Mein Problem mit Patsy l’Amour laLove. Ein Widerspruch.

Da hat die aktivistische ‚Polittunte‘ Patsy l’Amour laLove offensichtlich den Finger in eine klaffende Wunde gelegt: So viele leidenschaftliche Pro- und Kontra-Reaktionen gab’s auf einen eher akademischen Sammelband mit Texten zur aktuellen LGBTIQ*-Szene wohl lange nicht.

Diese reichen von wüsten Beschimpfungen, Boykottaufrufen und kopfschüttelndem Unverständnis darüber, wie Patsy l’Amour laLove denn ’so etwas‘ nur tun konnte, bis zu Applaus und Unterstützung der Gegenseite dafür, dass da ‚endlich mal jemand das ausspricht‘, was vielen (wie es scheint) am aktuellen Diskurs in der queeren Szene so tierisch auf die Nerven geht.“

Kevin Clarke auf queer.de

Patsy l’Amour laLoves hat mit „Beißreflexe“ ein wichtiges Buch gemacht, sie hat die absurden Auswüchse eines linken queeren Aktivismus beschrieben, der in niemandes Sinne sein kann.

Während einer Präsentation des Sammelbandes im Berliner „Eisenherz“ sagt sie, dass dieses Buch eine notwendige Debatte ermöglichen soll. Doch dann tut sie dann genau das, was sie den von ihr kritisierten AktivistInnen vorwirft: Sie verbringt einen Großteil des Abends damit, solche Themenfelder zu definieren, über die ihrer Meinung nach diskutiert werden darf, und solche, wo es absurd sei, Diskussionen zu führen.

Ein Beispiel: Ich bin ohne Wenn und Aber für die „Ehe für alle“, ich teile nicht die Ansicht derer, die meinen, dass die normativen Nachteile eines Kampfes um rechtliche Gleichstellung überwiegen. Aber ich verstehe die Einwände, und gerade weil es so scheint, als ob eine rechtliche Gleichstellung bald Realität werden könnte, sollten wir uns mit ihnen auseinandersetzen. Auch wenn wir diese ablehnen, sollten wir uns mit der Möglichkeit konfrontieren, dass sie richtig sein könnten. Auf die Frage, warum sie solche Einwände nicht Teil der von ihr angestrebten Debatte sein sollten, antwortet Patsy erst gar nicht, sie erklärt sie einfach für falsch.

Es ist nicht so, dass ich Patsys Thesen im Grundsatz nicht teile. Im Gegenteil: Fast immer sehe ich die Dinge sehr ähnlich.

Aber im Gegensatz zu ihr bin ich eben der Meinung, dass es Thesen sind und keine ultimativen Wahrheiten. Patsy sagt, sie will diskutieren. Dabei will sie sagen, wie die Diskussion zu laufen habe, sie will festlegen, was diskutabel ist und was nicht.

Es ist ein Unterschied ob ich einen Zustand beklage, gegen ihn argumentiere und darum kämpfe ihn zu ändern, oder ob ich diesen Zustand als eine Art Notstand beschreibe, der eine Gegenwehr erfordert, der eine sachliche Auseinandersetzung für nicht mehr sinnvoll erklärt.

Dabei will ich gar nicht abstreiten, dass sich die von Patsy beschriebene Aktivistenszene so festgefahren hat, dass eine Diskussion mit ihren VertreterInnen wirklich überflüssig ist. Aber heißt das auch, dass von diesen Leuten wirklich eine Gefahr ausgeht? Denn „Sprechverbote“ würden ja bedeuten, dass hier etwas verboten wird, etwas nicht stattfinden kann, dass hier irgendetwas genommen wird und man sich nicht wehren kann.

Ist es wirklich ein Sprechverbot, wenn Leute mit gewissen Thesen nicht auf Veranstaltungen auftreten dürfen, die von Leuten gemacht werden, die dort lieber andere Thesen hören möchten? Ist die Macht, die Patsy diesen Leuten zuschreibt nicht in Wahrheit die Orientierungslosigkeit derjenigen Aktivisten, die es nicht schaffen, konstruktive Diskurse zu beleben? Könnte / müsste die „Community“ nicht auch eine gehörige Portion Spinner- und Sektierertum aushalten können, ja, gehört das nicht (erst recht als akademische Aufwärm-Folklore) dazu?

Angesichts der Orientierungslosigkeit hat der Applaus, mit dem sie gerade von unterschiedlichsten (und sich ansonsten inhaltlich meist sehr entgegengesetzt positionierten) Heroen der Szene überschüttet wird, etwas sehr Irritierendes. Es ist ein bisschen so wie beim Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann, das wichtig und richtig war, aber das „Befreiende“ daran auch eben war, gemeinsam über Türken als Ziegenficker lachen zu können.

