 83.000 Leser*innern veröffentlicht?

Ja, darum müsste es wirklich gehen: Ist Sandra Kegel in ihren Aussagen über die Situation queerer Menschen wirklich an Fakten interessiert, oder begründen sich diese im Wesentlichen auf Ressentiments?

Nach der wackeligen SOKO-Geschichte legt Kegel noch einmal nach:

Sie sagt, sie habe beim ZDF angerufen

„und dann bin ich an Papiere gekommen, weil ein Sender wie das ZDF ganz genau schaut, wie die Queerness, wie die Diversität ihrer Casts aufgestellt ist. Das machen sie seit ein paar Jahren und das kann man alles nachschauen, und die sind – ich würde sogar sagen – überproportional.“

An dieser Stelle habe ich mich in den Talk eingeschaltet und gesagt, dass das nicht stimmt. Ich war mir ziemlich sicher, da ich mich in diesem Blog und anderswo seit über zehn Jahren mit Diversität in den Medien beschäftige und ich daher ein solches angeblich öffentlich zugängliches Papier nicht kenne. Kurz nachdem ich behauptet hatte, dass Frau Kegel hier die Unwahrheit sagte, schmiss mich die Regie des SPD-Kulturforums aus dem Zoom-Call. Kegels rechtspopulistische Grundbehauptung von der Überrepräsentanz queerer Menschen wurde von den SPD-Verantwortlichen nicht hinterfragt und steht somit weiter im Raum.
Ich habe beim ZDF schriftlich nachgefragt:
1.) Können Sie die Angaben von Frau Kegel bestätigen?
2.) Welche Papiere wurden Frau Kegel zugänglich gemacht?
3.) Wie, seit wann und in welcher Form wird die Repräsentanz queerer Geschichten im ZDF-Programm erfasst und dokumentiert und wo kann man das öffentlich nachschauen?
4.) Was weiß das ZDF über die Queerness in seinem fiktionalen Programm?
5.) Stimmt es, dass queere Geschichten im ZDF-Programm „überrepräsentiert“ sind? 
Eine Mitarbeiterin der ZDF-Pressestelle hat mich gestern angerufen und mir mitgeteilt, dass es „solche Papiere“ nicht gäbe. Außerdem hätte sie nach einem entsprechenden Anruf von Frau Kegel recherchiert, den ihr aber beim ZDF niemand bestätigen konnte. Die Kurzfassung der Antwort auf meine fünf Fragen, die mir nach dem Telefonat per Mail geschickt wurde, lautete:

Sehr geehrter Herr Kram,

davon ist uns nichts bekannt.

Herzliche Grüße

Nicht nur die Argumentation, sondern auch die Faktenlage der FAZ-Feuillletonchefin ist offensichtlich die gleiche, wie die der AfD: Sie scheint nicht vorhanden zu sein.

Von der SPD erwarte ich nun einen gründlichen öffentlichen Faktencheck ihrer Talk-Sendung. Wenn ihre Repräsentant*innen schon nicht in der Lage waren, Ressentiments, homophobe und queerfeindliche Positionen sowie fragwürdige Tatsachenbehauptungen zu hinterfragen, so sollte sie es als demokratische Partei nun als ihre Pflicht begreifen, dafür zu sorgen, dass dieser Form von Populismus deutlich und im Detail widersprochen wird. In ihrem Statement von gestern war davon leider nichts zu lesen. Noch wurde nicht benannt, was da überhaupt falsch gelaufen ist.

Gesine Schwan und die Grundwertekommission ist nicht die SPD. Doch da die Kommission den Anspruch hat, Vordenkerin der Partei zu sein, darf es den Sozialdemokraten nicht egal sein, was dort gedacht und gemacht wird. Auf ihrer Website wird ihr Anspruch beschrieben:

Die Grundwertekommission beim SPD Parteivorstand will auf ihre Weise zum programmatischen Profil der Partei beitragen und helfen, eine an den Anforderungen der Zeit und der Zukunft orientierte neue Politik vorzubereiten.

Je länger die SPD den neurechten Sprech unwidersprochen gewähren lässt, um so mehr ist sie dafür mitverantwortlich, dass sich dieser weiter in der „Mitte“ der Gesellschaft festsetzt. Sollte die SPD erwarten, dass man ihre Grundwerte erst nimmt, muss sie klarmachen, welche das sind. Und welche nicht. Es reicht nicht zu sagen, eine Debatte müsse geführt werden. Man muss sich schon auch für die Fakten interessieren, die einer solchen Debatte zugrunde liegen müssen.

Es reicht nicht mehr zu sagen, dass man gegen Homo- und Transphobie ist. Man muss jetzt etwas dagegen tun. Auch in den eigenen Reihen. Und auch, wenn es weh tut.

Nachtrag 25. Februar 2021:

Das ZDF teilte mir gestern mit, dass sich zwischenzeitlich herausgestellt habe, „dass Frau Kegel auf Arbeitsebene recherchiert und von dort auch Unterlagen aus einer Redaktion bekommen hat.“

Um was für Unterlagen es sich dabei handelt, wollte man mir nicht sagen. Ich habe dann noch einmal konkret gefragt:

Gibt es im ZDF irgendwelche Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass queere Geschichten im fiktiven ZDF-Programm überrepräsentiert sind?

Darauf antwortet mir das ZDF heute:

Sehr geehrter Herr Kram,

nein, dafür haben wir keine Anhaltspunkte.

Herzliche Grüße

Update 27. Februar 2021:

In meinem Podcast habe ich mit den beiden #ActOut-Initiator*innen, der Schauspieler*in Karin Hanczewski („Tatort“) und ihrem Kollegen Godehard Giese („Babylon Berlin“) über ihre Initiative gesprochen: Die bewegende Entstehungsgeschichte, die Reaktionen und was nun passieren soll. Der von queer.de präsentierte QUEERKRAM-Podcast lässt sich auch auf allen großen Podcast-Portalen und Apps abspielen.

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Hintergrund:

Meine Gegenrede zum Coming-out-Verriss von Sandra Kegel in der „FAZ“

Hier der Ursprungsbeitrag zum Thema #Actout:

Schauspieler*innen-Coming-out: Der Kampf beginnt erst jetzt!

Weitere Beiträge zum Thema:

Queer in den Medien: Homosexualität ist keine Privatsache!

(Rede zur Gründung der Queer Media Society)

Im Theatermagazin habe ich 2018 über Homophobie in Theater, Fernsehen und Film geschrieben und Coming-outs von Schauspieler*innen geschrieben. Ich bin sehr froh, dass sich die Überschrift von damals jetzt überholt hat. Sie lautete:

Jeder springt für sich allein.

Dossier: Alle Beiträge zur Homophobie der FAZ


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