Wir sind stärker als wir dachten

Geben wir es doch zu, wir hatten doch alle auch etwas Angst, dass nach der Entscheidung für die Ehe für alle die Community auseinanderdriftet, also noch mehr als sonst, und natürlich kann das noch passieren. Vielleicht ist das auch gar nicht schlimm, sondern sogar auch notwendig, zumindest in dem Sinne, dass wir nun endlich mehr auf die Vielfalt unserer Identitäten schauen können, endlich andere Aspekte diskutieren können.

Doch trotzdem ist mein Eindruck nach meinen bisherigen CSDs (in Köln, Trier und Berlin), dass es eine verblüffende Einigkeit in den wichtigsten Punkten gibt: Dass die Ehe für alle natürlich nicht das Ende unserer Bewegung ist und der Notwendigkeit, weiter gemeinsam zu kämpfen. Und zweitens, dass jeder und jede, den ich getroffen habe, eben nicht nur von sich selbst gesprochen hat, also nicht darüber, was er für sich erreichen möchte, sondern explizit auch für die Teile der Community, denen er selbst nicht angehört.

Ich habe bisher immer gedacht, dass der gemeinsame Feind, also der Teil der Gesellschaft, der uns als Inhaber gleicher Rechte ablehnt, es maßgeblich war, der uns auch gemeinsam stark gemacht hat. Dass wir diesen Feind brauchen, um uns als Community zu sehen, dass wir nur deshalb über all das Trennende hinwegsehen, weil wir dieses gemeinsame strategische Ziel der rechtlichen Gleichstellung vor Augen haben, egal wie wir persönlich dazu stehen. Dass es einfach mittlerweile zu viele unterschiedliche Interessen und Ziele gibt, als dass sie sich in diesem wabberigen Community-Konstrukt gemeinsam angehen ließen.

Noch vor wenigen Wochen hatte ich sarkastisch die Community mit dem Vielvölkerstaat Jugoslawien verglichen und die Eheöffnung als einen Moment, der die wie der Tod Titos einen künstlich zusammengehaltenen Bund aus- und gegeneinander bringen kann.

Ich glaube auch immer noch, dass die Gefahr besteht, also jetzt natürlich nicht eine Art Bürgerkrieg, aber schon, dass lange schwelende Konflikte nun eine ganz andere Dynamik bekommen können.

Und trotzdem denke ich jetzt auch, dass auch das Gegenteil stimmt: Dass uns der gemeinsame Feind nicht nur künstlich in einem bestimmten Maße zusammen gehalten hat, sondern uns dieser Druck von Außen auch viel mehr gegeneinander gestellt hat, als wir das bisher gespürt haben.

Durch diese elenden unwürdigen Kampf gegen das Eheverbot wurden wir alle gezwungen in elende und unwürdige Strategien, dieses zu überwinden. Jeder von uns hat auf seine Art versucht, da irgendwie das beste draus zu machen, persönlich, politisch, doch das bedeutete eben auch, dass es eine Unzahl von elenden unwürdigen Strategien gab, die einer Unzahl von elenden unwürdigen Strategien gegenüber stand. Das alles passte nicht zusammen, konnte nicht zusammen passen.

Unterdrückung, ja, sorry, ja, auch die Verwehrung von gleichen Rechten ist eine Form der Unterdrückung, führt eben dazu, dass alles, was man macht, auch eine destruktive Seite hat. Weil das aufgezwungene Sich-Wehren sich eben auch gegen die wehrt, die das gleiche Ziel haben, aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Leben, Wahrheiten und eben: Strategien gerade ganz anders unterwegs sind. Weil die Strategien der anderen den eigenen gefährlich sind.

Und so ist es meine Erfahrung, dass seit der Eheöffnung eben nicht der Drang besteht, dass nun endlich jeder „hier“ ruft, und „jetzt bin endlich ich dran“. Sondern dass wir uns über unsere Vielfalt freuen können, darüber, dass wir nun nicht mehr Energie für diese ewigen und nie zu beantwortenden Fragen verschwenden müssen. Nicht, dass es diese Fragen, diese Gegensätze  nicht mehr gibt, also: Anpassung oder Randale, laut oder leise, Party oder Politik, Überzeugen oder Druck, privat oder öffentlich. Aber diese Fragen, diese Gegensätze sind nicht mehr spielentscheidend, wir müssen uns nicht mehr gegenseitig zu Raison rufen, wenn wir denken, dass der andere (es ist ja immer der andere) es gerade so falsch macht und gerade dabei ist, die gemeinsame Sache zu verraten.

Gleiche Rechte für alle machen eben alle auch souverän, wir sind uns in unserer Unterschiedlichkeit keine tiefe Bedrohung mehr. Es ist eben genau dieses Gefühl von Freiheit, das in den letzen Wochen spürbar war, eine merkwürdige, nie gekannte Freiheit, eine, die Blockaden in uns löst, von denen wir gar nicht wussten, dass es Blockaden sind. Dass wir auf einmal ganz anders miteinander reden können. Oder: Endlich miteinander reden können statt streiten, misstrauen, einander überzeugen müssen.

Und so glaube ich auch, dass diese – durchaus im doppelten Sinne – Geschichte uns nicht nur als Einzelne stärker macht. Sondern auch als Community.

Ich glaube jeder von uns, und das sage ich bewusst als schwuler weißer Mann, weiß, wer gerade mehr privilegiert ist und wer nicht, und worum wir uns jetzt kümmern müssen. Natürlich werden da jetzt nicht mehr so mit der gemeinsamen Intensität und Klarheit mitgehen, wie das zum Schluss bei der Ehe für alle der Fall war. Aber ich glaube, das ist auch gar nicht notwendig.

Nicht weil die noch verbliebenen Themen nicht so wichtig wären. Sondern  weil die Wegfall des einen großen Themas nun auch Reserven freisetzt, die wir viel zielgerichteter nutzen können.

Und natürlich wird es Kämpfe geben, geben müssen, um Sichtbarkeit, um Macht, und um Geld. Aber auch wenn wir uns in den letzten Jahren immer wieder bescheinigt haben, dass wir eigentlich nicht zusammen können: Wir können es eben doch.

Die CSDs dieses Sommers sind der Beweis dafür. Und deswegen werden sie gebraucht. Denn nach dem Kampf um gleiche Rechte können wir uns jetzt endlich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: Emanzipation. Für jeden einzelnen von uns. Und für jeden einzelnen Teil der Community.

Die Bewegung lebt. Und sie ist stärker, als wir dachten!

Zum Thema hier im Blog:

Ehe für alle: Eine kleine Nachhilfestunde (nicht nur) für Heteros

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