Hoffentlich haben wir es bald hinter uns. Hoffentlich ist das dringend notwendige Selbstbestimmungsgesetz bald ohne allzu große weitere Angriffe auf Selbstbestimmung und trans Menschen beschlossen und dieser schreckliche Spuk ist vorbei.
Durch das geplante Selbstbestimmungsgesetz, beziehungsweise den verantwortungslosen politischen und medialen Umgang damit, ist die bizarre Situation entstanden, dass ein Vorhaben zur Verbesserung der Lebensgrundlagen von Menschen die Lebensgrundlagen dieser Menschen erst einmal massiv beschädigt hat. Womöglich für lange Zeit.
Häme und Ablehnung gegen trans Menschen und ihre Interessen und deren Umdeutung als skurrile, aggressive und wehleidige “Agenda” sind seit der Auseinandersetzung um das geplante Gesetz mittlerweile en vogue. Und das, wo die Stimmung gegen trans Menschen sowieso gereizt ist: Viele trans Menschen berichten von immer schlimmer werdender sublimer bis offener Feindseligkeit. Die transfeindlichen Übergriffe vermehren sich rapide.
Noch vor zwei Jahren feierte sich die Mitte der Gesellschaft dafür, wie gütig sie trans Menschen in ihr aufgenommen hat. Als 2021 Alex Mariah Peter als erstes trans Model Gewinnerin der ProSieben Casting-Show “Germanys Next Top Model” wurde und im selben Jahr Tessa Ganserer und Nyke Slawik als erste offen lebende trans Menschen in den Bundestag eingezogen, galt dies als Zeichen dafür, wie selbstverständlich und unaufgeregt die Gesellschaft mit dem trans Thema mittlerweile umgeht. Davon kann heute, nur zwei Jahre und eine entglittene Auseinandersetzung um das von der Bundesregierung geplante Gesetz später, keine Rede mehr sein.
Zwar ist es nicht so, dass besorgte Bürger massenhaft gegen das Selbstbestimmungsgesetz auf die Straße gehen. Doch das müssen sie auch gar nicht. Denn der Protest gegen das Gaga-Gesetz, in dem sich jeder angeblich dauernd leichtfertig sein Geschlecht aussuchen kann, ist allgegenwärtig. Er wird, und das ist das besonders Gemeine, vor allem dann formuliert, wenn es gar nicht um trans Menschen geht. Trans Menschen und das geplante Gesetz sind mittlerweile zum Symbol für all das geworden, was in Politik und Gesellschaft falsch läuft. Symbol dafür, dass die “normalen Menschen” nicht mehr ernst genommen werden. Symbol dafür, dass “die Politik” auf die falschen Themen setzt. Symbol dafür, dass irgendwelche linken Spinner den Meinungskorridor bestimmen.
Ich hätte nicht gedacht, dass es heute möglich ist, quasi aus dem Nichts breite Teile der Gesellschaft innerhalb einer so kurzen Zeit gegen eine Minderheit aufzustacheln. Abgesehen von der Katastrophe, die das für die betroffenen Menschen ist, zeigt es auf erschütternde Weise, wie brüchig und verlogen das Selbstbild unserer Gesellschaft ist, das diese sich gerne als offen, aufgeklärt und tolerant zeichnet.
Dass die Regierungsparteien offensichtlich unterschätzt hatten, wie leicht sich das trans und Gender-Thema als Aufreger instrumentalisieren lässt, mag man ihnen durchgehen lassen. Nicht aber, dass sie der wachsenden Feindseligkeit so gut wie nichts entgegenzusetzen hatten. Über die Aufgabe von politischen Parteien schreibt unser Grundgesetz nur einen Satz: ”Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.” Wo bitte haben die Regierungsparteien die politische Willensbildung zum Thema trans Selbstbestimmung in den letzten zwei Jahren mitgewirkt? Gab es irgendeine Kommunikationsstrategie, mit der auch nur annähernd erklärt werden konnte, warum dieses Gesetz notwendig und überfällig ist? Ja, die Aussage “Trans Frauen sind Frauen” stimmt. Aber eben nicht ausreichend in einer Situation, in der der Bevölkerung fast ausschließlich Verunsicherung zum Thema serviert wird und die tatsächliche Situation der Betroffenen so gut wie keine Rolle spielt.
