Auf zur Demo: Am Samstag geht es nicht nur um Russland, sondern auch um uns

Kann das gut gehen? Sieben eher junge Leute rufen zu einer Demonstration auf, sie haben so etwas noch nie gemacht, wenden sich auch nicht an jemanden, der so was schon mal gemacht hat. Sie überlegen sich einfach, wer von ihnen was am besten kann, verteilen die Rollen. Einer macht Grafik, der andere Medien, Website, Orga, alles halt was einem da so einfällt. Sie legen einen Termin fest, irgendeinen, sie stimmen ihn mit niemandem ab, Hauptsache bald. Und sonst? Braucht man für sowas Geld? Wieviel? Keine Ahnung.

So war das, als sich  Julian Laidig, Fanziska Eulitz, Alfonso Partisano, Anja Victoria Gerber, Marco Schenk, Christoph Unglaube und Sebastian Groß während  eines Spieleabends spontan entschlossen, etwas gegen die Anti-Homosexuellenpolitik in Russland (zu den Hintergründen: hier) zu machen und die olympischen Spiele in Sotschi dafür als konkreten Anlass zu nutzen.

Sie haben das oft erzählt mittlerweile, wie es begann vor ein paar Wochen mit „Enough is Enough – Open your mouth!“, dem Aufruf zur Demonstration am 31. August in Berlin. Wenn sie es erzählen,  dann klingen sie ein bisschen wie eine Band, die ihr neues Album vorstellt und in den Erinnerung schwelgt, wie es angefangen hat damals: So klein, nebenbei, sie hatten alle die gleiche Gefühl, irgendjemand sagte jemand etwas, alle fanden es gut und dann war man schon mittendrin.

Es wirkt so, als können sie es selbst kaum glauben, was seit dem alles passiert ist, wie groß das alles wurde, dass es wirklich stattfinden wird, ja im Internet bereits mit einer riesigen Welle stattfindet.

enoughgruppe2

 

(vorne: Julian , Alfonso , Anja Victoria , Marco
hinten: Christoph , Sebastian )

Und es klingt stolz, natürlich aber auch berauscht. Berauscht von dem, was gerade um sie herum passiert und ein bisschen auch von sich selbst, von der Kraft der eigene Gruppe, der eigenen Idee. Dass sie ihrem eigenen Impuls gefolgt sind. Und sonst niemanden.

Mir scheint es, dass viele Multiplikatoren der Szene, sowohl Personen, Medien als auch Institutionen genau damit ein Problem haben. Die Bewegung ist aufgeteilt in Zuständigkeiten. Alle sind irgendwie verbunden, in Synergien der gegenseitigen Unterstützung. Und in Synergien der gegenseitigen Abneigungen. Jeder ist positioniert. Hinter jeder Aktion steckt auch ein Stück Politik. Aber es ist „innerparteiliche Politik“, der Ausgleich von Interessen von Verbänden, und Szenen.

Ganz extrem habe ich das erlebt, als es vor zwei Jahren um die Demo gegen den Auftritt des Papstes vor dem Bundestag ging. Der LSVD hatte so etwas wie ein Bündnis der Interessensgruppen geschaffen. Ich wollte mich einbringen aber die einzige Möglichkeit war, eine eigene Interessensgruppe zu gründen (was ich dann auch mit diesem Blog auch getan habe: „Homophobia Kills“).

Es waren also nicht Menschen, die damals um den besten Weg einer solchen Demo stritten, sondern Gruppen, die innerhalb dieses Bündnissen ihre Interessen verteidigten. Es gab keine wirklich offene inhaltliche Diskussion über die Ziele und Möglichkeiten. Es gab die Suche der Verbandsvertreter nach einem Formelkompromiss. Und man suchte Leute, die Plakate kleben.

Die Macher und die Plakatkleber. Dazwischen gab es fast nichts. Heute kann man es ja offen sagen: Die Demonstration damals hatte niemanden wirklich mitgerissen. Es war eher ein nebeneinander, kein Gefühl von Gemeinschaft. Jede Organisation hatte eben ihre Leute zusammengetrommelt.

