„Liebes IOC: Es geht hier nicht um Politik. Es geht hier schlicht und einfach um Grundbedingungen von Zivilisation.“

Statt Bloggen II:

Eine Rede für die „Rainbow Flame“, Potsdamer Platz Berlin 07.02.2014

Vorgetragen im Namen der Initiative „Enough is Enough“ von Alfonso Pantisano.

 

…  Am 31. August 2013 haben wir bei unserer großen Demonstration vor der Russischen Botschaft ein Versprechen abgegeben. Damals haben wir den Verantwortlichen der Olympischen Spiele und Herrn Putin gesagt: „Und einen Traum können Sie sich abschminken: Dass es so sein wird wie immer! Dass die Proteste leiser werden, wenn die Spiele erst vor der Tür stehen.“

Vor ein paar Monaten haben uns viele noch unverständlich angeschaut und heute können wir den UNO Generalsekretär zitieren, der gestern auf der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees gesagt hat: 

„Wir alle müssen unsere Stimme erheben gegen Attacken gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle Menschen. Wir müssen uns gegen die Verhaftungen, Gefängnisstrafen und diskriminierenden Einschränkungen wehren, die ihnen drohen!“

Danke lieber Ban Ki-Moon. Deswegen haben wir uns heute hier getroffen, denn genau darum geht es heute hier bei der Rainbow Flame in Berlin.

Ich möchte gemeinsam mit Euch alle Sportlerinnen und Sportler grüßen, die gerade in Sotschi die Eröffnung der XXII. Olympischen Winterspiele feiern. 

Für die meisten Sportler ist die Olympiade der Höhepunkt ihrer Karriere. Es ist oft eines der wichtigsten Ereignisse ihres Lebens. Sie haben jahrelang dafür hart trainiert und sie werden es nie vergessen. Liebe Sportlerinnen und Sportler: Wir wünschen Euch allen faire und erfolgreiche Spiele. 

Wir wünschen Euch von ganzem Herzen: Go for Gold und habt bitte die Zeit Eures Lebens!

Jeder von Euch soll sich ganz auf die Wettkämpfe konzentrieren können!

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir erwarten nicht von Euch Sportlern, dass Ihr Euch in Sotschi für andere Sachen stark macht, als die, für die Ihr dort hin gefahren seid!

Aber genau so muss klar sein: Jeder, der das Bedürfnis hat, etwas zu sagen

Jeder, der seine Stimme erheben möchte für die Menschenrechte, der tut das nicht nur für Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle! Jeder, der ein Zeichen der Solidarität setzt, der tut das für alle Menschen!
Für alle Menschen, die nicht wollen, dass irgendwo auf dieser Welt andere Menschen verfolgt werden.

Für alle Menschen, die nicht zulassen, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden.

Und für alle Menschen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ein Ereignis, das den Frieden zum Ziel hat, als Geisel genommen wird für eine Politik des Hasses und der Einschüchterung.

Das IOC sagt: Sportler dürfen in Sotschi nur während der Pressekonferenzen ihre Meinung sagen. 

Das IOC sagt, Sportler dürfen auf den Podien nach den Wettkämpfen keine politischen Äußerungen machen.

Das IOC sagt, Kritik an der russischen Homo-Verfolgungspolitik sei verboten, da es eine politische Äußerung sei.

Doch was ist daran politisch? Was ist politisch daran, wenn ich klarstelle, dass Homosexualität eine ganz normale Veranlagung ist und keine ansteckende Krankheit, vor der man kleine Kinder beschützen muss?

Ganz im Ernst: Liebes IOC! Ist es etwa auch politisch, wenn ich mich in Sotschi als Sportler hinstelle und sage, dass die Erde rund und keine Scheibe ist? Wollen Sie wirklich sagen, dass es eine Meinungsäußerung ist, wenn ich betone, dass wir uns im Jahr 2014 befinden und nicht im Mittelalter? 

Liebes IOC: Es geht hier nicht um Politik. Es geht hier schlicht und einfach um Grundbedingungen von Zivilisation. 

Das Auflehnen gegen ein politisches System, das eine Menschengruppe zu einer Gefahr der Gesellschaft erklärt und sie damit der Erniedrigung und Verfolgung preisgibt, hat erst einmal gar nichts mit Politik zu tun Sondern mit Anstand! 

Was in Russland passiert ist eine zivilisatorische Katastrophe. Aber genau so schlimm wie die Katastrophe selber ist die Tatsache, dass eine der wirkungsvollsten internationalen Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee alles dafür tut, diese Katastrophe zu verharmlosen. 

Wie kann man nur auf die Idee kommen, zu behaupten, Homosexuelle würden während der Olympischen Spiele nicht diskriminiert, weil die russische Regierung zugesagt habe, dass sie das in dieser Zeit nicht tun werde?

Gestern. Ich betone: gestern noch hat Kosak, der russische Vizeregierungschef versichert: 

Niemand werde diskriminiert. Aber Homosexuelle müssten ihre Hände von Kindern lassen.

