Mogelverdacht beim „Diversity Index“: Sind das wirklich die queerfreundlichsten Unternehmen?

„Diese Dax-Unternehmen sind queerfreundlich – und diese nicht

behauptet der „Tagesspiegel“ über das Ergebnis des  „Dax 30 LGBT + Diversity Index“, der nach eigener Aussage die Queerfreundlichkeit großer Firmen misst und vor ein paar Tagen vorgestellt wurde. Das von der Berliner Agentur Uhlala erstellte Ranking, bei dem der Softwareriese SAP den ersten Platz belegte, war vor allem eines: Ein riesiger PR-Erfolg. Es berichtete nicht nur die queere Presse, sondern auch fast alle wichtigen nicht-queeren mit Wirtschaftsbezug: Die Wirtschaftswoche, das Handelsblatt, die FAZ, das Manager-Magazin … .

Doch der Index ist nicht nur ein PR-Erfolg für das Format selbst und die durchführende Firma. Auch die Community profitiert von der Publicity ganz unmittelbar. Das privatwirtschaftliche Engagement von Uhlala schafft das, was unseren Verbänden nicht so richtig gelingen möchte:  Diskriminierung von ArbeitnehmerInnen in der Wirtschaft nicht nur  medienwirksam und zielgruppengerichtet zu thematisieren und konkrete Probleme und Herausforderungen zu benennen, sondern auch gleichzeitig mit einem Mix aus Belohnung und Druck ganz konkrete Anreize für Unternehmen schaffen, sich selbst mehr zu engagieren.

Uhlala ist auch Veranstalter der queeren Job- und Karrieremesse „Sticks & Stones“, die auf großes Interesse von Unternehmen und Jobinteressierten aus der Community trifft, und auch abgesehen von der Quote tatsächlicher Jobvermittlungen dazu führt, dass unterschiedlichste Firmen Übung darin bekommen, sich professionell auf die Bedürfnisse von LGBTI einzustellen.

Ich schreibe all dies, weil ich einen großen Respekt vor dem Team von Uhlala habe und es unserer Community sehr viel besser gehen würde, wenn es neben dem so wichtigen ehrenamtlichen Bereich auch mehr solche Leute und Community-Initiativen geben würde, die mit eigenen Ideen und eigenem Risikobereit und fähig sind, diese zu entwickeln und umzusetzen. So richtig und wichtig es auch ist, dass der Staat Community-Arbeit unterstützt, so problematisch ist auch die dadurch entstehende Abhängigkeit, die immer wieder dazu führt, dass Verbände und deren VertreterInnen lahm, irrelevant und mental korrumpierbar werden. Der Berliner Landesverband des LSVD ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie eine einstige Community-Oganisation auch durch die staatliche Alimentierung und staatlichen Zuspruch immer mehr zu einem Monster geworden ist, dass sich ganz offensichtlich vor allem selber füttert und zur Wahrung der eigenen Machtinteressen gegen die Community kämpft.

Genauso wenig aber darf sich die Community und die Glaubwürdigkeit ihrer Formate natürlich abhängig machen von wirtschaftlichen Interessen. Will der „LGBT + Diversity Index“ wirklich ein Instrument werden, das langfristig sowohl von der Community als auch „der“ Wirtschaft akzeptiert wird, wird es notwendig sein, hier Interessenskonflikte auszuschließen. Diese ergeben sich alleine schon dadurch, dass viele der durch den Index bewerteten Firmen auch Kunden von Uhlala sind. (Nach eigenen Angaben sind oder waren* das: SAP, Allianz, Siemens, Bayer, Daimler, E.ON, Deutsche Bank, BASF, Deutsche Post, Continental, Adidas, BMW, Munich Re, Wirecard.) Zwar verweist Uhlala darauf, dass auch Kunden von ihnen im Index negativ bewertet worden sind. Doch dies beweist nicht unbedingt, dass es keinen Interessenskonflikt gibt. Ja es kann sogar im Interesse von Uhlala sein, den betreffenden Firmen mit solchen Bewertungen verdeutlichen zu können, wie wichtig es ist, sich in Zukunft noch mehr zu engagieren und Dienstleistungen von ihnen buchen.

So sehr ich Uhlala wünsche, dass das Format „LGBT + Diversity Index“ auch für sie ein kommerzieller Erfolg ist, so sehr scheint es notwendig, dass in Zukunft solche Verquickungen glaubwürdig und transparent aufgelöst sind. Oder deutlicher ausgedrückt: Der Index darf kein Aquise-Tool für andere Unternehmungen von Uhlala sein, will sich die Firma nicht den Ruf einer Pinkwashing-Agentur erwerben und die Glaubwürdigkeit des Index zu verbrennen. Das ominöse vom LSVD-Berlin Brandenburg administrierte „Bündnis gegen Homophobie“ (Mitglieder sind u.a. die Messe Berlin, BVG, Coca Cola,  Wall AG, Universität der Künste, Komische Oper) ist hierfür eine Warnung.