Ich habe damals oft erlebt, wie über Szene, vor allem die schwule geredet wurde: Wie unpolitisch die Leute sind, vor allem, wie schwer zu motivieren und dass die meisten ja doch nur Party machen wollen. Natürlich ist da was dran. Allerdings habe ich in den letzten Jahren auch keine wirklich überzeugenden Initiativen seitens der „Macher“, etwa des LSVD oder des CSD mitbekommen, diese Leute zu integrieren. Die Organisatoren suchten ihre Relevanz vor allem im gesellschaftlichen Diskurs, aber nicht innerhalb der Szene selbst.

Die Gruppe vom Spieleabend hatte sich  keine Verbündete gesucht, keine Organisation, keinen Sponsor, einfach losgelegt. Ihr einziger Adressat waren ihre Freunde und deren Freunde, Leute, von denen sie hofften, dass sie genau so dachten und so fühlten wie sie selbst. Es begann mit Facebook-Massages, persönlich gehalten: Wir wollen was tun. Seid ihr dabei? 

Anders als sonst, waren es nicht die schwul-lesbischen Medien und die Verbände, die zum Mitmachen aufforderten. Die Organisatoren wussten gar nicht, wer da die Ansprechpartner sind, wen man da wie ansprechen sollte. Vielleicht sind die Verbände deshalb so zurückhaltend, was ihre Unterstützung für die Demonstration betrifft: Sie sind es gewohnt, dass man zu ihnen kommt und nicht umgekehrt. Die Vorstellung, dass man sie gar nicht kennt, halten sie wahrscheinlich für völlig abwegig.

„Enough is Enough“ hat es auch ohne die üblichen Verdächtigen geschafft, eine riesige Unterstützergruppe zu aktivieren, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise einbringen. Die  Reichweite ihrer Seite „Enough is Enough“ und weiterverbreiteten Posts ist enorm, alleine die dort geposteten Videos wurden bis gestern Abend von 160.000 Menschen in 124 Ländern gesehen, allein  der Clip mit prominenten Testimonials wurde innerhalb von weniger als 24 Stunden über 50.000 mal angeklickt. 

Die grosse Frage ist natürlich, ob daraus auch wirklich eine eindrucksvolle Demonstration auf der Strasse wird. 

Ich persönlich glaube und hoffe das. Aber ich habe das Gefühl, dass sich gerade viele Multiplikatoren der Szene bedeckt halten. Ich habe das Gefühl, dass sie denken, dass sie es besser wissen und besser können. Und dass sie auf ihre grosse Chance warten, das am spätestens am Montag allen mitteilen zu können.

Ja, es gibt Einiges, was man über diese Demonstration liest, und woran man rummäkeln könnte, und auch ich habe das auch hier schon gemacht. Auch finde ich die Forderung der Organisatoren, dass die Olympischen Spiele in Sotschi zwar stattfinden finden sollen, die russische Delegation ausgeschlossen werden soll zwar für spannend, aber nicht unbedingt geeignet, eine breite Bewegung dahinter zu versammeln. Ich habe versucht, mit den Organisatoren darüber eine Diskussion anzuzetteln, bis ich mich vor mir selbst erschrocken habe: Ich kam mir plötzlich ein bisschen vor, wie die Leute auf dem Papst-Demo-Treffen, die Profis, die es alle schon tausendmal gemacht haben.

Ich habe dann kapiert, dass es im Kern nicht um diese Forderung geht. Diese Leute maßen sich nicht an, die Lösung für das Problem in den Mittelpunkt zu stellen (wie es etwa der LSVD tut, ohne dass er die Szene da irgendwie mit nimmt). Sie benennen das Problem, schildern ihre Wut, veranschaulichen sie mit originellen Motiven und Claims, die sie als persönliche Nachricht um die Welt schicken.  Sie tun das auf ihre Art, man könnte auch sagen: auf die Art, wie man das heute eben macht. Es gibt sie nicht die Gruppe der Macher und die der Plakatträger. Jeder ist beides, jeder hat seine eigene Botschaft, seine eigenen Adressaten. Und doch weiss jeder, worum es geht: So kann es nicht weiter gehen.

