Der wahre Wert des Böhmermann-Gedichtes

Beim Streit um das Böhmermann-Erdogan Gedicht wird darüber debattiert, ob es sich dabei um Satire handelt oder etwas anderes, darüber, ob es – egal was es ist – legal, legitim, ob es – von wem auch immer – auszuhalten ist oder nicht.

Es wird nicht darüber gestritten, ob die dort geäußerten Bezeichnungen Erdogans – für sich genommen – schlimme Beleidigungen sind oder wären (wenn sie es denn auf irgendeiner der vielen juristischen, politischen, kulturellen, böhmermannschen Ebenen wären).

Ohne all diese Ebenen, ohne all das hintergründige, stellvertretende, eigentlich gemeinte und bezweckte, also ganz einfach von Mensch zu Mensch, von Würde zu Würde sozusagen, da ist man sich einig, Ziegenficker, das geht gar nicht. Ganz offensichtlich und ganz uneigentlich, so scheint es: Das Z-Wort ist wirklich das allerletzte.

Reden wir also über das Tiereficken.

Vor nicht mal einem Jahr hat der evangelische Pfarrer Weigel, die Ehe für alle mit Sodomie bei Tieren verglichen. Einzelne „Irritationen“ hat es gegeben, keine große Welle, die Kirche blieb im Dorf. Der Pfarrer äußerte sich nicht bei Pegida, nicht in einer Satire- oder Karnevalssendung, sondern ganz ungeniert deutungsebenenfrei im Gemeindeblatt.

Er lotete damit nicht die Grenze von irgendetwas aus. Er bewegte sich ganz im Rahmen dessen, was man – vor allem im kirchlichen und konservativen Milieu – eben so über Schwule sagt.

Was man so sagt und – im Gegensatz zu Böhmermann – auch so meint: Schwule sind gegen die Natur.

Diese Weisheit ergibt sich aus dem „religiösen, christlichen Konstrukt“ (Wikipedia) des Sodomiebegriffes. Diese Weisheit gehörte in diesem Land bis in die jüngste Zeit zur Leitkultur. Bezeichnend ist, dass der Sprachgebrauch bei „Sodomie“ lange keinen Unterschied machte zwischen boy meets boy und irgendwer machts mit Ziege. Und auch heute noch vermischen sich Homosexualität und Sex mit Tieren in den Argumentationsmustern vieler Homohasser.

Als der rheinland-pfälzische CDU-Politiker Sven Heibel 2014 mit dem Verweis auf Bibelgebote, die das Liegen „beim Knaben“ genauso verdammen wie das „neben dem Tiere“, konsequenterweise die Wiedereinführung des Strafrechtsparagrafen 175 und damit die Wiederverfolgung Homosexueller ins Spiel brachte (und die CDU Landesvorsitzende Julia Klöckler klarstellen musste, dass das „nicht CDU Position“ sei), wunderten sich manche in der Union, dass man das jetzt auch schon nicht mehr sagen darf.

Besorgte Bürger vor der Dresdner Semperoper (Foto: Nollendorfblog)
„Besorgte Eltern“ vor der Dresdner Semperoper (Foto: Nollendorfblog)

Doch nicht nur hier zeigt sich, wie das, was anhand des Böhmermann-Schmähgedichtes allgemein als Worst Case-Provokation bezeichnet wird, in der Homosexuellenbeschimpfung zum Standard gehört.

Auch das beliebte Assoziieren von Schwulen mit Kinderschändern gehört dazu.

Keine Ahnung, was Satire darf. Aber vielleicht ist der größte Wert des Böhmermann-Gedichtes ja nicht, dass man jetzt über die Grenzen des Unsagbaren diskutieren kann. Sondern über das, was täglich alles so gesagt wird. Ganz im Ernst.

Böhmermann hat Erdogan in seinem wie auch immer gemeinten Schmähgedicht übrigens auch als schwul bezeichnet. Thilo Jung könnte doch mal nachfragen, ob die Bundesregierung das auch als Beleidigung empfindet. ♦

Mehr zum Thema in diesem Blog:

„Schwulenwitze im Satiregipfel: Ist Dieter Nuhr nur ein großes Missverständnis?“

6 Gedanken zu „Der wahre Wert des Böhmermann-Gedichtes

  1. er hat ihn als pervers und schwul bezeichnet und ob es Beleidigung war? na ja ich glaube nicht dass es als kompliment gemeint war