Liebes IOC: wollen sie das nicht verstehen oder können sie das nicht verstehen:

Genau das IST die Diskriminierung!

„Niemand werde diskriminiert. Aber Homosexuelle müssten ihre Hände von Kindern lassen.“

Wer eine solche Erklärung durchgehen lässt – egal, ob als Sport-Funktionär, als Politiker oder als Kirchenmann – , wer hier nicht klipp und klar sagt, was eine solche Erklärung eigentlich ist (nämlich nicht die Verhinderung der Diffamierung, sondern, im Gegenteil: ihre Begründung!),  liebe Freundinnen und Freunde, wer diesen Unterschied nicht machen kann oder will, der ist Teil dieser Diffamierung.

Wie oft wurde in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass das russische Anti-Homogesetz ja nur ganz selten angewendet werde! Habt Ihr das nicht auch immer wieder als Argument gehört? Aber was soll uns das sagen? Etwa, dass das Gesetz nicht weiter schlimm ist, solange es nicht viele Verurteilungen dadurch gibt?

Wir kommen hier zu einem Punkt, der uns immer und immer wieder begegnet. Es macht langsam müde. Es ist anstrengend. Und es macht auch wütend, dass wir immer erklären müssen, was Diskriminierung eigentlich ist.

Nein, es geht nicht darum, ob man LGTBI mag oder nicht mag.

Nein, es geht auch nicht darum, ob man uns „nichts tut“, oder ob man uns gar toleriert. 

Es ist ganz simpel: Es geht um nichts anderes als Gleichwertigkeit. Wir wollen keine Sonderrechte. Wir wollen auch nicht, das man uns in Schulbüchern besonders herausstellt. Wir wollen einfach nur stattfinden, wie und wo andere auch. 

Das Schlimme ist, dass die, die das verhindern wollen gleichzeitig immer wieder betonen, dass sie uns nicht diskriminieren wollen. 

Es ist deshalb notwendig, die Homophobie, Homosexuellenfeindlichkeit nicht nur zu beklagen sondern auch klar zu benennen. 

Und deswegen, für alle, die es immer noch nicht verstanden haben: Wer ist homophob?

Erstens: Homophob ist jeder, der sagt Homosexualität sei widernatürlich

Zweitens: Homophob ist jeder der sagt, Homosexualität sei eine Entscheidung

Drittens: Homophob ist jeder, der sagt Homosexualität sei – in Anführungszeichen – „heilbar“

Viertens: Homophob ist jeder, der sagt, Heterosexuelle Jugendliche könnten zur Homosexualität verführt werden

Fünftens: Homophob ist jeder, der sagt Homosexualität sei eine Begünstigung für sexuellen Missbrauch
und schließlich

Sechstens: Homophob ist jeder, der sagt, die Gleichstellung Homosexueller sei eine Gefahr für die Gesellschaft!

Niemand werde diskriminiert. Aber Homosexuelle müssten die Hände von Kindern lassen …

Die russische Anti-Homogesetzgebung beinhaltet alle eben sechs genannten Punkte, die Homophobie definieren. 

Selbst wenn niemand jemals aufgrund der Gesetze verurteilt werden würde: Sie bedeuten einen Angriff auf die Würde, die Sicherheit und die Freiheit von Millionen Homo- Bi- Trans und Intersexuellen in Russland.

Die russische Regierung definiert Homosexuelle wie gemeingefährliche Schwerverbrecher auf Bewährung!

Doch das Schlimmste ist: Das IOC spielt sich auf wie unser Bewährungshelfer!

Sollen wir doch froh sein, dass wir nicht verhaftet werden! Lieber Thomas Bach, liebe Funktionäre. Schämen sie sich! 

Schämen Sie sich, für das was sie Lesben und Schwulen in Russland antun! Schämen Sie sich, was sie den Olympischen Spielen, der Olympischen Idee antun. 

Schämen Sie sich dafür, was sie den Sportlerinnen und Sportlern antun, deren Wettkämpfe, deren Leidenschaft sie missbrauchen um einem reaktionärem System dabei zu helfen, eine Minderheit dem Mob vor die Füße zu werfen. 

Und es gibt noch ein Argument, dass wir dauernd hören: Dass wir nicht überall auf der Welt die gleichen Maßstäbe an Menschenrechte anlegen können, wie bei uns. Und dass dann ja sportliche Großveranstaltungen nur noch in ganz wenigen Ländern stattfinden könnten. Ja, das stimmt. Genau so, wie es stimmt, dass solche Großveranstaltungen dazu beitragen können, Gesellschaften zu öffnen und zu liberalisieren.

Doch in Russland ist es genau anders herum: Die Russische Politik der Verfolgung Homosexueller findet nicht trotz, sondern auch wegen der Olympiade statt. Die Gesetze sind erst ein gutes halbes Jahr alt. Nicht zufällig waren sie der Auftakt zu Sotschi. Putin hat diesen Tabubruch gewagt, weil er darauf spekulieren konnte, dass die Spiele deswegen nicht abgesagt werden. Dass sie ihm – im Gegenteil – dabei helfen werden, dass das irgendwie durch geht. Und er hatte Recht. 

