„Konstruierte Provokation“: Die WELT erklärt die Bedeutung der Diffamierung von Homosexuellen für den CSU-Wahlkampf

In der WELT von heute erklärt Ulf Poschardt den Sieg der Union bei den bayerischen Landtagswahlen als das Ergebnis eines Meisterwerk des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt, der „neben Horst Seehofer bedeutendste Autor des Erfolgs“.

Als Dobrindt im März diesen Jahres in einem Interview mit der WELT AM SONNTAG Lesben und Schwule im Rahmen der „Homo-Ehe“-Diskussion als „schrille Minderheit“ bezeichnete, erntete er Kritik aus unterschiedlichsten Richtungen. Nicht nur die Äußerung selbst wurde ihm vorgeworfen, sondern auch die Tatsache, dass er aus CSU-Sicht strategisch unklug zu handele: Schließlich sei ja auch die Mehrheit der bayerischen Wähler für die rechtliche Gleichstellung Homosexueller.

Ich vertrat damals in diesem Blog die Meinung, dass man Dobrindt mit solchen Einlassungen unterschätzt. Und dass er ganz genau weiß, was er da tut:

„Ohne die Homo-Ehe lässt sich eine Existenzberechtigung der Unionsparteien als Hüter konservativer Werte schlichtweg nicht begründen. Es ist also genau umgekehrt, als es sich aus den politischen Forderungen der Homosexuellen an CDU/CSU schliessen lässt: Nicht Lesben und Schwule brauchen die Union. Die Union braucht Lesben und Schwule. Gäbe es sie nicht, müssten sie sie glatt erfinden.

Auch CSU Genralsekretär Alexander Dobrindt hat das in seinem “Schrill” Interview noch einmal bekräftigt. Auf die Frage, was denn die “anderen konservativen Themen” seien, mit denen er im Wahlkampf punkten wolle sagte er:

“Es geht um Stabilität, Solidität und Sicherheit. Stabilität, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft – auch im Hinblick auf Europa. Solidität, was die Finanzen angeht – auch in der Frage des Euro. Und es geht um Sicherheit, was die Zukunftschancen betrifft. Das sind die drei großen konservativen Themen.”

Mit anderen Worten: Es gibt nichts. Absolut nichts, was nicht alle anderen Parteien auch behaupten. Homophobie allein ist der Markenkern der Union.  (…) Es geht allein um die Mobilisierung der Stammwähler. 

Seit Bestehen dieses Blogs hat es keinen Beitrag gegeben, der so oft angeklickt, gelesen und in den sozialen Netzwerken so häufig geteilt und diskutiert wurde wie der über den „homophoben Markenkern“ der Unionsparteien. Ich habe in den letzen Monaten sehr viele Diskussionen zu diesen Vorwürfen geführt. Sehr oft wurde mir entgegen gehalten, dass ich zwar in meiner Kritik grundsätzlich richtig liege, aber in der Zuspitzung doch etwas zu sehr auf die Kacke gehauen übertrieben habe: Dobrindt habe sich verrannt; natürlich gebe es noch die Gestrigen in der Union, aber die Führungen der C-Parteien bemühe sich darum, Respekt vor Schwulen und Lesben zu zeigen.

Dass aber das das genau Gegenteil stimmt, dass also die Unionsparteien entgegen ihrer Aussage, Homosexuelle nicht diskriminieren zu wollen, es sogar zur Strategie erklärten, mit dem Zündeln homosexuellenfeindlicher Stimmungen den Wahlkampf in Schwung zu bringen, schien doch etwas abwegig. 

So erklärt sich wohl auch die Tatsache, dass einer der häufigsten Vorwürfe an die Union in diesen Wahlkämpfen darin besteht, dass sie zu harmlos ist. 

Aber harmlos ist anders.

Und so danke ich Ulf Poschardt dafür, dass er heute etwas aus dem Nähkästchen plaudert und erzählt, wie das damals war mit dem vermeintlich aus der Hüfte geschossenen „Schrill“-Interviews des CSU Generalsekretärs Alexander Dobrindt:

„Als er in der ‚Welt am Sonntag‘ Teile der Schwulen- und Lesbencommunity als „schrille Minderheit“ diffamierte, brach ein Shitstorm über ihn los. Er stand alleine gegen die Medienwelt der Berliner Republik, und es sah nicht so aus, als würde ihn das auch beeindrucken.

Während des Interviews im 19. Stock des Springerhochhauses in Berlin registrierte er genüsslich, wie seine Provokationen und Tabubrüche zu heftigen Nachfragen und empörten Zwischenrufen führten. In seinen Augen blitzte der Schalk. Mit jedem Angriff fühlte sich Dobrindt bestärkt, gleichzeitig wurde spürbar, wie konstruiert, ja papiern diese Provokation angelegt war. Die Grundgedanken hatte er auf einem kleinen weißen Papier skizziert, bei schwierigen Fragen schwieg er, bis er wusste, was zu sagen war. Dass dies nicht seine Meinung sein musste, wurde stets deutlich. Das Krawallinterview war auch Show.“

Ulf Porschardt, stellvertretender Chefredakteur der WELT AM SONNTAG, erhellt mit seinen Schilderungen übrigens nicht nur die wahren Beweggründe der CSU, sondern auch seine eigenen. Er sieht offensichtlich die Rolle seiner Zeitung nicht nur darin, über das, was er eine „Show“ nennt, zu berichten. Er sieht sie als Teil der „Show“. Persönlich kümmert er sich deshalb darum, dass Inszenierung stimmt, dass die christsozialen Taschenspielertricks auch funktionieren.

So schreibt er, Dobrindt habe

„Teile der Schwulen- und Lesbencommunity als `schrille Minderheit´“

diffamiert, ganz offensichtlich um dessen Rolle an der Zündschnur zu verniedlichen. Doch von „Teilen“ der Community hatte der CSU General eben nicht gesprochen. Im Interview sagte er:

„Die Menschen wollen keine Veränderung der Gesellschaft, in der Ehe und Familie nicht mehr die Normalität sind. Die Union als Volkspartei hat die Aufgabe, der stillen Mehrheit eine Stimme zu geben gegen eine schrille Minderheit.“

Es ist davon auszugehen, dass Poschardt das Interview sehr gut kennt. Er hat es selbst geführt.

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