Ich kann es kaum glauben, dass ausgerechnet jetzt, wo es eine wirkliche Chance gibt, die schwul-lesbische Bewegung in Berlin wieder lebendig zu machen, sich manche auf scheintot stellen. Hat jemand etwa damit ein Problem, dass neue, andere, jüngere (!) Leute sich auf ihre Art politisieren? War es nicht dass, was immer gewünscht und gefordert wurde? Und jetzt, wo es passiert sagen wir: Guckt mal wie Ihr klar kommt, wir wünschen Euch viel Glück, aber wenn wir noch mal so was macht, dann meldet Euch rechtzeitig?

Vielleicht liegt es ja daran, dass ausgerechnet diese „Partyschwulen“ eben keine Party veranstalten wollen, während CSD und Co. doch immer so getan haben, dass das der einzige Weg sei, um überhaupt noch eine breite Masse in der Szene erreichen zu können?

Und daran, dass es eben keine Logo-Parade wird, auf der kommerzielle Unterstützer für ein paar hundert Euro in die Kameras auf Menschenrechte machen? Natürlich nehmen auch die Organisatoren von „Enough is Enough“ auch Geld- und Sachspenden für die Durchführung der Demonstration an. Aber alle diese Sponsoren müssen sich mit einer Nennung im Internet begnügen. Sie arbeiten hat daran, dass auf der Demo selbst wirklich nur inhaltliche und keine kommerziellen Motive im Fokus sind.

Immer wird behauptet, ohne sichtbare Sponsoren geht es nicht. Aber wurden denn alternative Konzepte je wirklich versucht?

Als die Veranstalter mit dem Unternehmer Bruno Gmünder über eine möglichen Zuwendungsbetrag von 1000 Euro sprachen, diskutierte man nur kurz über mögliche Gegenleistungen wie Bühnenbanner und Ähnliches. Gemeinsam skizzierte man stattdessen eine Möglichkeit, die Demonstration aus dem üblichen Platzkampf der kommerzieller Marken herauszuhalten. Gmünder liess sich darauf ein und erhöhte die Summe auf 5000 (und ging damit dann nicht hausieren).

Seine einzige Bedingung war: Macht einen Termin mit Leuten aus der Szene, die Erfahrung haben, tauscht Euch aus, lasst Euch helfen. Schon einen Tag später sollte das Treffen stattfinden, Gmünder lud zwei Dutzend Leute dazu ein, auch mich. 

Erkenntnisse wurde ausgetauscht: man sagt Demonstration nicht Parade (warum eigentlich nicht?) – eine Demonstration muss man bei der Polizei nicht beantragen, sondern nur ankündigen – über die die Getränke müssen sich die Veranstalter keine Gedanken machen, das können die Leute schon selber …

Mittlerweile  wissen die Veranstalter all das , und noch viel, viel mehr.

Ich habe etwas mitbekommen, was sie in den letzten Wochen geleistet haben. Aber es war nicht nur die ganze Arbeit, der ganze Orga- und Formalkram. Sie haben auch gelernt, welche kommunikative Herausforderung  man bewältigen muss, wenn man so eine Welle lostritt, über die politischen Minenfelder, den Umgang mit gut und schlecht gemeinten Ratschlägen, dem überschwänglichen Lob und der übertriebenen Kritik.

Wie gesagt: Es gab einige Gründe zu meckern. Und vielleicht kommen morgen noch ein paar dazu.

Aber damit muss jetzt Schluss sein. Morgen geht es um nichts anderes als ein klares Zeichen: Enough ist Enough. Genug ist genug!

Ob das morgen ein Erfolg wird, liegt an uns allen. Die Bewegung lebt! Weitersagen!