In ein paar Minuten brennt das Olympische Feuer in Sotschi. Es soll zeigen: Putin hat gesiegt. Er kann sich alles erlauben. Und deshalb sind wir hier. 

Nicht nur hier auf diesem Platz Mitten in Berlin, sondern überall auf der Welt. Wir sind Lesben, Schwule, Trans-, Inter, Bi und auch Heterosexuelle! 

Wir sagen: Enough is Enough! Staatliche Hetze gegen Menschen darf es nicht geben. Nirgendwo. 

Das IOC haben sie mit ihrem Geld gekauft. Aber die Herzen der Sportler, die Herzen der Zuschauer, die können sie nicht kaufen. Und wer Lesben und Schwule in Russland angreift, der greift uns alle an. 

Es gibt etwas, dass viele Heteros nie verstehen werden. Sie sagen, dass es so etwas wie eine homosexuelle Ideologie gäbe. Aber Homosexualität ist keine Glaubenssache und auch kein Verein wie der ADAC, in den man eintreten, oder – ganz aktuell – wieder austreten kann. Nein, es gibt nicht die eine homosexuelle Identität. 

Aber trotzdem haben wir alle etwas gemeinsam. 

Wir sind alle kleine Small Town Boys oder Small Town Girls. Nein, nicht, weil wir alle vom Dorf kommen. Sondern weil wir aufgewachsen sind in kleinen Hetero-Kosmen, in denen wir in der Regel nicht vorgesehen waren. 

In dieser Situation als Kinder oder Teenager, in denen wir vielleicht das Gefühl hatten, dass irgendetwas nicht stimmt und vielleicht Angst davor hatten, dass wir es selbst sind, das nicht stimmt – da war es wichtig – da war es wichtig zu wissen, oder zumindest zu ahnen, dass es noch mehr gibt, dass es da irgendwo am Ende des Regenbogens eine Welt gibt. Eine Welt, in der wir nicht falsch sind, eine Welt, in der wir uns nicht für das rechtfertigen müssen, was wir sind. 

Für nicht wenige war und ist diese Ahnung, dieses Wissen sogar überlebenswichtig. 

Egal ob wir es wagen oder nicht: Das Coming Out berührt eine existentielle Erfahrung und oft auch eine existentielle Angst. Egal, ob wir uns als Teil einer Bewegung, einer Community sehen: Uns eint, dass wir uns alle unter vielen Heteros bewegen, die nie verstehen werden, was diese Erfahrung bedeutet. Das macht uns nicht zu besseren, stolzeren oder klügeren Menschen. Das macht uns nicht zu Helden und mutigen Kämpfern für unsere gemeinsamen Rechte. 

Aber: Wir wissen alle, um was es geht. Wir wissen, was es heisst, unsere Gefühle zu verstecken in Situationen, in denen das für gleichaltrige Hetero-Freunde kein Thema war. Wir wissen, wie es ist, über Witze zu lachen, die uns nicht gefallen. Wir wissen, warum wir nicht Händchen halten, auch wenn es andere tun. 

Und deshalb wissen wir, um was es in Russland geht. Und deswegen ist der Angriff auf Homosexuelle in Russland ein Angriff auf uns. 

Liebe Trans-, Bi- und Intersexuelle, liebe Lesben und Schwule: Der Regenbogen lässt sich nicht verbieten. Wir wissen: Liebe ist keine Propaganda! Love is not for Propagända!

Wir haben unsere Botschaft in ein Lied gepackt. In ihm geht es darum, dass jede Sekunde irgendwo auf der Welt eine neue Liebe entsteht. Niemand kann sich wehren gegen diese Gefühle. Doch es gibt Menschen, die sagen, dass unsere Liebe nur eine Entscheidung ist, etwas, das wir uns nur aussuchen, um viel Lärm zu machen, um aufzufallen. Sie sagen uns, dass unsere Liebe gegen die Natur ist. Und trotzdem sagen sie uns, sie haben nichts gegen uns, wir dürfen so sein wie wir sind. Aber wenn wir uns dann öffentlich küssen, dann sind es wir, die zu weit gegangen sind. Und nicht sie. 

Liebe Freundinnen und Freunde. Wir haben es mit diesem Song geschafft, die strenge russische Gesetzgebung zu unterlaufen, nach der eine solche Botschaft zur verbotenen Homo-Propaganda gehört. Der Titel mit seiner klaren Aussage ist jetzt gerade im russischen iTunes-Store erhältlich – und das – inklusive des Covers, auf dem das Logo und der Schriftzug unserer Rainbow Flame abgebildet ist. 

Oppression must surrender
Love is not for propaganda!
Lovers are not the ones to blame
Join us to protect the flame!

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