Kölner CSD-Motto: Nicht die Hymne ist unantastbar. Unsere Würde ist es.

Ich gebe zu: Auch ich habe am Anfang gedacht, dass „Einigkeit! Recht! Freiheit“ vielleicht gar keine so schlechte Idee für das Kölner CSD-Motto sein könnte, habe gedacht, dass das Entscheidende eben die Ausrufezeichen sind und die damit verbundenen Forderungen an diese Begriffe. Und nicht die normative Macht, die diese Begriffe auch im negativen Sinne haben, da sie eben der Norm huldigen und nicht deren Infragestellung. (Hier die Zusammenfassung der Ereignisse.)

Meine Hoffnung war am Anfang die, die Patrick Bahners am Ende, also nach der Absetzung des Claims, über die Begriffe in der FAZ formuliert hatte:

Sie wären als Forderungen artikuliert worden, und das Publikum am Straßenrand hätte begriffen und gespürt, dass für das Recht und die Freiheit der Menschen, deren Geschlechtsleben von der alten Norm abweicht, in dieser Republik noch nicht alles erreicht ist.

Doch wie falsch diese Annahme war und wie richtig, ja notwendig es war, dieses Motto zu kippen, zeigt sich an den Reaktionen. Ja, es waren nicht, wie so oft behauptet, „die Linken“, die das Motto verhindert haben. Es war der bürgerliche konservative Mainstream, der ein solches Motto unmöglich macht, der  – anders als von den Erfindern des Mottos vorausgesetzt – eben nicht in der Lage ist, es als Druck auf den Staat zu verstehen. Sondern auf das Gegenteil.

Kann man nicht doch über das Gewaltsame und Chauvinistische schon des frühen Nationalismus sprechen, ohne das Emanzipatorische und Egalitäre eines Volksbegriffs zu leugnen, der übrigens ebenfalls schon in Volksfesten Gestalt gewann?

fragt Bahners. Nein, das kann man leider nicht.

Wie unglaublich schief ein solches Motto verstanden werden kann, zeigt etwa der Kommentar des (mutmaßlich heterosexuellen) Sport(!)-Chefs der BILD-Zeitung, Alfred Draxler:

Bei der Fußball-WM 2006, dem „Sommermärchen“, hatten wir alle schwarz-rot-goldene Fähnchen an unseren Autos. Wir haben der ganzen Welt bewiesen, dass wir ein friedliches Land sind, vor dem niemand mehr Angst zu haben braucht. Wir haben uns als fröhliches und gastfreundliches Land präsentiert. Und in jedem Stadion wurde laut die Hymne gesungen.

„Mein“ Deutschland von heute gefällt mir viel besser als „mein“ Deutschland von früher. Und ich bin sicher kein Nationalist.

Einigkeit und Recht und Freiheit sind die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens – ich bin stolz darauf!

Er führt vor, was die meisten Kritiker der Motto-Absetzung bestreiten: Wie spalterisch der Claim ist. Denn die, die jetzt die Absetzung des Mottos kritisieren, sind vor allem darüber einig, dass es doch auch irgendwie der Staat, bzw. „das Volk“ gewesen ist, die uns unsere Einigkeit, unser Recht, unsere Freiheit ermöglicht haben.

Doch je sehr jeder einzelne von uns ganz persönlich stolz und dankbar auf diesen Staat sein mag: Wir mussten diesem Staat jedes bisschen Würde abringen, das uns sein Grundgesetz verspricht. Dieser Staat hat uns verfolgt, uns unsere Freiheit versagt und einem Teil der Community versagt er sie noch immer. Wir als Bewegung sind diesem Staat nichts schuldig. Er ist und bleibt in unserer Schuld.

Dass BILD und anderen in der Argumentation eben nicht die noch immer nicht verwirklichte Freiheit von inter und trans Menschen in den Sinn kommt, sondern die Freiheit, sich mit deutschen Symbolen wieder stolz zu fühlen, zeigt, wie überfällig es war, die Motto-Notbremse zu ziehen. Es sind nicht die angeblich alle linken Motto-Kritiker, die die Hymnen-Begriffe mit deutschen Chauvinismus in Verbindung bringen, sondern – ganz abgesehen von den Rechten und Rechtsextremen – die bürgerlichen und konservativen Befürworter selbst. Und das mit einer nicht zu überbietenden Ignoranz vor den Forderungen und Zielen unserer Communities.

Noch perfider als Draxler in der BILD schaffte das Claudia Becker in der WELT, einer Zeitung, die tatsächlich von sich glaubt, irgendeine CSD-Kompetenz zu besitzen, obwohl niemandem dort bisher aufgefallen ist, dass an dieser (bis heute online so veröffentlichten) Überschrift irgendwas nicht stimmt:

Warum das Deutschlandlied zur Schwulenparade [ sic!] passt

Becker schreibt:

Einigkeit, Recht, Freiheit. Das sind die Werte, auf denen das Grundgesetz beruht, Werte, die für jeden gelten, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Vorliebe. Werte, die dafür sorgen, dass die Diskriminierung, der die LGBTIQ-Community viel zu lange auch bei uns ausgesetzt war und die sie in einem Großteil der Welt noch immer durch harte Strafen bis zur Hinrichtung erfährt, in der Bundesrepublik heute deutlich zurückgegangen ist.