 

5 Gedanken zu „Auf zur Demo: Am Samstag geht es nicht nur um Russland, sondern auch um uns

  1. Die meisten von uns haben einfach nicht gelernt, wie man sich organisiert und seiner Stimme und Stimmung Ausdruck verleiht. Die traditionellen Verbände wie die CSD e.V.s und LSVD haben das in weiten Teilen arbeitsteilig übernommen. Und sicherlich schauen diese Altvorderen etwas skeptisch, wenn da jemand einfach selbst was anstösst. Ehrfurcht vor unseren Verbänden bringt uns aber nicht weiter. Und erst recht sollte man keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Die macht man eben – und lernt dabei. Mir gefällt, wie diese Spieleabendrunde in die Gänge gekommen ist und den bitteren Geschmack, den jeder in Sachen Russland auf der Zunge hat, zum Thema der Strasse macht. Polit-Profis sind sicherlich professioneller. Aber leidenschaftlicher ist keiner. Bruno Gmünder

  2. Gleich vorne weg: ich finde die Demo großartig und hoffe, dass es ein riesiger Erfolg wird!!! Da gibt es gar nichts dran zu rüttel, das muss einfach groß(artig) werden! 🙂

    Aber der Artikel ist doch ziemlich einseitig geschrieben, trieft von selbst verletzter Eitelkeit und Zuschreibungen, die nichts mit den Tatsachen zu tun haben.
    Es klingt so schön sozialromantisch, dass die Organisatoren (großartige Menschen!!!) alles allein gemacht hätten, die Verbände nicht kennen und folglich nicht mal gefragt hätten um Unterstützung. Woher weiß der Autor dies??? Es entspricht nämlich in keinster Weise den Tatsachen. Dass sich Verbände geziert haben, die Demo von vornherein zu unterstützen, dass stimmt wohl leider schon, aber der Rest ist leider nur Polemik und Spekulation. Schade, denn das haben die Initiatoren genauso wenig verdient wie all die vielen Verbände, die mittlerweile hinter der Demo stehen. Soweit ich weiß mittlerweile auch der hier so gescholtetene LSVD (zum Teil zu recht, zum Teil durch Unwissenheit). Ein bisschen mehr Recherche hätte dem Artikel sicher gut getan, gerade bei so einem wichtigen Thema.
    Was ich aber wirklich peinlich und der Sache nicht dienlich finde, ist die Formulierung des Autors, dass z.B. der LSVD die Lösung wisse und nicht mit der Szene abspreche. Ich habe noch nirgends die Lösung des „Problems in Russland“ gelesen oder wahrgenommen – aber natürlich habe ich genauso wenig alles dazu gelesen wie wohl auch der Autor. Nur maße ich mir dann auch nicht solche Aussagen an!

    Es ärgert mich gerade maßlos, dass mich dier Artikel hier so maßlos ärgert!!! Denn die Sache, die Demo, das Engagement der Aktivisten hat einfach nur Lob und Anerkennung verdient!!! Ebenso das Engagement von Bruno Gmünder – auch wenn das in er Szene jeder weiß, aber eben auch gut heißt.

    Vorletzer Satz des Autors:
    Aber damit muss jetzt Schluss sein. Morgen geht es um nichts anderes als ein klares Zeichen: Enough ist Enough. Genug ist genug!

    Hätte er diesen Satz doch schon von Anfang an seines Artikels beherzigt – Chance leider vertan.

  3. So etwas ist nur möglich wenn man von Leidenschaft beseelt ist. Die Leidenschaft macht es möglich das sämtliche „Hindernisse“ im Keim erstickt werden. Diese Leidenschaft ist wie ein Sturm der Andere mitzieht und Bedenkenträger hinwegfegt. Nur mit Leidenschaft ist es möglich etwas zu bewegen.

    Es ist wie ein Frühjahrssturm der durch die Community weht. Möge es für den Einen oder die Andere ein Weckruf sein.

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