Der Regierung hätte sich darauf einstellen müssen, dass und wie Rechte und Konservative das Thema für ihre Zwecke missbrauchen werden. Spätestens seit der Wahl Donald Trumps hätte zudem jedem klar sein müssen, wie gut sich Transphobie und “Gender Gaga” dazu eignet, rechte mit angeblich linken Themen zu verbinden, also jenseits der üblichen Wählermilieus ein neues, die Lager verbindendes Narrativ zu schaffen.
Matthias Matussek twitterte als Resümee der Trump-Wahl damals, also bereits 2016:
Und das hier an alle “Experten” Leitmedien und enorm verbiesterte Eliten – die Leute wollen keine Toiletten für das dritte Geschlecht, sondern Arbeit und ihre Familien durchbringen.
Obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, gehe ich davon aus, dass dieser Satz heute von nahezu hundert Prozent der Menschen unterschrieben würde, die sich heute vorstellen können, die neue Partei von Sahra Wagenknecht zu wählen. Grade, weil dieser Satz auf perfideste Weise allen Menschen mit wirtschaftlichen Sorgen ein perfektes Feindbild bietet, liest er sich wie aus dem Redaktionsmanifest von Julian Reichelts rechts-alternativem Portal NIUS.
Ja, es ist nicht einfach, eine unheilige Allianz von Wagenknecht bis Weidel, von Emma über Springer bis Julian Reichelt gegen sich zu haben. Aber zumindest einigermaßen öffentlichkeitswirksam erklären, was durch das Gesetz geregelt werden soll (und vor allem: was nicht!), das hätte man zumindest versuchen müssen. Und zwar nicht nur durch die zuständigen Fachpolitiker`*innen.
Zur Unfähigkeit der Regierungsparteien kommt die Dreistigkeit der Opposition von AfD und Union, mit der sie trans Menschen vor den Bus werfen.
Während die AfD wenigstens zugibt, dass sie trans Rechte überflüssig findet, polemisiert die Union ihre Ablehnung mit einer weniger hart klingenden, in Wahrheit aber viel brutaleren Argumentation, die ungefähr so geht: Die Menschen interessieren sich nicht für das trans Thema, deswegen soll sich die Regierung lieber um wichtigere Themen kümmern.
Wie hier Thorsten Frei, der stellvertretende Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei “Markus Lanz” am 7. September 2023:
(…) nehmen sie mal die Kabinettsklausur der August Kabinettssitzung. Was ist da beschlossen worden. Die Cannabis-Legalisierung, den jährlichen Wechsel des Geschlechtseintrags und die erleichterte Einbürgerung von drei Jahren Aufenthalt hier. Das sind nicht die Mainstream-Themen in Deutschland. Das sind nicht die Themen, die die Menschen bewegen und umtreiben, die bewegt beispielsweise, dass wir in Deutschland in den letzten drei Jahren eine Inflation von 16.1. Prozent haben.
Das ist natürlich aus so vielen Gründen perfide, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Etwa dem, dass es aus Sicht der Mehrheit wohl immer etwas geben wird, was “die Menschen” mehr interessiert als Minderheitenrechte, Politik für Minderheitenschutz also per se Schwachsinn wäre. Oder dem, dass nicht der Einsatz für Minderheiten verantwortlich dafür ist, dass die Regierung die vermeintliche oder tatsächliche “richtige Politik” verweigert.
Natürlich weiß auch die Union, dass der Bundestag pro Legislaturperiode ungefähr 500 Gesetze beschließt und dass es keinem von ihnen weh tut, dass da auch eines für trans Menschen dabei ist.
Das eigentlich brutale aber an der Unions-Polemik ist, dass nach ihrer Logik nicht das Leid der Betroffenen ausschlaggebend für Regierungshandeln sein sollte, sondern ob es genügend Menschen gibt, die sich für das Leid dieser Menschen interessieren.
Eine Anfang Februar 2021 erschienene Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beschreibt, wie LGBTI im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich häufiger von psychischen und körperlichen Krankheiten betroffen sind. Allein der Anteil von Depressionen und Burn-out ist dreimal so hoch. Vierzig Prozent der trans Menschen leiden unter Angststörungen. Die Studienmacher*innen halten fest:
„Der Weg zu gleichen Chancen auf ein gesundes Leben ist für LGBTQI*-Menschen steinig. Gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung gehen Hand in Hand mit einer deutlich höheren psychischen und körperlichen Belastung.“ Besonders gilt dies für trans Menschen. Ihre Suizidgefährdung ist 10-mal höher als in der restlichen Bevölkerung.