Mal ganz abgesehen davon, dass unser Grundgesetz die sexuelle Identität eben nicht explizit schützt, mal angesehen davon, dass inter und trans (und vieles andere auch) nichts oder wenig mit „sexueller Vorliebe“ zu tun hat, sie also hier ganz grundsätzlich nicht verstanden hat, worum es geht, hat sie auch ganz grundsätzlich nicht verstanden, wofür dieses Motto hätte kämpfen sollen: Becker hat überhaupt nicht mitbekommen, dass es eben nicht darum gehen sollte, wie sehr die Diskriminierung in diesem Land „deutlich zurückgegangen ist“, sondern wie sehr diese bis heute noch besteht. Hier vor allem auf das Ausland zu zielen, heißt, die Ausrufezeichen nicht sehen zu können. Oder zu wollen.

Ich musste in der ganzen Diskussion viel an Spieler der Fußballnationalmannschaft denken, die – ebenfalls von Spinger-Medien aufgehetzt – vom deutschen Volkspöbel angeschrien werden, doch endlich die Hymne mitzusingen. Die Scheiß-Ausländer sollen sich endlich integrieren. Die Scheiß-Homos sollen sich endlich integrieren. Niemand fragt, warum das Mitsingen so schwerfällt.

Doch darum müsste es doch gehen.

Wieso kann diese Bundesrepublik, die im Homosexuellen-Verfolgen immer noch erfolgreicher, noch stolzer und noch tugendhafter war als im internationalen Fußballspielen, nicht verstehen, wie sehr das Besingen von Einigkeit und Recht und Freiheit auch Hohn und Schmerz bedeutet?  Und selbst, wenn es erstrebenswert wäre, dies zu ändern: Nicht wir als Bewegung sind es, die sich mit diesem Staat versöhnen muss. Es ist umgekehrt. Nicht die Nationalhymne ist unantastbar, unsere Würde ist es.

Was tut der Staat, was tut dieses „Volk“ eigentlich dafür, die von ihm Entrechteten und Verfolgten Teil dieser beschworenen „Einigkeit“ werden zu lassen? Warum wird so wenig verstanden, dass Einigkeit im Land des Leitkulturfetisch eben auch eine Drohung sein kann? Was ist das Recht wert, wenn es unter der Scham zerbröselt? Warum gelingt es etwa nicht, dass diejenigen, denen Entschädigung zusteht, diese Entschädigung auch anzunehmen und für sich geltend machen? Warum schämt sich keiner dieser Einigkeit-und-Recht-und-Freiheit-Stolzen für dieses entwürdigende Transsexuellengesetz? Wie kann in diesem Land jemand Verteidigungsministerin (und möglicherweise auch Bundeskanzlerin) werden, die zu Freiheit und Recht unserer Minderheiten vor allem Spott und Ausgrenzung einfällt? (Alles zur AKK hier im Archiv.)

Was wir gelernt haben: Die Hymne ist keine Einladung zur Einigkeit, sie ist ein Befehl. Wäre sie eine Einladung, könnte man sie auch ablehnen ohne den Vorwurf, die Werte des Staates infrage zu stellen. Doch genau das passiert jetzt. Hinter all dem steckt das homophobe Narrativ: Ihr seid selber schuld für die Angriffe gegen Euch!

Nein, nicht der Kölner CSD hat die Begriffe der Hymne den Rechten überlassen. Es ist der Widerwille der bürgerlichen Mitte, diese Begriffe wirklich ernst zu meinen.

Würden all die, die darum streiten, Einigkeit und Recht und Freiheit nicht „den Rechten zu überlassen“, genauso darum streiten, Recht, Freiheit und Dazugehören denen zu gewähren, denen unser Staat dies immer noch verwehrt, müsste man sich um die Rechten viel weniger Sorgen machen.

Vielen Dank an alle, die dieses Blog mit ihren Beiträgen ermöglichen! Als unabhängiges und werbefreies Blog brauchen wir Deine Hilfe. Hier kannst Du uns auf Paypal unterstützen. Oder hier ein freiwilliges Unterstützerabo abschließen:


Mehr dazu: Das Nollendorfblog braucht Deine Unterstützung


 Mehr zum Thema hier im Blog:

Mein Vorschlag für einen wirklich politischen Berliner CSD 2020

Hier meine Rede beim Kölner CSD-Empfang 2019 (Video):

„Stonewall war keine Online-Petition“

 

Im Archiv: Alle Beiträge zur Homophobie von BILD und WELT.