Über die billige Kritik am (Berliner) CSD

Natürlich muss Manöver- und auch Grundsatzkritik sein, natürlich ist es notwendig, um die wahrscheinlich „ewigen“ CSD Fragen immer wieder neu zu streiten, also:

Wem „erlauben“ wir wie und warum und mit welchen Bedingungen mit seinem Logo, seiner Firma dabei zu sein? Wie „politisch“ sind wir, wo sind wir politisch, was ist das „Politische“, das uns ausmacht, das wir zeigen wollen? Wer sind wir eigentlich, wen müssen wir stärker einzubinden, wo grenzen wir uns ab, wer repräsentiert uns, wer darf für uns sprechen? Für all diese Fragen gibt es keine ultimativen Antworten. Jeder von uns beantwortet diese Fragen anders, jeder von uns würde vieles anders machen.

Die Magie des CSD besteht darin, dass die Menschen, die er vereint, um all die Gegensätze und Widersprüche wissen. Dass sie nicht nur trotz dieser Widersprüche zusammenkommen, sondern auch wegen ihnen. Dass sie wissen, dass das, was sie eint, stärker ist, wichtiger ist als diese Widersprüche. All das bedeutet nicht Beliebigkeit, im Gegenteil: Es bedeutet, sich des Wertes der gemeinsamen Bewegung bewusst zu sein. Es bedeutet, diesen Wert nicht in Worte, nicht in gemeinsame Resolutionen, Symbole und Geschichten fassen zu können, auch wenn diese natürlich wichtig sind. Aber eben nicht ausreichend. Und nicht mal das Wichtigste.

Die eigentliche Kraft der CSDs besteht darin, dass sie in all ihrer kritikwürdigen Unvollkommenheit eben doch zeigen, dass und wie Community funktioniert. Wir sind eben nicht Leitkultur, sondern das Gegenteil: Eben nicht geleitet, eben Multikulti. Eben nicht Theorie, sondern zusammen Leben, zusammen Streiten. Zusammen Aushalten, zusammen Weitermachen. Und eben auch: Sich nicht zu besaufen an der Stärke des „Wir“, immer wissen und spüren, dass dieses niemanden ausgrenzen darf, außer die, die uns selbst ausgrenzen wollen.

Community war nie eine geschlossene Gruppe mit festen Regeln, sie wird, kann, darf es nie sein. Community ist Bewegung, die in verschiedene Richtungen stattfindet und doch davon lebt, dass alle ihre einzelnen Teile ein ungefähres Gespür, eine ungefähre Vorstellung davon haben, dass es über dem auch eine Gesamtbewegung gibt, dass alle gemeinsam eine – wenn auch diffuse – Vorstellung einer besseren, solidarischen, inklusiveren Welt haben. Auch wenn die Vorstellungen davon, ja, auch wenn sogar die Definitionen und die Wege dorthin sich unterscheiden und auch widersprechen mögen.

Doch sind die CSDs mehr als der große gemeinsame Nenner der Bewegung. Wer wirklich mit dabei und mittendrin war in den letzten Jahren, wer vor allem auch zwischen die großen Trucks geschaut hat, hat gesehen, wie diverser, wie gemeinsamer miteinander demonstriert, gefeiert und gerungen wird. Der hat gelernt und gestaunt. Der kann das alles unmöglich für unpolitisch halten. Die meisten CSDs in Deutschland sind nicht nur quantitativ stärker geworden, sondern auch qualitativ.

Unsere Bewegung ist die größte, nachhaltigste Bürgerbewegung, die dieses Land hat. Der Berliner CSD war die wohl größte Demo in der Hauptstadt seit dem Mauerfall. Und auch wenn das so gerne als reine Rumfeierei abgewertet wird: Für jede einzelne, für jeden einzelnen bedeutet die Parade etwas, das mit „Feiern“ nicht annähernd genügend beschrieben ist. Ein sehr großer Teil, wenn nicht sogar die meisten derer, die hier mitlaufen, sind an ihrem Arbeitsplatz nicht geoutet, viele reisen von weither, für viele ist es das erste Mal.

Wir feiern eben nicht nur unser eigenes Anderssein, sondern auch das der Anderssein der Anderen, also das anders-als-wir-selber-Sein. Alle anders. Alle gleich. Vor allem zeigt sich, dass der Kampf um die Ehe für Alle eben nicht der Bindekitt unserer Communitys war, sondern im Gegenteil, dass wir erst wirklich jetzt auf die ganze Bandbreite des Regenbogens schauen können.

„Wer hier nur Deutschlandfahnen sieht, der will nur Deutschlandfarben sehen“.

Natürlich ginge das alles noch besser, noch bunter, noch inklusiver. Doch wer die CSDs vor allem als das sieht, was sie nicht sind, ist zynisch. Er verkennt zudem ihre Dynamik, ihre Lern- und Bewegungsfähigkeit, die – erst recht bei diesen gigantischen Ausmaßen – an Wunder gleichen. Und er verkennt ihre politische Relevanz. In einer Gesellschaft, in der alle angeblich nur noch ihre eigenen Resonanzräume bewohnen, in denen Öffentlichkeit angeblich nur noch als Empörung stattfindet, in der sich jeder angeblich nur noch für seine eigenen Belange interessiert, in der alle angeblich nur noch lust- und spasslos unterwegs sind, in der sich Generationen angeblich nichts mehr zu sagen haben, da haben wir etwas in Bewegung gebracht, von dem nicht nur unsere Communitys profitieren könnten.

Um so absurder ist es, dass in Berlin gerade Community vor allem als Kulturkampf diskutiert wird, einen schwul-lesbischen und/oder einen homo-queeren. Es scheint, das ist zumindest mein Eindruck von der Community in diesem Land, aber auch in Berlin, dass diese viel weiter ist, diese so viel empathischer, ist als diese Debatten. Und auch die berechtigte Kritik, dass, wie die meisten CSDs auch der Berliner immer noch es immer noch zu wenige Nicht-Deutsche und Nicht-Weiße repräsentiert, sollte aus mehr bestehen, als solchen albernen Verzerrungen wie in der taz, dieser sei ein „kommerzielles Massenevent in Deutschlandfarben“.

Wer beim Berliner CSD vor allem Deutschlandfarben gesehen hat, der wollte vor allem Deutschlandflaggen sehen. Wer unsere Community vor allem als Streit erlebt, der sollte dringend mal wieder: mitten rein!

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