Das Selbsthilfegesetz wird dies alles nur bedingt verbessern können. Aber es ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass sich die Situation vieler trans Menschen verbessert, dass sie nicht zu der ihnen in dieser Gesellschaft entgegengebrachten Ablehnung nicht noch unnötige, durch die Politik verordnete Demütigungen und Belastungen erfahren müssen.
Trans Menschen sind Opfer einer gesellschaftlichen Situation, für die sie nichts können, werden aber in der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz vor allem als Täter in Szene gesetzt: Als Personen, die aufgrund ihrer Befindlichkeiten und Egoismen einer Gesellschaft völlig absurde Dinge abverlangen und diese damit spalten.
Wie wichtig wäre hier eine mediale Beichterstattung gewesen, die aufklärt und einordnet. Stattdessen dienten trans Menschen vor allem als Trigger und Aufregerthema.
Viele Medien bemühten sich, bestmöglich zu verschleiern, was das Selbstbestimmungsgesetz eigentlich regeln soll und nahmen es somit in Kauf oder beförderten bewusst, dass Ängste geschürt wurden. Sie haben dazu beigetragen, der sich der Hass auf trans Menschen weiter ausbreiten konnte, weil man ihnen unterstellt, dass sie durch das Selbstbestimmungsgesetz angeblich verantwortungslose Dinge geregt wissen wollen.
Ein schlimmes aber leider typisches Beispiel ist ein dpa-Beitrag über eine Aussage von Friedrich Merz und die Art und Weise, wie er über die Medien verbreitet wurde:
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich für deutliche Hürden bei Geschlechtsanpassungen ausgesprochen. Es gebe einen staatlichen Schutzauftrag insbesondere für Kinder und Jugendliche, sagte Merz am Samstag beim Bundesdelegiertentag der Frauen Union in Hanau. Möglich sei, dass diese meinten, mit einer Geschlechtsanpassung „alle Probleme ihrer Welt“ lösen zu können.
Was Friedrich Merz da fordert, hat mit dem Selbstbestimmungsgesetz nichts zu tun, da es dort überhaupt nicht um Geschlechtsanpassungen geht. Der dpa-Beitrag suggeriert aber genau dies, da er ohne eine Klarstellung direkt nach der Aussage zu den Geschlechtsanpassungen über das Selbstbestimmungsgesetz spricht, so als sei Merz´ Aussage in diesem Zusammenhang gefallen. (Was je theoretisch auch der Fall sein kann, aber dann hätte es erst recht einer Erläuterung bedurft.)
Keines der vielen Medien, die diesen Beitrag verbreiteten, machte sich die Mühe zu erklären, dass Merz da etwas fordert, dass durch das Selbstbestimmungsgesetz gar nicht geregelt werden soll. Sie versuchten also nicht den suggerierten Eindruck zu zerstreuen, dort ginge es um Geschlechtsanpassungen. Und natürlich erst recht nicht, dass es nichts mit Geschlechtsanpassungen bei Kindern zu tun hat. Doch manche Medien begnügten sich nicht nur dabei, einer möglichen falschen Lesart nicht zu widersprechen. Sie wollten offensichtlich sichergehen, dass die dort angelegte Desinformation auch sicher verfängt und „besserten“ den dpa-Beitrag entsprechend nach.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland behauptet schon in seiner Überschrift:
Geplantes Selbstbestimmungsgesetz: Merz fordert Hürden für Geschlechtsanpassungen
t-online schickt der Merz-Aussage zu den Geschlechtsanpassungen noch einen irreführenden Satz voraus:
Der CDU-Vorsitzende spricht sich gegen das von der Ampel geplante Selbstbestimmungsgesetz aus. Mit einer Geschlechtsanpassung ließen sich nicht „alle Probleme ihrer Welt“ lösen.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich für deutliche Hürden bei Geschlechtsanpassungen ausgesprochen. Es gebe einen staatlichen Schutzauftrag insbesondere für Kinder und Jugendliche, sagte Merz am Samstag beim Bundesdelegiertentag der Frauen Union in Hanau. Möglich sei, dass diese meinten, mit einer Geschlechtsanpassung „alle Probleme ihrer Welt“ lösen zu können.
Viele Medien haben breite Teile der Bevölkerung gegen gegen Gesetz aufgebracht, in dem sie hart daran gearbeitet haben, dass nur wenige Leute verstehen konnten, worum es da eigentlich geht. Oder sie haben sich nicht die Mühe gemacht, es selbst zu verstehen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein großes Politik- und Medienversagen.
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