Patsy belässt es eben nicht nur dabei zu beschreiben, was falsch läuft, sie prangert nicht nur (zu recht!) das Lächerliche, Destruktive bis Bösartige eines Diskurses an. Sie tut so, als ob das, womit sich dieser Diskurs beschäftigt, grundsätzlich lächerlich, destruktiv und bösartig ist. Natürlich ist es etwa richtig, dass Schwule nicht für die mangelnde Sichtbarkeit von Lesben verantwortlich sind, und ja, es nervt verdammt, das dauernd vorgeworfen zu bekommen, zumal es auch dann passiert, wenn man sich wirklich darum bemüht, daran etwas zu ändern. Aber trotzdem ist es ja nicht so, als hätten Schwule nichts damit zu tun, nicht als individuell Verantwortliche, als Schuldige per se, schon klar, aber wer ist schuldlos – oder sagen wir: unbeteiligt – in einer Gesellschaft die strukturell Frauen diskriminiert? Es gibt nicht zu viel Diskussion darüber, was Schwule Lesben antun (und umgekehrt!), was wir von einander erwarten dürfen und können. Müsste nicht gerade jetzt, wo das gemeinsame Ziel der rechtlichen Gleichstellung an Bindekraft verliert, mehr, besser, differenzierter genau darüber gesprochen werden?

Je später der Abend wird, desto weniger ist Patsy bereit zu differenzieren. Während in ihrem Buch noch davon die Rede ist, dass queere Flüchtlinge vor dem Islamismus fliehen sagt sie nun, diese würden vor dem Islam fliehen, was natürlich nicht ganz falsch ist, aber eben auch nicht richtig. Dabei ist eine der großen Stärken des Buches, wie sehr es die Schwierigkeiten der LGBTIQ*-Szene beschreibt, dem Islam und die, die ihn predigen (und verharmlosen) mit einer angemessenen Religionskritik zu konfrontieren. Doch gerade weil dieses darüber richtig reden noch gelernt werden muss, hat man das Gefühl, als müsste man die Herausgeberin Patsy vor der Populistin Patsy in Schutz nehmen.

Zu Beginn der Veranstaltung sie verteilt auf Papier kopierte Folien, die ihren Vortrag unterstützen sollen. Ca. die erste Häfte der Folien besteht aus Tweets, die Abgründe aufzeigen und mit denen Patsy seit Erscheinen von „Beissreflexe“ konfrontiert ist: Schmähungen, Beleidigungen bis hin zu unverblümten Gewaltaufrufen. Das ist grausam und hoffentlich ist es auch justiziabel und wie sehr solche Angriffe diejenigen verletzen, die ihnen ausgesetzt sind, können nur sie selbst beschreiben. Trotzdem – oder: gerade deshalb – wäre es notwendig gewesen, klarzustellen, was diese Tweets nicht sind: Ein Hinweis darauf, dass die von Patsy im Buch beschriebenen AktivistInnen und Gruppen dahinter stehen. Denn nicht nur Patsy ist diesen Angriffen hilflos ausgeliefert, sondern auch diejenigen, für die sie zu sprechen vorgeben. Die Tweets sagen weder qualitativ noch quantitativ irgendetwas über eine Gewaltbereitschaft dieser Szene aus. Wenn es Hinweise auf eine solche Gewaltbereitschaft gäbe, wäre das wichtig zu wissen, dann hätte Patsy diese benennen müssen. Aber das hat sie nicht. Statt dessen verteilt sie anonyme Tweets, präsentiert sie quasi als einen Beweis dafür, wie richtig und wichtig sie mit ihrem Beissreflexe-Vorwurf an die queere Aktivisten-Szene ist. Doch sie beweist gar nichts. Im Gegenteil. Sie verleumdet. In gewisser Weise kriminalisiert sie ihre Kritiker.

Um eine redliche Diskussion über ihr Buch zu ermöglichen, hätte sie die, die sie damit kritisiert, vor diesen Verdächtigungen schützen müssen.

Ich finde nicht, dass ein LGBTIQ*-Populismus grundsätzlich schlecht sein muss. Ich finde, es spricht nichts dagegen, wenn auch wir in der Lage sind, im Sinne unserer Interessen die Dinge zuzuspitzen. Doch Patsy belässt es nicht beim Zuspitzen.

Die Rhetorik und Methodik, die Patsy an diesem Abend aufführt, erinnert erschreckend an die derjenigen Kräfte, die seit einigen Jahren den gesellschaftlichen Rollback anführen. Nein: Ein Argument, eine Rhetorik ist nicht deshalb automatisch falsch, weil sie Applaus von der „falschen“ Seite finden. Ein Argument ist dann falsch, wenn es nicht argumentiert, sondern behauptet, wenn es so tut, als ob man sich mit der Annahme seiner Unrichtigkeit gar nicht beschäftigen muss. Aber es ist nicht nur die Wortwahl rund um den Vorwurf vermeintlicher „Sprechverbote“, der Pose des „das wird man doch wohl endlich mal sagen dürfen“, mit der sich Patsy hier verirrt, es ist das Prinzip dahinter: Ein Populismus, der nicht zuspitzt, sondern verzerrt.

Wir brauchen dringend eine Debatte über queeren Aktivismus. Und Patsy brauchen wir dafür auch. Aber nicht als Populistin. Davon haben wir genug.♦

Nachtrag (29.04. 2017):

Ich habe den Titel des Beitrags geändert. Vorher stand da: „Das Problem mit Patsy l’Amour laLove.“ Ich habe natürlich kein Problem mit Patsy als Person, ich habe sie hier auch nie mit Rechtspopulisten verglichen, es geht in diesem Beitrag ausschließlich um die hier beschriebenen Methoden und die Rhetorik.

Diesen Beitrag auf Facebook liken / sharen:

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.