Das schwule RTL-Reality-Format „Prince Charming“, das im letzten Jahr in der Mediathek „TV Now“ zu sehen war, wurde heute überraschend für den renommierten Grimme-Preis nominiert. Dies ist doppelt ungewöhnlich, weil normalerweise solche Dating-Formate von der Jury ignoriert werden. Außerdem ist es die erste Nominierung für ein rein homosexuelles Showkonzept.
Ein Interview mit dem offen schwulen TV-Produzenten Stefan Vobis, der in der Nominierungskomission mit an dieser Entscheidung beteiligt war:
Erstmals wird ein rein homosexuelles Fernsehsehformat für den renommierten Grimme-Preis nominiert und dann trifft es eine Sendung, die dem trashigen „Bachelor“ nachempfunden ist …
Wenn der Vergleich auch nahe liegt, so geht Prince Charming in der Inszenierung doch über die Erzählstruktur des Bachelors hinaus. Die Rollenverteilung des Bachelors ist fest definiert, es ist von Anfang an klar wer hier auf wen steht. Prince Charming hingegen verlässt den normativen Rahmen. Schon formal gesehen unterscheidet sich das Format, da alle Protagonisten auch untereinander Beziehungen eingehen können und dies in dieser Staffel ja auch tun.
Wichtiger ist aber, dass Platz gelassen wird für die schwierigen Themen, die jeden queeren Menschen begleiten: Mobbing, Coming Out und der Rechtfertigungsdruck, unter dem gleichgeschlechtliche Beziehungen immer noch stehen. Man muss eben irgendwann sagen, dass man schwul oder lesbisch ist und am liebsten gleich mit Begründung. Das Format hat also eine zusätzliche, auch politische Ebene.
Wo liegt für Dich genau der aufklärerische Mehrwert?
Es ist das erste schwule Format, das nicht mit Drag oder schrillem Auftreten von den eigentlichen Problemen queerer Menschen ablenkt. Und das hilft der jungen Generation. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, mediale Vorbilder und Gleichgesinnte zu finden. Wenn ich dieses Programm vor 30 Jahren hätte sehen können, das hätte mir wahnsinnig geholfen. Es geht um schwule Lebenswelten und Lebensläufe und die werden in der deutschen Medienlandschaft immer noch viel zu selten erzählt.
Was schnell untergeht: Die Kandidaten stellen sich sehr offen einem breiten Publikum zur Disposition. In einer Zeit, in der man Morddrohungen so schnell bekommt wie ein Like finde ich das schon mal sehr mutig. Und ich finde auch die redaktionelle Entscheidung der Macher mutig, Themen wie Anal Bleeching und den lockeren Umgang mit der, in diesem Falle schwulen Sexualität, zu erzählen.
Haben das die heterosexuellen Kommissions-KollegInnen auch so gesehen oder bedurfte das Überzeugungsarbeit?
Es gab von Anfang an eine Fanfraktion. Vermutlich haben einige da drauf geguckt wie ich auf eine Fußballübertragung. Die Kritik bezog sich auf die erstmal übliche Inszenierung von Dating Shows. Es ist ja verständlich, das Heterosexuelle die Begeisterung, die das Format bei queeren Menschen ausgelöst hat, nicht gefühlt haben. Den Bachelor schaue ich selbst beispielsweise relativ uninteressiert. Irgendwann fiel der Satz: „Auch Schwule haben das Recht, in Trashformaten durch den Kakao gezogen zu werden.“ Auch wenn sich das nicht mit meinem Eindruck vom Format deckt, ist es ein gewichtiges Argument. Es war am Ende eine knappe Entscheidung.
Besteht bei solchen Formaten nicht auch die Gefahr, dass Klischees penetriert werden, statt sie zu brechen?