  2. Jan Böhmermann hat in seinem (als solches angekündigten und als Exempel ausgewiesenen) Schmähgedicht nicht pauschal Muslime, sondern explizit die Person Erdoğan des Ziegenfickens bezichtigt – was daran rassistisch sein soll, ist mir schleierhaft – denn sonst wäre es ja immer rassistisch, IRGENDWEN zu beleidigen, weil diese(r) ja (Obacht: auch hier Rassismusgefahr!) irgendeiner menschlichen „Rasse“ resp. Volksgruppe angehört…
    Dass er ihn obendrein als „schwul“ bezeichnet hat, ist auch allenfalls im Zusammenhang als Beleidigung zu bewerten, und in diesem Kontext sicherlich nicht homophob.
    (Solidarität mit Böhmermann: https://misanthrope.blogger.de/stories/2578887/)

  3. “ Auch das beliebte Assoziieren von Schwulen mit Kinderschändern gehört dazu“

    Ganz ehrlich:

    Dafür sorgen die Schwulen schon selbst für. Wenn man Leute wie Volker Beck als Gallionsfigur der Schwulen hinstellt dann muss man damit leben.

    Etwas Selbstkritik würde hier den Homosexuellen gut zu Gesicht stehen.

    Und ja, leider wird in der Schwulenszene Kindesmissbrauch als Kavaliersdelikt angesehen. Ansonsten hätte man solche Leute wie Beck schon zum Teufel gejagt.

    Wer sowas fordert gehört geächtet, nicht in den Himmel gehoben.

    Was kam von diesem Widerling bis jetzt:

    Antideutscher Rassismus, Legalisierung von „Sex“ mit Kindern, das Verstümmeln kleiner Jungs, Crystal Meth und das grausame Schächten von Tieren.

    Ein tolles Vorbild…

    Glaubt mir eins: Als jemand der sich nicht geoutet hat kann ich sagen das niemand für mehr Schwulenhass gesorgt hat als Volker Beck…

    Wie man sich bettet, so liegt man.

  4. Die Metapher des „Kinderfickens“ ist sowohl homophob (was die Söhne betrifft) und schwulenfeindlich, was das Ficken betrifft. Statt Schwule der Selbstkritik zu zeihen, sollte mann wenigstens darüber etwas wissen. `
    Heterosexismus geht klar davon aus, dass zwischen Männern immer gefickt wird, so wie zwischen Mann und Frau. Und das stimmt so nicht! Ausserdem sind die Übergriffe auf Kinder ein klares Heteroproblem, nicht nur was die sexuellen betrifft und ihre Zahl! Kindersoldaten und Kinderarbeit sind kleine Probleme in den Medien im Vergleich zu den „Kinderschändern“ (wobei die Schande eben nicht beim Kind liegt!)
    Die Kindertäterinnen werden meistens gleich zu Opfern erklärt, egal was sie angerichtet haben. Dasselbe bei Täterinnen, die immer vorher halt „Probleme gehabt haben“. Haben Männer keine??
    Ausserdem neigen Heteros dazu, ihre Frauen selbstverständlich zu verkindlichen: Baby, Kindchen, Mädchen, Kleines etc. Und sie besingen das Ficken, äh die Liebe mit sowas auch unwidersprochen öffentlich!

    Dann fällt auf, dass bei Schwulen immer der Opfer daran Schuld ist, dass Täter+Innen sich an ihm „rächen“… Bisexuelle geben weise Ratschläge, wie wir uns zu verhalten hätten, wie Heterosexuelle sie den Frauen geben…

    Gisela Bleibtreu-Ehrenberg hat schon in den 70er Jahren darauf verwiesen, dass trotz bürgerlicher Gleichstellung der „Kinder…vorwurf“ immer die letzte Bastion sein wird, hinter der sich SexistINNen verstecken werden. Und schwule Kinder sind bis heute ein Unding – warum wohl? 😛

    P.S. Hat jemand in letzter Zeit etwas von Selbstkritik bei Schwarzen und Juden gelesen??

  5. Bei aller berechtigter Kritik finde ich die Darstellung dessen, was der komische Pfarrer geschrieben hat verzerrt! Der Originaltext ist ja leider nicht verlinkt, aber wenn die WELT Berichterstattung stimmt, hat er mitnichten Homosexualität mit Sodomie gleichgesetzt sondern DIE EHE weitergesponnen und so abwegig ist der Gedanke ja gar nicht. Was der Pfarrer als schlimm ansieht (Ehe zwischen Freunden, Familienmitgliedern etc.) wäre an sich ja etwas wünschenswertes. In seinem hysterischen Eifer kam er halt auch auf die alberne Idee Haustiere mit einzubeziehen.

    Irgendwie finde ich es fast schon blöd, dass er hier so absichtlich falsch verstanden wird – Ehe mit Sex gleich zu setzen ist schon reaktionär und heteronormativ.

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