Aber nicht nur die Interessenslage muss klar sein,  auch die Methodik muss wirksam und nachvollziehbar sein. Und hier gibt es einige Probleme, die die Glaubwürdigkeit und Aussagekraft des Ergebnisses infrage stellen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass viele der gut bewerteten Unternehmen tatsächlich auch vorbildlich sind und auch nicht, dass SAP sich seinen Spitzenplatz nicht auch verdient hat. Aber die Methodik hat eben doch zu viele Unklarheiten, dass sich meiner Meinung nach ein solch nach einzelnen Positionen ausdifferenziertes Ranking von 1 bis 30 rechtfertigen lässt. Das Hauptproblem: Alle bewerteten Informationen beruhen auf eigenen Angaben der Unternehmen selbst, die, wie mir Uhlala bestätigte, nicht gegengecheckt worden sind: „Angaben wurden nicht zusätzlich durch uns überprüft. Zum großen Teil ist eine Überprüfung nicht möglich, da viele Punkte nur unternehmensintern einsehbar sind.“

Dass ein solches Verfahren zu Missbrauch oder zumindest zu Schummeleien und Übertreibungen einlädt, liegt auf der Hand. Und dies um so mehr, da viele der gestellten Fragen sehr unterschiedlich interpretiert werden können und bestimmt auch sehr unterschiedlich interpretiert worden sind.

Ein Kriterium nach dem gefragt wurde, lautet etwa „finanziell unterstützes LGBT-Netwerk“, doch es wird völlig offen gelassen, ob hier beispielsweise ein kleines informelles Grüppchen mit einer handvoll MitarbeiterInnen mit etwas Geld für die Kaffeekasse gesponsert wurde, oder eine große betriebsinterne Organisation entstehen konnte, die tatsächlich effektive Netzwerkarbeit machen kann. Ähnlich ist es bei den Kriterien „Kommunikation“ und „Events“, wo natürlich ein Großteil der Unternehmen angibt, irgendwelche Kampagnen beziehungsweise Veranstaltungen gemacht zu haben. Doch auch hier fehlen jegliche Verweise, sodass jede einzelne Angabe hier für alles oder fast nichts stehen kann. Besonders der so wichtige Punkt „Antidiskiminierungsschutz“ bleibt leider vage, da schon die Selbstangabe „Explizit im Verhaltenskodex verankert und Partner müssen sich diesem verpflichten“ die volle in diesem Kriterium zu erreichende Punktzahl erhält und es überhaupt keinen Hinweis darauf gibt, ob und wie dieser „verankerte“ Schutz auch tatsächlich garantiert und eingefordert werden kann.

Eine Umfrage, deren Fragen und Antwortmöglichkeiten einen solch großen Interpretationsspielraum erzeugen und dazu noch keinerlei Auskunft darüber geben, wie groß der Realitätsgehalt dieser Angaben ist, kann unmöglich den Anspruch erheben, eine so differenzierte Unternehmensreihenfolge abzubilden. Ein genauer Blick auf die Ergebnistabelle legt sogar der Verdacht nahe, dass Unternehmen, denen das Anliegen besonders wichtig ist, sich teilweise selber benachteiligt haben, weil sie Fragen möglichst genau beantwortet haben und dadurch von Unternehmen überflügelt worden sind, die überall, wo es leicht möglich ist, für sich einfach durch ihre Allgemeinantwort die volle Punktzahl reklamieren.

Das größte Problem der Befragung ist jedoch, dass es offensichtlich nicht einmal eine stichprobenartige Gegenkontrolle der Unternehmens-Selbstauskünfte gegeben hat. Hiernach hatte ich Uhlala explizit gefragt und lediglich zur Antwort bekommen, dass nach Hinweisen auf falsche Angaben diese „umgehend durch uns korrigiert und die Änderung öffentlich bekannt gemacht“ würden.

Eine interessante Stichprobe ist hierbei die Firma EON, die sich nicht nur entschlossen hat, mit der ehemaligen CDU-Politikerin  Katherina Reiche eine der profiliertesten deutschen Homo-Hasserinnen Anfang des kommenden Jahres zu einer ihrer Top-Managerinnen zu machen, sondern sich auch nicht in der Lage sieht, sich von deren öffentlichen homosexuellenfeindlichen Aussagen zu distanzieren. (Hier der Bericht im Blog.) Die externe Kommunikation des Konzerns hierzu darf man aus LGBTI-Sicht eine Katastrophe nennen. Der „Dax 30 LGBT + Diversity Index“, der von sich behauptet, auch die interne und externe Kommunikation zu LGBTI-Themen zu bewerten, vergibt dem Konzern für das Kriterium „Kommunikation“ trotzdem die volle Punktzahl.