Da zitiere ich den Kandidaten Aaron, der in Show 4 sagt, dass das Ideal unter Schwulen immer noch sei, möglichst heterosexuell und unschwul zu wirken. Oder Manuel, der erzählt, wie schwer es für ihn ist, mit seiner hohen Stimme auch von Schwulen akzeptiert zu werden. Das ist ein wichtiger Punkt. Sobald Schwule schwul dargestellt werden, ist der Vorwurf des Klischees da. In einem Datingformat lässt sich nicht die ganze Breite des queeren Lebens zeigen. Das ist aber auch nicht mein Anspruch an ein Unterhaltungsformat wie dieses.
War es nur Nachteil, sondern auch ein Vorteil, dass das Format nicht im RTL-Hauptprogramm, sondern in der Mediathek zu sehen war?
Ich persönlich hätte mir da tatsächlich mehr Mut und eine Programmierung ohne Online Testlauf im Free TV gewünscht. So weit sind wir dann eben doch noch nicht.
Was waren Deine persönlichen Highlights des Formats?
Da will ich keine einzelne Folge hervorheben. Ich war beim Schauen immer drin. Und das ist für eine Nominierung bei allen theoretischen Erwägungen ja nicht unwichtig: die spannende Unterhaltung, das gut gemachte Fernsehen.
Was wünschst Du Dir für die nächste Staffel, die ja in diesem Jahr dann im „richtigen“ Fernsehen, bei VOX, stattfinden soll?
Ich fände eine Princesse Charming sehr sehr spannend! Und ich wäre sehr neugierig zu sehen, wie das bei Schwulen und Heteros rezipiert wird.
Hätte Heidi Klums „Queen of Drags“ auch eine Grimme-Nominierung verdient gehabt? Wie fandest Du dieses Format?
Das haben wir natürlich auch geschaut, aber gepackt hat es uns nicht. Es blieb an der Oberfläche, die Charaktere waren eindimensional erzählt. Schade, denn die Protagonisten hätten sicher ebenso viel Liebe zum Detail verdient.
Warum sind queere Figuren im Deutschen Fernsehprogramm so unterrepräsentiert, warum schaffen es amerikanische Filme und Serien so viel öfter und meistens auch besser, queere Lebensrealität widerzuspiegeln?
Häufig fehlt der Mut. Das gilt generell für deutsches Unterhaltungsfernsehen. Die Leichtigkeit fehlt. Die Tatsache, dass wir das Interview führen zeigt ja, das leichte Unterhaltung mit Schwulen und queeren Menschen zumindest diskutiert werden muss.
Als sich 1969 queere Menschen in New York wehrten, hatten wir in Deutschland noch 25 Jahre § 175 vor uns. Die Ehe für Alle musste man sich geradezu ertricksen. Schwules Leben hat in den USA eine längere und selbstverständlichere Tradition, zumindest in den Metropolen. Wenn ich Serien wie Transparent, Please Like me oder Looking sehe, denke ich auch: wow, warum geht das hier nicht? Es passiert in kleinen Schritten. Daher war mir auch wichtig, Prince Charming aus dem Online Schatten hervorzuholen. ♦
Stefan Vobis studierte Germanistik und Medienwissenschaften an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. Von 1994 bis 2004 war er Producer Show bei RTL Television. Seit 2011 ist er freier Produzent von Dokumentationen für Online, TV und Unternehmen. In der Nominierungskommission Unterhaltung des Grimme Preises ist er seit 2017.
Ebenfalls in der Kategorie „Unterhaltung“ sind nominiert: „Chez Krömer“ mit Kurt Krömer (rbb),“ Die Geschichte eines Abends…mit Olli Schulz“, (NDR), „Festival der Liebe“ (Tele 5), „Woidboyz on the road“ (BR), sowie die ProSieben-Produktionen “ Joko & Klaas LIVE – 15 Minuten“, „Late Night Berlin“ und „The Masked Singer“.
Die Verleihung mit den Gewinnern findet am 27. März statt.
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In meiner Rede zur Gründung der „Queer Media Society“ im letzten Februar habe ich veruscht, die Herausforderungen für eine größere und angemessenere Sichtbarkeit queerer Themen und Figuren in den Deutschen Medien zu beschreiben:
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