Wer ist Schuld für die Demütigung von Wolfgang Lauinger? Ich hätte gerne Namen.

Screenshot: Video Magnus Hirschfeld Stiftung

Es gibt Menschen, für die war die Bundesrepublik ein Unrechtsstaat. Was sie erlebten, gleicht den schlimmsten Schikanen – der SED-Diktatur. Diese Menschen waren schwul.

Einer von ihnen ist diese Woche gestorben. Wolfgang Lauinger wurde 99 Jahre alt. Die Nazis hatten ihn verhaftet, weil er in einer rebellischen Swing Jugend war, sie versuchten, in der Homosexualität zu „überführen“. Die Justiz der frühen Adenauer-Zeit brachte ihn dann im Rahmen einer großangelegten systematischen Homosexuellen-Verfolgung mit ca. 100 anderen Opfern mit Hilfe des Paragraphen 175 mehrere Monate in Untersuchungshaft. Und, wie er später berichtete, mit Hilfe von Akten der Gestapo. Als alter Herr wurde es ihm wichtig, über diese Zeit aufzuklären. Er sprach vor Schulen über seine Homosexualität. Und er engagierte sich unermüdlich für das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung. Als das Gesetz dann kam, stellte auch er einen Antrag. Die Antwort erreichte ihn am 9. Oktober, wenige Wochen vor seinem Tod: Abgelehnt.

Man kann sich den Grund hierfür nicht perfider vorstellen: Da er nach der Untersuchungshaft nicht verurteilt worden ist, fällt er nicht unter das Entschädigungsgesetz.

Die Frage ist: Handelt es sich dabei um eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke?

Oder war denen, die das Gesetz gemacht haben, klar, welche Konsequenz das für Menschen wie Lauinger haben würde? War ihnen klar, dass diese am Ende ihres Lebens und am Ende ihres langen Kampfes gegen ein erwiesenes Unrecht kurz vor ihrem Tod ein zweitseitiges Behördenscheiben mit dem Betreff „Versagung der Entschädigung“ quasi als eine Art Abschiedsgeschenk des Staates, als eine Art Grabbeigabe mit auf den Weg bekommen würden?

Also: Gibt es Politiker, die ein solches Szenario absichtlich herbeigeführt haben?

Ich habe gestern mit Juliane Löffler telefoniert, die Ende November für Buzzfeed das letzte Interview mit Lauinger geführt hat. Es ist die bewegende Geschichte eines lebenslustigen stolzen Mannes, der seine Würde verteidigt, dem es um Gerechtigkeit geht. (Hier der wirklich sehr lesenswerte Bericht).  Löffler erzählte mir, wie stark und bestimmt dieser Mann am Ende seinen Lebens noch war. Aber auch wie er in sich zusammenfällt, wie tief getroffen er wirkt, als sie ihn auf die verweigerte Entschädigung anspricht. Schon die Tatsache, dass die Union kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes auf den Altersdifferenz zu heterosexuellen Opfern besteht, und somit die schwulen Opfer noch einmal bewusst abwertet, entsetzt ihn.  Dass aber das Gesetz Menschen wie ihn explizit ausschloss, weil sie nicht verurteilt wurden, macht ihn fassungslos. Er kann er sich einfach nicht erklären. Wie auch? Er wird ganz ruhig, als er darüber spricht, stoppt schließlich, kann, will nicht mehr weiterreden. „Das Atmen fällt ihm sichtlich schwer, er sinkt in seinem Sessel zurück.“, schreibt Löffler, sie bricht das Interview an diesem Punkt ab.

Man muss es so deutlich sagen: Die letzen öffentlichen Worte dieses Helden sind geprägt von Schmach, die ihm dieser Staat zugefügt hat.

Wer ist dafür verantwortlich? Wer wusste, dass das Gesetz genau dazu führen wird? Wer hat darauf bestanden, dass das passiert?