Meine Presseanfrage bei EON mit konkreten Fragen zu ihrem Diversity-Verständnis ließ der Konzern damals unbeantwortet, was aus heutiger Sicht aus Perspektive des Konzerns möglicherweise besonders plausibel war:  Konnten sich die EON- Kommunikations-Strategen damals schon Hoffnung machen, dass der „Dax 30 LGBT + Diversity Index“ ihnen einen pinken Persilschein ausstellen würde? Tatsächlich kürte Uhlala ihren Ex-Kunden* EON mit einem prestigeträchtigen Top-Ten-Platz auf die Position acht, über den fast in der gesamten deutschen Wirtschaftspresse nachzulesen war. Warum sollte sich dann EON mit der Beantwortung von unangenehmen Fragen eines queeren Blogs eine Blöße geben, wenn ihnen doch durch den „LGBT + Diversity Index“ quasi offiziell bestätigt werden würde, dass solche Fragen offensichtlich jeder Grundlage entbehren? Das Beispiel EON zeigt, dass der Index nicht nur Aufklärung, sondern auch das Gegenteil bewirken kann. Besonders bei EON liegt der Verdacht nahe.

Dies umso mehr, als auch viele Angaben, die der Konzern für den Index gemacht hat, sehr fragwürdig sind.

Nur drei Beispiele:

1. EON gibt an, ein MitarbeiterInnennetzwerk in Deutschland zu haben, das es auch finanziell unterstützt. Im Internet lässt sich ein solches in England finden, aber nicht für Deutschland. Uhlala schreibt mir, dass alle Unternehmen darauf hingewiesen wurden, „dass die Angaben sich ausschließlich auf ihr Engagement in Deutschland beziehen dürfen.“ Sollte es in Deutschland  wirklich ein Netzwerk geben, das relevant ist: Wieso ist darüber im Internet nichts zu finden? Ich habe bei allen Top-Ten-platzierten des Index solche Netzwerke finden können, aber nicht bei EON? Warum ist es so schwer zu finden, bei einem Unternehmen, das für die interne und externe Kommunikation die volle Punktzahl erhält?

2. EON gibt an, in Deutschland aktive LGTBTI-Kampagnen laufen zu haben. Falls es diese gibt, sind auch sie schwer im Internet zu finden. Warum ist das so bei einem Unternehmen, das für die interne und externe Kommunikation die volle Punktzahl erhält?

3. EON gibt an, in Deutschland ein Diversity Statement mit Bezug auf LGBT zu haben und erhält auch hierfür die in dieser Kategorie höchstmögliche Punktzahl. Ich konnte ein Diversity-Statement finden, aber keines mit Bezug auf LGBT. Warum ist das so bei einem Unternehmen, das für die interne und externe Kommunikation die volle Punktzahl erhält?

Dies sind nur Fragen zu den Kategorien, zu denen man eigntlich ohne großen Aufwand öffentlich etwas finden müsste. Doch wenn es hier schon so schwer bzw. fast unmöglich ist, wirklich konkretes Engagement zu entdecken, was darf dann zu den LGBT-Bemühungen auf interner Ebene (z.B. Schulungen, interne Veranstaltungen) angenommen werden?

EON ist Kunde bei Uhlala. Deswegen  *Es darf erwartet werden, dass Uhlala beim Konzern ganz schnell konkrete und nachvollziehbare Auskünfte über das tatsächliche Engagement von EON erhält. Dies ist im dringenden Interesse der Community, aber auch der Unternehmen, die tatsächlich vorbildliche und darstellbare Bemühungen für LGBTI unternehmen. Diese Arbeit darf nicht entwertet werden.

Sollte eine befriedigende únd schnelle Auskunft von EON nicht möglich sein, ist nicht nur die Bewertung des Konzerns im Index zu revidieren. Auch mit dem „LGBT + Diversity Index“ hätte es sich dann erledigt. Denn was ist ein solches Ranking wert, wenn diejenigen nach oben können, die am besten bluffen können?

„Diese Dax-Unternehmen sind queerfreundlich – und diese nicht

behauptet der Tagesspiegel. Kann man so leider nicht sagen. ♦


* In einer älteren Version dieses Textes, hieß es, EON sei Kunde bei Uhlala. Dies ist falsch: EON war dort zuletzt 2017 Kunde. Ich bitte, den Fehler zu entschuldigen.


UPDATE (18.12.2019): Die Uhlala Group nimmt ausführlich Stellung zu den oben aufgeführten Punkten.

Stellungnahme der Uhlala Group

UPDATE (14.01.2019):


Rückblick zum Thema hier im Blog:

Trotz Diversitätsversprechen: Homo-Hasserin Katherina Reiche bekommt Führungsposten bei Eon

EON möchte sich nicht von Katherina Reiches Homo-Hass distanzieren

Rückblick (2013): Der Quasi-Rassismus von Katherina Reiche und die Verantwortung von Günther Jauch

Alle Beiträge über Katherina Reiche hier.

Alle Thema zum Thema Wirtschaft hier:


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