Gegenüber Buzzfeed spricht Justizminister Heiko Maas vor ein paar Wochen, als die Ablehnung des Antrags bekannt wurde, davon, dass ein solches Gesetz „natürlich auch solche Fälle erfassen“ sollten, es aber „notwendige Kompromisse“ gegeben habe: „Das sind Kompromisse der Bundestagsfraktionen, die man meiner Auffassung nach nicht gebraucht hätte.“ Laut Maas war es also kein Versehen. Man hat die, die „nur“ in Untersuchungshaft waren, nicht einfach nur vergessen,

Wenn das stimmt, wenn ich das richtig verstehe, gab es also eine Bundestagsfraktion, die darauf bestanden hat. Wenn ich das richtig verstehe, dann hat die Union auf diese „Kompromisse“ gepocht, die zu dieser Regelung geführt haben.

Wenn das so war, dann möchte ich gerne wissen: Wer war das genau? Wer hat das verhandelt? Wer in der Unions-Fraktion wusste davon? Welcher Politiker hat im Feilschen um das Gesetz den Vorschlag gemacht, dass man ja nicht alle entschädigen müsse? Welchem Politiker war es so wichtig, dass eines der dunkelsten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte für einige der Opfer dunkel bleibt? Wissend, dass die wenigen Menschen, die noch erreicht werden können, nur noch wenige Jahre zu leben haben, sich  also  nicht dagegen wehren können, nicht darauf warten können, dass es irgendwann mal ein Gesetz ohne diese „Kompromisse“ gibt.

Wer wollte ein Gesetz, das für Menschen wie Lauinger am Ende ihres Lebens nach den Demütigen unter Hitler und Adenauer, auch noch eine abschließende unter Merkel bereit hält?

Was sind das für Leute? Wer sind diese Leute?* Ich hätte gerne Namen. Ich möchte gerne, dass man diese Namen kennt.

PS: Ich habe vor ein paar Tagen eine Satire dazu geschrieben. Aber ich meine es bitter Ernst. Eine nicht gehaltene Rede und die „Charakter-, Würde- und Ehrlosigkeit von Angela Merkel“ (Leserkommentar).

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4 Gedanken zu „Wer ist Schuld für die Demütigung von Wolfgang Lauinger? Ich hätte gerne Namen.

  1. Ich lernte Herr Lauinger als lebensfrohen Menschen kennen, der gerne lachte und trotz seines Alters noch kämpferisch war. Ich bin mir sicher, er hätte noch weitergekämpft.

    Mir wäre lieber, wenn man ihn als Kämpfer und nicht nur als Opfer in Erinnerung behält.

    Klar, da ist die Wut. Ich müsste lügen, wenn ich nicht wütend wäre. Aber was ich an Lauinger so schätzte, war sein Kampfgeist. Er hatte ein langes Leben. Trotz der vielen Schicksalsschläge gab es auch viele schöne Momente. Er konnte seine Geschichte erzählen und etwas bewegen, während viele es vorzogen, zu schweigen.

  2. Schuld ist CDU. Und SPD soll sich schämen, dass sie es unterstützt haben. Für mich sind diese zwei Parteien unwählbar. Schuld ist auch LSU, die für Stimmen für CDU werbt. CDU hat immer gegen unsere Rechte gestimmt, bzw immer gekämpft, damit wir weniger bekommen. CDU hat uns gedemütigt im KfZ Stellen zu heiraten, CDU hat gekämpft um weniger Rechte im Lebenspartnerschaft, CDU kämpft gegen Bildungsplan und Erweiterung des Grundgesetzt. CDU ist egal, wenn die eine LGBT Person zur Verfolgungsstaat zurückschicken und die da umgebracht wird. CDU kämpft auch gegen mehr Schutz für LGBT’s auf europäischen Ebene. Eine Stimme für CDU ist eine Stimme für Homo- und Transphobie. Es ist peinlich, dass diese Partei noch beim CSD mitmacht, aber gleichzeitig AfD ist verboten, obwohl wenn es um LGBT Rechte geht, haben die viel gemeinsam.

  3. Im dritten Satz des zweiten Absatzes hat sich ein Rechtschreibfehler eingeschlichen (…versuchten, iHn der Homosexualität zu überführen).

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